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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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kommenden, in armseliger Kleinstaatsmisere, ist vielen das politische Ehrgefühl
stumpf geworden und die politische Thatkraft erlahmt. Was wars denn anders
als beschämende Unselbständigkeit des politischen Bewußtseins, die so oft lind
so hartnäckig den Satz hinstellte, daß keine Veränderung unsers deutschen Staats¬
wesens ohne Napoleons Erlaubniß möglich sei? Wie an ein Dogma hat die
blöde Menge daran geglaubt. Bis zum Ueberdruß mußte man das Wort höre":
was wird Napoleon dazu sagen? oder: ja wenn das Napoleon litte! U,ut
billiger als um das linke Rhcistufer that er es sicherlich nicht. Man kairn die
Macht des Auslandes in ernste und vorsichtige Erwägung ziehen, braucht kein
Freund thörichten Säbclrassclns zu sein, und wird doch diesen trostlosen Mangel
fröhlichen Selbstvertrauens als etwas Unwürdiges empfinden müssen,. Es wird
nicht der kleinste Gewinn unserer Tage sein, wenn in vielen Deutschen das
Gefühl ihrer selbst und ihrer staatlichen Ehre wieder lebendiger und geadelter
hervortritt.

Vorerst ist offene Bahn, thatkräftig Kunde davon zu geben. Genug hat
von den Friedenspräliminarien verlautet, um frohe Hoffnung darauf zu bauen.
Hier und da freilich taucht schon mißgünstige Kritik auf, und mancher meint,
die Sache hätte weiter gefördert werden können. Aber wozu neue Ströme
Bluts vergießen, wenn friedlich geschafft werden kann, was noch mangelt? Man
hat so oft auf den deutschen Bundesstaat der Zukunft getoastet. -- sei man
dessen jetzt eingedenk und vergesse nicht, daß das erste Erforderniß des Bundes¬
staats ist: sich verbünden wollen; dazu gezwungen kann man so wenig wer¬
den wie zur Freundschaft. Man hat so feurige Lieder von deutscher Einheit
gesungen, -- erinnere man sich jetzt dessen und sorge nicht länger, daß nur ja
kein George L,ex dabei Schaden nehme oder den Beusts und Datrvigfs einiges
Unangenehme Passire. Man hat so heftig gegen die Mainlinie und Großpreußen
declamirt. -- handle man jetzt im rechten Sinne und schlage Brücken über alle
Grenzflüsse im Herzen Deutschlands. Die Bahn ist frei, und vollendete That¬
sachen regieren die Welt; ohnmächtig ist Keiner, denn des Geringsten Stimme
wiegt bei der Parlamentswahl so schwer wie die des Höchsten. Schaffe man
nun ein einiges Deutschland! Gelingt es aber nicht, und bleibt es vorerst bei
Großpreußen, dann klage man weder Preußen noch Bismarck an. Sondern
man blicke auf Turm- und Sängerhallen und sage offen: sie haben getoastet
und gesungen, declamirt und resolvin, -- die deutsche Einheit haben sie nicht
gewollt.

Noch sind wir fröhlichen Muthes, daß die große Stunde unser Volk groß
finden werde, und daß, wie Italien sie beanffen bat, so auch wir die Mahnung
begreifen werden, die Manch>avell seinen Landsleuten zurief:


Der Wahn, Gott werde Wunderwerk verrichten

An uns, derweil wir faul die Kniee beugen,

Muß Reich und Staaten gar zu Grunde richten.


O.


Verantwortlicher Redacteur: Gustav Drehtag.
Verlag von F. L. Herdig. -- Druck von Hüthcl 6- Legler (früher C, E. Elbert" in Leipzig.

kommenden, in armseliger Kleinstaatsmisere, ist vielen das politische Ehrgefühl
stumpf geworden und die politische Thatkraft erlahmt. Was wars denn anders
als beschämende Unselbständigkeit des politischen Bewußtseins, die so oft lind
so hartnäckig den Satz hinstellte, daß keine Veränderung unsers deutschen Staats¬
wesens ohne Napoleons Erlaubniß möglich sei? Wie an ein Dogma hat die
blöde Menge daran geglaubt. Bis zum Ueberdruß mußte man das Wort höre»:
was wird Napoleon dazu sagen? oder: ja wenn das Napoleon litte! U,ut
billiger als um das linke Rhcistufer that er es sicherlich nicht. Man kairn die
Macht des Auslandes in ernste und vorsichtige Erwägung ziehen, braucht kein
Freund thörichten Säbclrassclns zu sein, und wird doch diesen trostlosen Mangel
fröhlichen Selbstvertrauens als etwas Unwürdiges empfinden müssen,. Es wird
nicht der kleinste Gewinn unserer Tage sein, wenn in vielen Deutschen das
Gefühl ihrer selbst und ihrer staatlichen Ehre wieder lebendiger und geadelter
hervortritt.

Vorerst ist offene Bahn, thatkräftig Kunde davon zu geben. Genug hat
von den Friedenspräliminarien verlautet, um frohe Hoffnung darauf zu bauen.
Hier und da freilich taucht schon mißgünstige Kritik auf, und mancher meint,
die Sache hätte weiter gefördert werden können. Aber wozu neue Ströme
Bluts vergießen, wenn friedlich geschafft werden kann, was noch mangelt? Man
hat so oft auf den deutschen Bundesstaat der Zukunft getoastet. — sei man
dessen jetzt eingedenk und vergesse nicht, daß das erste Erforderniß des Bundes¬
staats ist: sich verbünden wollen; dazu gezwungen kann man so wenig wer¬
den wie zur Freundschaft. Man hat so feurige Lieder von deutscher Einheit
gesungen, — erinnere man sich jetzt dessen und sorge nicht länger, daß nur ja
kein George L,ex dabei Schaden nehme oder den Beusts und Datrvigfs einiges
Unangenehme Passire. Man hat so heftig gegen die Mainlinie und Großpreußen
declamirt. — handle man jetzt im rechten Sinne und schlage Brücken über alle
Grenzflüsse im Herzen Deutschlands. Die Bahn ist frei, und vollendete That¬
sachen regieren die Welt; ohnmächtig ist Keiner, denn des Geringsten Stimme
wiegt bei der Parlamentswahl so schwer wie die des Höchsten. Schaffe man
nun ein einiges Deutschland! Gelingt es aber nicht, und bleibt es vorerst bei
Großpreußen, dann klage man weder Preußen noch Bismarck an. Sondern
man blicke auf Turm- und Sängerhallen und sage offen: sie haben getoastet
und gesungen, declamirt und resolvin, — die deutsche Einheit haben sie nicht
gewollt.

Noch sind wir fröhlichen Muthes, daß die große Stunde unser Volk groß
finden werde, und daß, wie Italien sie beanffen bat, so auch wir die Mahnung
begreifen werden, die Manch>avell seinen Landsleuten zurief:


Der Wahn, Gott werde Wunderwerk verrichten

An uns, derweil wir faul die Kniee beugen,

Muß Reich und Staaten gar zu Grunde richten.


O.


Verantwortlicher Redacteur: Gustav Drehtag.
Verlag von F. L. Herdig. — Druck von Hüthcl 6- Legler (früher C, E. Elbert» in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/260>, abgerufen am 03.07.2024.