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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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ger und Bauer huldreich und besorgt für sein Inlelcsse zu erweisen, die Local-
geschichle erhielt i" den Lehrbüchern der Volksschulen und i>! der Bildung der
Elementarlehrer eine bedeutsame Stelle. Durch diese Mittel, gute und bedenk¬
liche, wurde zumal dem heranwachsenden Geschlecht, ein Stammes- und Pie'läts-
gefühl imprägnirt. welches jetzt bereits in Blüthe steht. Dies Gefühl hat nach
Besetzung Hannovers und Sachsens durch die Preußen noch viele hundert
Beurlaubte und Reservisten veranlaßt, dem ausgewanderten Heere nachzuziehen,
es bewirkte häufig einen geheimen Widerstand des Volkes gegen die Occuvations-
truppen, der sich täglich in kleinen Zügen, von Bevorzugung der östreichischen
Gefangenen bis zum Abreißen preußischer Placate, verrieth. Diese Stimmung
der Massen ist zur Zeit noch wenig geändert. Anders freilich steht es bei der
kleineren Zahl, welche sich über ihre politischen und Verkehrsinteressen ein selb¬
ständiges Urtheil zu bilden vermögen. Die plötzliche Kraftentwickelung, die un¬
geheuern Erfolge haben erschreckt, betäubt, fortgerissen, auch die Gedanken der
Einsichtigen anders gerichtet, neben widerwilliger Achtung ist Bewunderung und
Vertrauen zu der Zukunft Preußens in vielen Tausenden erwacht. Aber auch in
der Classe der Leitenden ist dieser Proceß keineswegs so weit fortgeschritten, daß
Wahlen, welche schon jetzt in Sachsen oder Hannover ausgeschrieben werden,
nur feste Anhänger des Bundesstaates in die neue Volksvertretung entsenden
würden. Es käme wenig darauf an, ob die Wahlen Minoritätswahlen würden,
wie einst zu dem erfurter Parlament; denn das Preußen, welches jetzt den
Schutz dieser Versammlung bildet, steht weit anders zu Deutschland und Europa,
als das Preußen des Herrn v. Radowitz. Gefährlich aber würde der Fall, wenn
auch die Gegner des Bundesstaates sich stark bei den Wahlen betheiligten.
Denn es ist anzunehmen, daß diese zur Zeit in nicht wenigen Wahlkreisen die
Majorität erhalten würden.

Nun liegt es im Wesen jeder parlamentarischen Versammlung, daß die
Mitglieder die Befugnisse derselben hoch fassen; auch würde bei nicht wenigen
Separatisten das Parlament den innern Bel.ehrungsproccß zeitigen. Dennoch
wäre noch zu fürchten, daß Preußen in dem Parlament selbst eine zwiefache
Opposition fände. Zunächst der Particularisten. Dann der eifrigen nationalen,
welche dem liebgewordenen Satz: das ganze Deutschland soll es sein, auch
unter den gegebenen Umständen nicht entsagen wollten. Es ist aber nothwendig,
daß die Verhandlungen dieser neuen Körperschaft einen Eindruck machen, welcher
der Größe des Moments würdig ist.

Für die zahlreichen Unsicheren, welche noch zwischen gemüthlicher Neigung
zu der alten Zeit und zwischen gerechter Würdigung der neuen schwanken, ist
vor allem nöthig, daß sie zuvor erfahren, was aus der politischen Existenz ihres
eigenen Staates geworden ist. So lange die Sachsen, Hessen. Hannoveraner,
Nassauer und andere unsicher sind, ob sie in ihrem bisherigen Staatsverband


ger und Bauer huldreich und besorgt für sein Inlelcsse zu erweisen, die Local-
geschichle erhielt i» den Lehrbüchern der Volksschulen und i>! der Bildung der
Elementarlehrer eine bedeutsame Stelle. Durch diese Mittel, gute und bedenk¬
liche, wurde zumal dem heranwachsenden Geschlecht, ein Stammes- und Pie'läts-
gefühl imprägnirt. welches jetzt bereits in Blüthe steht. Dies Gefühl hat nach
Besetzung Hannovers und Sachsens durch die Preußen noch viele hundert
Beurlaubte und Reservisten veranlaßt, dem ausgewanderten Heere nachzuziehen,
es bewirkte häufig einen geheimen Widerstand des Volkes gegen die Occuvations-
truppen, der sich täglich in kleinen Zügen, von Bevorzugung der östreichischen
Gefangenen bis zum Abreißen preußischer Placate, verrieth. Diese Stimmung
der Massen ist zur Zeit noch wenig geändert. Anders freilich steht es bei der
kleineren Zahl, welche sich über ihre politischen und Verkehrsinteressen ein selb¬
ständiges Urtheil zu bilden vermögen. Die plötzliche Kraftentwickelung, die un¬
geheuern Erfolge haben erschreckt, betäubt, fortgerissen, auch die Gedanken der
Einsichtigen anders gerichtet, neben widerwilliger Achtung ist Bewunderung und
Vertrauen zu der Zukunft Preußens in vielen Tausenden erwacht. Aber auch in
der Classe der Leitenden ist dieser Proceß keineswegs so weit fortgeschritten, daß
Wahlen, welche schon jetzt in Sachsen oder Hannover ausgeschrieben werden,
nur feste Anhänger des Bundesstaates in die neue Volksvertretung entsenden
würden. Es käme wenig darauf an, ob die Wahlen Minoritätswahlen würden,
wie einst zu dem erfurter Parlament; denn das Preußen, welches jetzt den
Schutz dieser Versammlung bildet, steht weit anders zu Deutschland und Europa,
als das Preußen des Herrn v. Radowitz. Gefährlich aber würde der Fall, wenn
auch die Gegner des Bundesstaates sich stark bei den Wahlen betheiligten.
Denn es ist anzunehmen, daß diese zur Zeit in nicht wenigen Wahlkreisen die
Majorität erhalten würden.

Nun liegt es im Wesen jeder parlamentarischen Versammlung, daß die
Mitglieder die Befugnisse derselben hoch fassen; auch würde bei nicht wenigen
Separatisten das Parlament den innern Bel.ehrungsproccß zeitigen. Dennoch
wäre noch zu fürchten, daß Preußen in dem Parlament selbst eine zwiefache
Opposition fände. Zunächst der Particularisten. Dann der eifrigen nationalen,
welche dem liebgewordenen Satz: das ganze Deutschland soll es sein, auch
unter den gegebenen Umständen nicht entsagen wollten. Es ist aber nothwendig,
daß die Verhandlungen dieser neuen Körperschaft einen Eindruck machen, welcher
der Größe des Moments würdig ist.

Für die zahlreichen Unsicheren, welche noch zwischen gemüthlicher Neigung
zu der alten Zeit und zwischen gerechter Würdigung der neuen schwanken, ist
vor allem nöthig, daß sie zuvor erfahren, was aus der politischen Existenz ihres
eigenen Staates geworden ist. So lange die Sachsen, Hessen. Hannoveraner,
Nassauer und andere unsicher sind, ob sie in ihrem bisherigen Staatsverband


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/225>, abgerufen am 22.07.2024.