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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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schlagen und das ganze Werk scheitern zu sehen. Der Adel zeigte sich nicht
immer willig, die ihm angesonnenen Opfer zu bringen. Der Bauer mi߬
verstand zum Theil die ihm gebotene Wohlthat. Die Aufregung, welche die
kaiserliche Reformation allen Gemüthern mitgetheilt, brach hier und da in un¬
heimlicher Action, in Drohungen, Rottirungen, Brandlegungen u. tgi. los.
Nicht wenige vornehme Familien flüchteten vor dem anscheinend herannahenden
Sturme ins Ausland und verbreiteten hier die bösen Ahnungen, welche sie weg¬
getrieben. Unheilschwangere Gerüchte, um so düsterer, je weiter sie aus dem
Halbdunkel des Innern kamen, gingen eine Zeit lang wie Gespenster durch den
Westen.

Ein halbes Jahrzehnt ist seitdem verflossen, und siehe da. keine von den
Weissagungen der Unglückspropheten, die sich zu Anfang der neuen Aera Ru߬
lands vernehmen ließen, ist eingetroffen. Statt dunkler zu werden, ist es mit
jedem Jahre Heller geworden. Mehr und mehr wurde die Weisheit, welcher
der große civilisatorische Schritt des Kaisers entsprungen, von den Massen be¬
griffen, und gegenwärtig besteht kein Zweifel mehr, daß das Werk der Neu¬
bildung vollständig gelingen wird, ja zum größern Theile ist dasselbe als bereits
vollendet zu betrachten.

Wie und warum das so gekommen, beuchtet die oben genannte Schrift
eines der gründlichsten Kenner Rußlands, der schon vor Jahren darauf hinwies,
daß sich hier eine allgemeine Umwandlung vorbereitete, und der dieser, als sie
endlich begann, mit theilnehmenden Blicken und durch gute Verbindungen in
Petersburg über die Entwickelung der Angelegenheit fortlaufend unterrichtet, bis
zum Februar d. I. gefolgt ist. Der Hauptinhalt seines Buches, dem wir bei-
läufig nur eine etwas strengere Jneinanderarbeitung des Materials wünschten,
besteht in Auszügen aus den Acten der zur Untersuchung der bäuerlichen Ver¬
hältnisse Rußlands niedergesetzten Comites, aus deren Basis die neue Ordnung
der Dinge geschaffen wurde. Voraus geht eine Einleitung, welche das russische
Volk nach seinen verschiedenen Bestandtheilen, seinen hier in Frage kommenden
Neigungen und vorzüglich nach seinen Begriffen vom Eigenthum charakterisirt
und einen Ueberblick über die Grundzüge de? Agrarverfassung desselben und
deren Geschichte giebt. Zum Schluß betrachtet der Verfasser, nach einigen
Vergleichen der russischen Bauernemancipation mit ähnlichen Vorgängen in
andern Staaten, das Werk Kaiser Alexanders, so weit es vollendet ist, und
versucht, sich die weitere Entwickelung zu vergegenwärtigen, sowie Andeutungen
über das zu geben, was serner zum gedeihlichen Ausgang der Sache wünschens-
werth sein möchte. Im Nachstehenden ein Abriß des Interessantesten aus seinen
Mittheilungen, die wir damit bestens empfohlen haben wollen.

Die Hauptmasse des russischen Volkes zerfällt in zwei große Stämme, deren
Verschiedenheit für unsere Betrachtung von Wichtigkeit ist: in Klein- und Groß-


Grcnzboten III. 186S. 29

schlagen und das ganze Werk scheitern zu sehen. Der Adel zeigte sich nicht
immer willig, die ihm angesonnenen Opfer zu bringen. Der Bauer mi߬
verstand zum Theil die ihm gebotene Wohlthat. Die Aufregung, welche die
kaiserliche Reformation allen Gemüthern mitgetheilt, brach hier und da in un¬
heimlicher Action, in Drohungen, Rottirungen, Brandlegungen u. tgi. los.
Nicht wenige vornehme Familien flüchteten vor dem anscheinend herannahenden
Sturme ins Ausland und verbreiteten hier die bösen Ahnungen, welche sie weg¬
getrieben. Unheilschwangere Gerüchte, um so düsterer, je weiter sie aus dem
Halbdunkel des Innern kamen, gingen eine Zeit lang wie Gespenster durch den
Westen.

Ein halbes Jahrzehnt ist seitdem verflossen, und siehe da. keine von den
Weissagungen der Unglückspropheten, die sich zu Anfang der neuen Aera Ru߬
lands vernehmen ließen, ist eingetroffen. Statt dunkler zu werden, ist es mit
jedem Jahre Heller geworden. Mehr und mehr wurde die Weisheit, welcher
der große civilisatorische Schritt des Kaisers entsprungen, von den Massen be¬
griffen, und gegenwärtig besteht kein Zweifel mehr, daß das Werk der Neu¬
bildung vollständig gelingen wird, ja zum größern Theile ist dasselbe als bereits
vollendet zu betrachten.

Wie und warum das so gekommen, beuchtet die oben genannte Schrift
eines der gründlichsten Kenner Rußlands, der schon vor Jahren darauf hinwies,
daß sich hier eine allgemeine Umwandlung vorbereitete, und der dieser, als sie
endlich begann, mit theilnehmenden Blicken und durch gute Verbindungen in
Petersburg über die Entwickelung der Angelegenheit fortlaufend unterrichtet, bis
zum Februar d. I. gefolgt ist. Der Hauptinhalt seines Buches, dem wir bei-
läufig nur eine etwas strengere Jneinanderarbeitung des Materials wünschten,
besteht in Auszügen aus den Acten der zur Untersuchung der bäuerlichen Ver¬
hältnisse Rußlands niedergesetzten Comites, aus deren Basis die neue Ordnung
der Dinge geschaffen wurde. Voraus geht eine Einleitung, welche das russische
Volk nach seinen verschiedenen Bestandtheilen, seinen hier in Frage kommenden
Neigungen und vorzüglich nach seinen Begriffen vom Eigenthum charakterisirt
und einen Ueberblick über die Grundzüge de? Agrarverfassung desselben und
deren Geschichte giebt. Zum Schluß betrachtet der Verfasser, nach einigen
Vergleichen der russischen Bauernemancipation mit ähnlichen Vorgängen in
andern Staaten, das Werk Kaiser Alexanders, so weit es vollendet ist, und
versucht, sich die weitere Entwickelung zu vergegenwärtigen, sowie Andeutungen
über das zu geben, was serner zum gedeihlichen Ausgang der Sache wünschens-
werth sein möchte. Im Nachstehenden ein Abriß des Interessantesten aus seinen
Mittheilungen, die wir damit bestens empfohlen haben wollen.

Die Hauptmasse des russischen Volkes zerfällt in zwei große Stämme, deren
Verschiedenheit für unsere Betrachtung von Wichtigkeit ist: in Klein- und Groß-


Grcnzboten III. 186S. 29
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[0245] schlagen und das ganze Werk scheitern zu sehen. Der Adel zeigte sich nicht immer willig, die ihm angesonnenen Opfer zu bringen. Der Bauer mi߬ verstand zum Theil die ihm gebotene Wohlthat. Die Aufregung, welche die kaiserliche Reformation allen Gemüthern mitgetheilt, brach hier und da in un¬ heimlicher Action, in Drohungen, Rottirungen, Brandlegungen u. tgi. los. Nicht wenige vornehme Familien flüchteten vor dem anscheinend herannahenden Sturme ins Ausland und verbreiteten hier die bösen Ahnungen, welche sie weg¬ getrieben. Unheilschwangere Gerüchte, um so düsterer, je weiter sie aus dem Halbdunkel des Innern kamen, gingen eine Zeit lang wie Gespenster durch den Westen. Ein halbes Jahrzehnt ist seitdem verflossen, und siehe da. keine von den Weissagungen der Unglückspropheten, die sich zu Anfang der neuen Aera Ru߬ lands vernehmen ließen, ist eingetroffen. Statt dunkler zu werden, ist es mit jedem Jahre Heller geworden. Mehr und mehr wurde die Weisheit, welcher der große civilisatorische Schritt des Kaisers entsprungen, von den Massen be¬ griffen, und gegenwärtig besteht kein Zweifel mehr, daß das Werk der Neu¬ bildung vollständig gelingen wird, ja zum größern Theile ist dasselbe als bereits vollendet zu betrachten. Wie und warum das so gekommen, beuchtet die oben genannte Schrift eines der gründlichsten Kenner Rußlands, der schon vor Jahren darauf hinwies, daß sich hier eine allgemeine Umwandlung vorbereitete, und der dieser, als sie endlich begann, mit theilnehmenden Blicken und durch gute Verbindungen in Petersburg über die Entwickelung der Angelegenheit fortlaufend unterrichtet, bis zum Februar d. I. gefolgt ist. Der Hauptinhalt seines Buches, dem wir bei- läufig nur eine etwas strengere Jneinanderarbeitung des Materials wünschten, besteht in Auszügen aus den Acten der zur Untersuchung der bäuerlichen Ver¬ hältnisse Rußlands niedergesetzten Comites, aus deren Basis die neue Ordnung der Dinge geschaffen wurde. Voraus geht eine Einleitung, welche das russische Volk nach seinen verschiedenen Bestandtheilen, seinen hier in Frage kommenden Neigungen und vorzüglich nach seinen Begriffen vom Eigenthum charakterisirt und einen Ueberblick über die Grundzüge de? Agrarverfassung desselben und deren Geschichte giebt. Zum Schluß betrachtet der Verfasser, nach einigen Vergleichen der russischen Bauernemancipation mit ähnlichen Vorgängen in andern Staaten, das Werk Kaiser Alexanders, so weit es vollendet ist, und versucht, sich die weitere Entwickelung zu vergegenwärtigen, sowie Andeutungen über das zu geben, was serner zum gedeihlichen Ausgang der Sache wünschens- werth sein möchte. Im Nachstehenden ein Abriß des Interessantesten aus seinen Mittheilungen, die wir damit bestens empfohlen haben wollen. Die Hauptmasse des russischen Volkes zerfällt in zwei große Stämme, deren Verschiedenheit für unsere Betrachtung von Wichtigkeit ist: in Klein- und Groß- Grcnzboten III. 186S. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/245>, abgerufen am 22.07.2024.