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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Grund und Boden, welchen dieselben ihren Bauern zunächst gegen mäßigen
Pacht, später gegen einen bestimmten Kaufpreis überlassen mußten, war
nicht ihr unbedingtes Eigenthum. Das Rcchtsprincip von ^wirklichem persön¬
lichen Grundeigenthum hat, wie wir im ersten Abschnitt sahen, in Rußland
niemals exisiirt, Pas Land gehörte in seiner Totalität dem russischen Volle. Die
Nutznießung an dem Grund und Boden wurde von patriarchalen Obrigkeiten
unter die Stämme, Gemeinden und Familien zeitweilig vertheilt. Die Czaren
vertheilten dann unter ihre Dienstleute , -den Adel, einen Theil des Landes zur
Nutznießung aus bestimmte Zeit, d. h. aus so lange, als diese ihnen eben dien¬
ten. D>e Bauern, in der Regel zu Gemeinden associirt, übernahmen für die
Adeligen die Bebauung einer Feldflur, nahmen einen Theil der Ernte für sich
und gaben den andern an die Gutsherren ab. Als Boris Godunow die
Bauern an den Ort fesselte, wo sie eben waren, wurde der Grund und Boden
nicht deren Eigenthum, aber sie wurden integrirender Bestandtheil, Inventar des
betreffenden Guts. Von da an konnte ein Gut nur verliehen werden unter
der stillschweigenden Bedingung, daß der Nutznießer die darauf sitzenden Bauern
ernährte. Als Peter der Große dem Adel die von demselben benutzten Güter
zum Eigenthum verlieh, behielten die Bauern ihr Recht auf Ernährung von
denselben, sie wurden gewissermaßen ein Servitut des Grundes und Bodens.
Diese Anschauung drückte sich dadurch richtig aus, daß die Leibeigenen sagten:
wir gehören dem Herrn, aber der Grund und Boden gehört uns. und ebenso
sprach die russische Gesetzgebung dieses Princip aus. wenn sie verbot , einen
leibeigenen Bauer ohne Land zu verkaufen.

Hiernach ist klar, daß die Gesetzgebung des Februars 1861 nicht gegen
das Princip des Eigenthums verstieß, als sie verordnete, daß die befreiten
Bauern in ihrem Dorfe ansässig bleiben , ihre Gehöfte behalten und den zu
ihrer Existenz nöthigen Grund und Boden ferner gegen Pacht oder Kaufpreis
benutzen sollten.

Die Ordnung dieser Angelegenheit hatte ihre großen Schwierigkeiten, zu
deren Bewältigung die vorhandenen Beamten nicht ausreichten, zumal die ganze
Zukunft der Verwaltung und Negierung der bisher leibeigen gewesenen Leute
ins Auge zu fassen war. Es war ein Staatsbeamtenthum für die eine Hälfte
des Volkes, die Kronbauern, da , sollte nun die Zahl der Beamten verdoppelt
werden, um auch die andere Hälfte des Volks in den Staatsorganismus hinein¬
zuziehen? Und wie war jene große Zahl zu beschaffen? Die Regierung faßte
den richtigen Entschluß, den Adel, der bisher die Leibeignen regiert hatte, auch
ferner mit deren Regierung zu betrauen , jedoch unter gewissen Modifikationen:
sie errichtete das Institut der Friedensrichter. Dies hatte in Westrußland, be¬
sonders im nordöstlichen Theile desselben keine Schwierigkeit; denn hier wohnt
über die Hälfte der Gutsbesitzer^ auf ihren Gütern, und wenigstens 80 Procent


Grenzboten IU. 18VV, 33

Grund und Boden, welchen dieselben ihren Bauern zunächst gegen mäßigen
Pacht, später gegen einen bestimmten Kaufpreis überlassen mußten, war
nicht ihr unbedingtes Eigenthum. Das Rcchtsprincip von ^wirklichem persön¬
lichen Grundeigenthum hat, wie wir im ersten Abschnitt sahen, in Rußland
niemals exisiirt, Pas Land gehörte in seiner Totalität dem russischen Volle. Die
Nutznießung an dem Grund und Boden wurde von patriarchalen Obrigkeiten
unter die Stämme, Gemeinden und Familien zeitweilig vertheilt. Die Czaren
vertheilten dann unter ihre Dienstleute , -den Adel, einen Theil des Landes zur
Nutznießung aus bestimmte Zeit, d. h. aus so lange, als diese ihnen eben dien¬
ten. D>e Bauern, in der Regel zu Gemeinden associirt, übernahmen für die
Adeligen die Bebauung einer Feldflur, nahmen einen Theil der Ernte für sich
und gaben den andern an die Gutsherren ab. Als Boris Godunow die
Bauern an den Ort fesselte, wo sie eben waren, wurde der Grund und Boden
nicht deren Eigenthum, aber sie wurden integrirender Bestandtheil, Inventar des
betreffenden Guts. Von da an konnte ein Gut nur verliehen werden unter
der stillschweigenden Bedingung, daß der Nutznießer die darauf sitzenden Bauern
ernährte. Als Peter der Große dem Adel die von demselben benutzten Güter
zum Eigenthum verlieh, behielten die Bauern ihr Recht auf Ernährung von
denselben, sie wurden gewissermaßen ein Servitut des Grundes und Bodens.
Diese Anschauung drückte sich dadurch richtig aus, daß die Leibeigenen sagten:
wir gehören dem Herrn, aber der Grund und Boden gehört uns. und ebenso
sprach die russische Gesetzgebung dieses Princip aus. wenn sie verbot , einen
leibeigenen Bauer ohne Land zu verkaufen.

Hiernach ist klar, daß die Gesetzgebung des Februars 1861 nicht gegen
das Princip des Eigenthums verstieß, als sie verordnete, daß die befreiten
Bauern in ihrem Dorfe ansässig bleiben , ihre Gehöfte behalten und den zu
ihrer Existenz nöthigen Grund und Boden ferner gegen Pacht oder Kaufpreis
benutzen sollten.

Die Ordnung dieser Angelegenheit hatte ihre großen Schwierigkeiten, zu
deren Bewältigung die vorhandenen Beamten nicht ausreichten, zumal die ganze
Zukunft der Verwaltung und Negierung der bisher leibeigen gewesenen Leute
ins Auge zu fassen war. Es war ein Staatsbeamtenthum für die eine Hälfte
des Volkes, die Kronbauern, da , sollte nun die Zahl der Beamten verdoppelt
werden, um auch die andere Hälfte des Volks in den Staatsorganismus hinein¬
zuziehen? Und wie war jene große Zahl zu beschaffen? Die Regierung faßte
den richtigen Entschluß, den Adel, der bisher die Leibeignen regiert hatte, auch
ferner mit deren Regierung zu betrauen , jedoch unter gewissen Modifikationen:
sie errichtete das Institut der Friedensrichter. Dies hatte in Westrußland, be¬
sonders im nordöstlichen Theile desselben keine Schwierigkeit; denn hier wohnt
über die Hälfte der Gutsbesitzer^ auf ihren Gütern, und wenigstens 80 Procent


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[0279] Grund und Boden, welchen dieselben ihren Bauern zunächst gegen mäßigen Pacht, später gegen einen bestimmten Kaufpreis überlassen mußten, war nicht ihr unbedingtes Eigenthum. Das Rcchtsprincip von ^wirklichem persön¬ lichen Grundeigenthum hat, wie wir im ersten Abschnitt sahen, in Rußland niemals exisiirt, Pas Land gehörte in seiner Totalität dem russischen Volle. Die Nutznießung an dem Grund und Boden wurde von patriarchalen Obrigkeiten unter die Stämme, Gemeinden und Familien zeitweilig vertheilt. Die Czaren vertheilten dann unter ihre Dienstleute , -den Adel, einen Theil des Landes zur Nutznießung aus bestimmte Zeit, d. h. aus so lange, als diese ihnen eben dien¬ ten. D>e Bauern, in der Regel zu Gemeinden associirt, übernahmen für die Adeligen die Bebauung einer Feldflur, nahmen einen Theil der Ernte für sich und gaben den andern an die Gutsherren ab. Als Boris Godunow die Bauern an den Ort fesselte, wo sie eben waren, wurde der Grund und Boden nicht deren Eigenthum, aber sie wurden integrirender Bestandtheil, Inventar des betreffenden Guts. Von da an konnte ein Gut nur verliehen werden unter der stillschweigenden Bedingung, daß der Nutznießer die darauf sitzenden Bauern ernährte. Als Peter der Große dem Adel die von demselben benutzten Güter zum Eigenthum verlieh, behielten die Bauern ihr Recht auf Ernährung von denselben, sie wurden gewissermaßen ein Servitut des Grundes und Bodens. Diese Anschauung drückte sich dadurch richtig aus, daß die Leibeigenen sagten: wir gehören dem Herrn, aber der Grund und Boden gehört uns. und ebenso sprach die russische Gesetzgebung dieses Princip aus. wenn sie verbot , einen leibeigenen Bauer ohne Land zu verkaufen. Hiernach ist klar, daß die Gesetzgebung des Februars 1861 nicht gegen das Princip des Eigenthums verstieß, als sie verordnete, daß die befreiten Bauern in ihrem Dorfe ansässig bleiben , ihre Gehöfte behalten und den zu ihrer Existenz nöthigen Grund und Boden ferner gegen Pacht oder Kaufpreis benutzen sollten. Die Ordnung dieser Angelegenheit hatte ihre großen Schwierigkeiten, zu deren Bewältigung die vorhandenen Beamten nicht ausreichten, zumal die ganze Zukunft der Verwaltung und Negierung der bisher leibeigen gewesenen Leute ins Auge zu fassen war. Es war ein Staatsbeamtenthum für die eine Hälfte des Volkes, die Kronbauern, da , sollte nun die Zahl der Beamten verdoppelt werden, um auch die andere Hälfte des Volks in den Staatsorganismus hinein¬ zuziehen? Und wie war jene große Zahl zu beschaffen? Die Regierung faßte den richtigen Entschluß, den Adel, der bisher die Leibeignen regiert hatte, auch ferner mit deren Regierung zu betrauen , jedoch unter gewissen Modifikationen: sie errichtete das Institut der Friedensrichter. Dies hatte in Westrußland, be¬ sonders im nordöstlichen Theile desselben keine Schwierigkeit; denn hier wohnt über die Hälfte der Gutsbesitzer^ auf ihren Gütern, und wenigstens 80 Procent Grenzboten IU. 18VV, 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/279>, abgerufen am 22.07.2024.