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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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habe es die französische Allianz vorgezogen. In dem Kriege, welchen die Ver¬
träge von 1815 beendigten, hätte dieses ohne die wirksame Hilfe Sardiniens
von Anfang an rasch seine Besitzungen in Italien verloren. Dies zum Beweis,
daß Oestreich keine Ursache habe, mißtrauisch gegen Sardinien zu sein.

Besser als England nahm auch in diesem Fall Rußland sich der Interessen
Piemonts gegen die östreichischen Zumuthungen an. Graf de Maistre wandte
sich im Januar in einer Note an Nesselrode, worin es hieß: Der Bund, den
uns Oestreich vorschlägt, vergrößert unsre Verlegenheiten und Gefahren. Die
Weisheit S. K. M. braucht nicht erst auf die Folgen aufmerksam gemacht zu
werden, welche daraus entspringen würden. Mein Herr wendet sich an den
Kaiser aller Reußen nicht allein in seiner Eigenschaft als König von Sardinien,
sondern er spricht als italienischer Fürst, als Mitglied der europäischen Souve-
ränetät, als Vertheidiger der allgemeinen Gerechtigkeit und der Treue gegen
die Verträge. Ohne eine neue Anstrengung des Kaisers von Rußland giebt
es kein politisches Gleichgewicht mehr; Italien geht zu Grunde, alle italienischen
Fürsten werden nur noch Vasallen Oestreichs sein und in kurzem nicht mehr
existiren. Der König von Sardinien ist zunächst bedroht, darum ist es ganz
natürlich, daß der Plan, ganz Italien zu unterjochen, keinen standhafteren Gegner
hat als ihn.

Diese warme Anrufung der Dienste des Czaren hatte den besten Erfolg.
Kaiser Alexander schrieb einen eigenhändigen Brief an Victor Emanuel. um
ihn M versichern, daß er ihn Oestreich nicht preisgeben werde, und der russische
Gesandte in Wien wurde beauftragt dem Fürsten Metternich zu erklären, nach
der Ansicht des Petersburger Cabinets stünde das Andrängen Oestreichs, Sar¬
dinien zu einer besonderen Allianz zu bewegen, in offenbarem Widerspruch mit
den in Gemeinschaft mit Rußland übernommenen Verpflichtungen, laut deren
die Quadrupelallianz jede Separatübereinkunst ausschließe. Der Kaiser von
Rußland wäre deshalb sehr erfreut zu vernehmen, daß das wiener Cabtnet den
Plan einer besonderen Konföderation mit dem König von Sardinien gänzlich
aufgegeben habe.

Metternich hatte auf diese Vorstellungen die verbindlichsten Zusicherungen
bereit, 'aber er gab seine Absichten keineswegs auf. Da der diplomatische Weg
zu nichts zu führen schien, richtete Kaiser Franz im October 1816 ein eigen¬
händiges vertrauliches Schreiben an Victor Emanuel, worin er die Versicherung
gab, der wiener Hof wolle dem von Turin niemals wieder die geringste Zu-
muthung einer Gebietsabtretung machen, wenn dieser der vorgeschlagenen Con-
föderation beitreten wolle, so zwar, daß Oestreich einzig als italienische Macht
in dieselbe eintreten würde, und unter denjenigen Bedingungen, >die durch ge¬
meinsame 'Uebereinkunst festgestellt > würden.

Aber däs Mißtrauen gegen die wiener Politik war im turiner Königs-


habe es die französische Allianz vorgezogen. In dem Kriege, welchen die Ver¬
träge von 1815 beendigten, hätte dieses ohne die wirksame Hilfe Sardiniens
von Anfang an rasch seine Besitzungen in Italien verloren. Dies zum Beweis,
daß Oestreich keine Ursache habe, mißtrauisch gegen Sardinien zu sein.

Besser als England nahm auch in diesem Fall Rußland sich der Interessen
Piemonts gegen die östreichischen Zumuthungen an. Graf de Maistre wandte
sich im Januar in einer Note an Nesselrode, worin es hieß: Der Bund, den
uns Oestreich vorschlägt, vergrößert unsre Verlegenheiten und Gefahren. Die
Weisheit S. K. M. braucht nicht erst auf die Folgen aufmerksam gemacht zu
werden, welche daraus entspringen würden. Mein Herr wendet sich an den
Kaiser aller Reußen nicht allein in seiner Eigenschaft als König von Sardinien,
sondern er spricht als italienischer Fürst, als Mitglied der europäischen Souve-
ränetät, als Vertheidiger der allgemeinen Gerechtigkeit und der Treue gegen
die Verträge. Ohne eine neue Anstrengung des Kaisers von Rußland giebt
es kein politisches Gleichgewicht mehr; Italien geht zu Grunde, alle italienischen
Fürsten werden nur noch Vasallen Oestreichs sein und in kurzem nicht mehr
existiren. Der König von Sardinien ist zunächst bedroht, darum ist es ganz
natürlich, daß der Plan, ganz Italien zu unterjochen, keinen standhafteren Gegner
hat als ihn.

Diese warme Anrufung der Dienste des Czaren hatte den besten Erfolg.
Kaiser Alexander schrieb einen eigenhändigen Brief an Victor Emanuel. um
ihn M versichern, daß er ihn Oestreich nicht preisgeben werde, und der russische
Gesandte in Wien wurde beauftragt dem Fürsten Metternich zu erklären, nach
der Ansicht des Petersburger Cabinets stünde das Andrängen Oestreichs, Sar¬
dinien zu einer besonderen Allianz zu bewegen, in offenbarem Widerspruch mit
den in Gemeinschaft mit Rußland übernommenen Verpflichtungen, laut deren
die Quadrupelallianz jede Separatübereinkunst ausschließe. Der Kaiser von
Rußland wäre deshalb sehr erfreut zu vernehmen, daß das wiener Cabtnet den
Plan einer besonderen Konföderation mit dem König von Sardinien gänzlich
aufgegeben habe.

Metternich hatte auf diese Vorstellungen die verbindlichsten Zusicherungen
bereit, 'aber er gab seine Absichten keineswegs auf. Da der diplomatische Weg
zu nichts zu führen schien, richtete Kaiser Franz im October 1816 ein eigen¬
händiges vertrauliches Schreiben an Victor Emanuel, worin er die Versicherung
gab, der wiener Hof wolle dem von Turin niemals wieder die geringste Zu-
muthung einer Gebietsabtretung machen, wenn dieser der vorgeschlagenen Con-
föderation beitreten wolle, so zwar, daß Oestreich einzig als italienische Macht
in dieselbe eintreten würde, und unter denjenigen Bedingungen, >die durch ge¬
meinsame 'Uebereinkunst festgestellt > würden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/232>, abgerufen am 22.07.2024.