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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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2) Weit über die Hälfte des bebauten Grundes und Bodens war ebenfalls un¬
mittelbares Krongut, die hier wohnenden Bauern zahlten eine sich wenig ändernde
Abgabe, den Obrok, Frohndienste leisteten sie nicht, da es keine Domänen¬
ökonomie gab; 3) die kleinere Hälfte des cultivirten Landes war an den Dienst¬
adel vertheilt. Erblichkeit der Beneficien war nicht gesetzlich, aber natürlich ließ
man den ebenfalls dienenden Söhnen die Güter, mit denen man die Dienste
des Vaters belohnt hatte. Die freien Bauern in den Dörfern des Adels zahlten
ihrem Herrn einen Pachtschilling, den jener willkürlich bestimmte. Daneben gab
es Dörfer mit angesiedelten Haussklaven, und schließlich hatte der in den Städten
wohnende Adel eine große Anzahl solcher um sich als Dienerschaft. Nur ein
geringer Theil des Adels lebte auf dem Lande, aber meist ohne selbst Oekonomie
zu treiben, er existirte lediglich von dem, was ihm seine Bauern steuerten. Nur
in abgelegenen Gegenden, wo die letzteren den Geldobrok nicht aufbringen
konnten, nahm der Adelige einen Theil der Feldmark -- gewöhnlich die Hälfte
des Ackerlandes, drei Fünftel der Wiesen und den ganzen Wald -- in Selbst¬
cultur, und die Bauern mußten ihm dabei durch Frohndienste helfen. Nur
die Rücksicht darauf, daß letztere im Stande blieben, ihre Abgaben zu zahlen,
und die Furcht, sie möchten entlaufen, zügelte die Habgier, welche das an die
Scholle gefesselte Volk nach Möglichkeit ausbeutete. Als Peter der Große dann
dem Adel die von demselben benutzten Dienstgüter zu freiem erblichen Eigen¬
thum schenkte und die Bauern sür leibeigen erklärte, erhob er nur bereits factisch
bestehende Zustände zu gesetzlichen. Unter den Bauern wurde kein Widerspruch
und keine Klage laut, als sie nun Leibeigne hießen; denn thatsächlich wurde
ihre Lage durch Peters Maßregeln nicht geändert.

So blieben die Verhältnisse geraume Zeit, obwohl, als die westeuropäischen
Ideen in Nußland einzudringen begannen, die Regierung wiederholt Anläufe
nahm, die Zustände des Landvolks besser zu ordnen und den Herren mehr Ver¬
pflichtungen aufzulegen. Am besten befanden sich die Leibeignen noch in den
Gegenden, wo, wie um Jaroslaw, Wladimir und Nischnij-Nowgorod, der Geld¬
obrok vorherrschte, doch waren sie auch hier vor Erpressungen nicht sicher. Starb
ein Grundherr oder verkaufte er sein Gut mit den daran gebundenen Bauern,
so hatten letztere alles zu befürchten. Wurde ein Gut auf Auctionen gekauft,
so preßte der Käufer die dafür gezahlte Summe in der Regel so schnell wie
möglich den Gutsunterthanen durch Erhöhung des Obrok wieder ab. Noch
schlimmer war die Lage der Bauern da, wo die Frohnen eingeführt waren,
z. B. bei Tula, Orel, Njäsan, Tambow, Woronesch und Kursk, und namentlich
der kleine Adel, vollkommen roh und ungebildet, drückte hier seine Leibeignen
auf das furchtbarste, ohne daß diese ein Recht hatten, sich zu beklagen. Es
existirte zwar ein Gesetz von Kaiser Paul, nach welchem die Leibeignen nicht
über drei Tage wöchentlich zu Frohnen gebraucht werden sollten, aber weil keine


2) Weit über die Hälfte des bebauten Grundes und Bodens war ebenfalls un¬
mittelbares Krongut, die hier wohnenden Bauern zahlten eine sich wenig ändernde
Abgabe, den Obrok, Frohndienste leisteten sie nicht, da es keine Domänen¬
ökonomie gab; 3) die kleinere Hälfte des cultivirten Landes war an den Dienst¬
adel vertheilt. Erblichkeit der Beneficien war nicht gesetzlich, aber natürlich ließ
man den ebenfalls dienenden Söhnen die Güter, mit denen man die Dienste
des Vaters belohnt hatte. Die freien Bauern in den Dörfern des Adels zahlten
ihrem Herrn einen Pachtschilling, den jener willkürlich bestimmte. Daneben gab
es Dörfer mit angesiedelten Haussklaven, und schließlich hatte der in den Städten
wohnende Adel eine große Anzahl solcher um sich als Dienerschaft. Nur ein
geringer Theil des Adels lebte auf dem Lande, aber meist ohne selbst Oekonomie
zu treiben, er existirte lediglich von dem, was ihm seine Bauern steuerten. Nur
in abgelegenen Gegenden, wo die letzteren den Geldobrok nicht aufbringen
konnten, nahm der Adelige einen Theil der Feldmark — gewöhnlich die Hälfte
des Ackerlandes, drei Fünftel der Wiesen und den ganzen Wald — in Selbst¬
cultur, und die Bauern mußten ihm dabei durch Frohndienste helfen. Nur
die Rücksicht darauf, daß letztere im Stande blieben, ihre Abgaben zu zahlen,
und die Furcht, sie möchten entlaufen, zügelte die Habgier, welche das an die
Scholle gefesselte Volk nach Möglichkeit ausbeutete. Als Peter der Große dann
dem Adel die von demselben benutzten Dienstgüter zu freiem erblichen Eigen¬
thum schenkte und die Bauern sür leibeigen erklärte, erhob er nur bereits factisch
bestehende Zustände zu gesetzlichen. Unter den Bauern wurde kein Widerspruch
und keine Klage laut, als sie nun Leibeigne hießen; denn thatsächlich wurde
ihre Lage durch Peters Maßregeln nicht geändert.

So blieben die Verhältnisse geraume Zeit, obwohl, als die westeuropäischen
Ideen in Nußland einzudringen begannen, die Regierung wiederholt Anläufe
nahm, die Zustände des Landvolks besser zu ordnen und den Herren mehr Ver¬
pflichtungen aufzulegen. Am besten befanden sich die Leibeignen noch in den
Gegenden, wo, wie um Jaroslaw, Wladimir und Nischnij-Nowgorod, der Geld¬
obrok vorherrschte, doch waren sie auch hier vor Erpressungen nicht sicher. Starb
ein Grundherr oder verkaufte er sein Gut mit den daran gebundenen Bauern,
so hatten letztere alles zu befürchten. Wurde ein Gut auf Auctionen gekauft,
so preßte der Käufer die dafür gezahlte Summe in der Regel so schnell wie
möglich den Gutsunterthanen durch Erhöhung des Obrok wieder ab. Noch
schlimmer war die Lage der Bauern da, wo die Frohnen eingeführt waren,
z. B. bei Tula, Orel, Njäsan, Tambow, Woronesch und Kursk, und namentlich
der kleine Adel, vollkommen roh und ungebildet, drückte hier seine Leibeignen
auf das furchtbarste, ohne daß diese ein Recht hatten, sich zu beklagen. Es
existirte zwar ein Gesetz von Kaiser Paul, nach welchem die Leibeignen nicht
über drei Tage wöchentlich zu Frohnen gebraucht werden sollten, aber weil keine


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[0250] 2) Weit über die Hälfte des bebauten Grundes und Bodens war ebenfalls un¬ mittelbares Krongut, die hier wohnenden Bauern zahlten eine sich wenig ändernde Abgabe, den Obrok, Frohndienste leisteten sie nicht, da es keine Domänen¬ ökonomie gab; 3) die kleinere Hälfte des cultivirten Landes war an den Dienst¬ adel vertheilt. Erblichkeit der Beneficien war nicht gesetzlich, aber natürlich ließ man den ebenfalls dienenden Söhnen die Güter, mit denen man die Dienste des Vaters belohnt hatte. Die freien Bauern in den Dörfern des Adels zahlten ihrem Herrn einen Pachtschilling, den jener willkürlich bestimmte. Daneben gab es Dörfer mit angesiedelten Haussklaven, und schließlich hatte der in den Städten wohnende Adel eine große Anzahl solcher um sich als Dienerschaft. Nur ein geringer Theil des Adels lebte auf dem Lande, aber meist ohne selbst Oekonomie zu treiben, er existirte lediglich von dem, was ihm seine Bauern steuerten. Nur in abgelegenen Gegenden, wo die letzteren den Geldobrok nicht aufbringen konnten, nahm der Adelige einen Theil der Feldmark — gewöhnlich die Hälfte des Ackerlandes, drei Fünftel der Wiesen und den ganzen Wald — in Selbst¬ cultur, und die Bauern mußten ihm dabei durch Frohndienste helfen. Nur die Rücksicht darauf, daß letztere im Stande blieben, ihre Abgaben zu zahlen, und die Furcht, sie möchten entlaufen, zügelte die Habgier, welche das an die Scholle gefesselte Volk nach Möglichkeit ausbeutete. Als Peter der Große dann dem Adel die von demselben benutzten Dienstgüter zu freiem erblichen Eigen¬ thum schenkte und die Bauern sür leibeigen erklärte, erhob er nur bereits factisch bestehende Zustände zu gesetzlichen. Unter den Bauern wurde kein Widerspruch und keine Klage laut, als sie nun Leibeigne hießen; denn thatsächlich wurde ihre Lage durch Peters Maßregeln nicht geändert. So blieben die Verhältnisse geraume Zeit, obwohl, als die westeuropäischen Ideen in Nußland einzudringen begannen, die Regierung wiederholt Anläufe nahm, die Zustände des Landvolks besser zu ordnen und den Herren mehr Ver¬ pflichtungen aufzulegen. Am besten befanden sich die Leibeignen noch in den Gegenden, wo, wie um Jaroslaw, Wladimir und Nischnij-Nowgorod, der Geld¬ obrok vorherrschte, doch waren sie auch hier vor Erpressungen nicht sicher. Starb ein Grundherr oder verkaufte er sein Gut mit den daran gebundenen Bauern, so hatten letztere alles zu befürchten. Wurde ein Gut auf Auctionen gekauft, so preßte der Käufer die dafür gezahlte Summe in der Regel so schnell wie möglich den Gutsunterthanen durch Erhöhung des Obrok wieder ab. Noch schlimmer war die Lage der Bauern da, wo die Frohnen eingeführt waren, z. B. bei Tula, Orel, Njäsan, Tambow, Woronesch und Kursk, und namentlich der kleine Adel, vollkommen roh und ungebildet, drückte hier seine Leibeignen auf das furchtbarste, ohne daß diese ein Recht hatten, sich zu beklagen. Es existirte zwar ein Gesetz von Kaiser Paul, nach welchem die Leibeignen nicht über drei Tage wöchentlich zu Frohnen gebraucht werden sollten, aber weil keine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/250>, abgerufen am 22.07.2024.