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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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handelte, für die Verkehrsbedürfnisse der abgeschiedenen Provinz aus klar er"
kannter Interessengemeinschaft zu rechter Zeit das Nöthige zu thun. Das Land
war zu groß, um nicht verschiedenartige, einander häusig widerstreitende Inter¬
essen zu beherbergen, unter denen diejenigen Ostfrieslands der Regel nach allein
stehen und folglich zurückgesetzt werden mußten. Es war aber wiederum nicht
groß genug, um überhaupt keinerlei Provinzialinteressen ein Uebergewicht zu¬
zugestehen , und alle in ihm verbundenen Theile großartig zu fördern, mächtig
zu beschützen.

Die Ostfriesen haben lange Zeit in ihrer Masse ein ganz naturwüchsiges,
aus Mangel an wohlthuender Berührung entspringendes Mißtrauen gegen
alles Fremde gehegt; das "Reich" lag jenseits ihrer Grenze. Wo sich diese
Empfindung ohne weitere Berechtigung auf gemeinschaftliche öffentliche Verhält¬
nisse übertrug, da mochte man es den übrigen Hannoveranern nicht verargen,
wenn sie ihre ostfriesischen Mitbürger zum Nachtheil der gemeinen Sache in
Staatsangelegenheiten spröde und unfruchtbar fanden, zähe in der bloßen Ab¬
wehr, aber unergiebig für jede positive und praktisch schöpferische Politik. Aber
es wäre falsch, auf diese historisch und geographisch begründete Anlage des
Volkscharakters ihre ganze Abneigung gegen die staatliche Zusammengehörigkeit
mit den Hannoveranern zurückzuführen. Provinziale Selbstgenügsamkeit läßt
sich allemal leichter und Ueber aufsaugen von einem großen als von einem
kleinen Staatsverband. Der Staat Hannover konnte Leuten, die sich noch
erinnerten dem Staate Friedrichs des Großen angehört zu haben, unmöglich
jemals imponiren, am wenigsten aber, seitdem der letzte der Welsen diesen Staat
durch seine unsterblichen Reden fast zu einer Posse heruntersetzte.

Als hannoversche Provinz hat sich Ostfriesland unter den übrigen von
jeher benachtheiligt gefühlt. Man ist dort am spätesten verhältnißmäßig mit
Chausseen, am spätesten mit einer Eisenbahn bedacht worden. Der Eisenbahntarif
nimmt auf die Bedürfnisse des ostfriesischen Handels keine Rücksicht. Die Häfen
Emden und Leer werden vernachlässigt, während an Harburg und Geestemünde Mil¬
lionen verschwendet worden sind, die doch nur Hamburg und Bremen zu Gute
kommen, denen die Welfenpolitik sich eingebildet hat die Federn damit aus¬
zurupfen. Charakteristisch in jedem Sinne, ein Miniaturbild der hannoverschen
Zustände unter dem König Georg ist besonders die Geschichte der entrer Schleuse,
an welche sich die berühmte königliche Drohung knüpfte, ihren Bau von dem
Abfall der emdener Bürger vom Nationalverein abhängig machen zu wollen.
Holländische Unternehmer hatten sich erboten sie umsonst herzustellen, wenn man
ihnen das dabei einzudeichende Land auf fünfzehn Jahre zu beliebiger Benutzung
überlasse. Man wies sie ab, und mit ihnen die überlegene Wasserbaukunst der
Holländer. Hannöversche Techniker bauten die Schleuse theurer und schlechter;
die Stadt Emden mußte sich in Schulden stürzen, um von den Kosten des


handelte, für die Verkehrsbedürfnisse der abgeschiedenen Provinz aus klar er»
kannter Interessengemeinschaft zu rechter Zeit das Nöthige zu thun. Das Land
war zu groß, um nicht verschiedenartige, einander häusig widerstreitende Inter¬
essen zu beherbergen, unter denen diejenigen Ostfrieslands der Regel nach allein
stehen und folglich zurückgesetzt werden mußten. Es war aber wiederum nicht
groß genug, um überhaupt keinerlei Provinzialinteressen ein Uebergewicht zu¬
zugestehen , und alle in ihm verbundenen Theile großartig zu fördern, mächtig
zu beschützen.

Die Ostfriesen haben lange Zeit in ihrer Masse ein ganz naturwüchsiges,
aus Mangel an wohlthuender Berührung entspringendes Mißtrauen gegen
alles Fremde gehegt; das „Reich" lag jenseits ihrer Grenze. Wo sich diese
Empfindung ohne weitere Berechtigung auf gemeinschaftliche öffentliche Verhält¬
nisse übertrug, da mochte man es den übrigen Hannoveranern nicht verargen,
wenn sie ihre ostfriesischen Mitbürger zum Nachtheil der gemeinen Sache in
Staatsangelegenheiten spröde und unfruchtbar fanden, zähe in der bloßen Ab¬
wehr, aber unergiebig für jede positive und praktisch schöpferische Politik. Aber
es wäre falsch, auf diese historisch und geographisch begründete Anlage des
Volkscharakters ihre ganze Abneigung gegen die staatliche Zusammengehörigkeit
mit den Hannoveranern zurückzuführen. Provinziale Selbstgenügsamkeit läßt
sich allemal leichter und Ueber aufsaugen von einem großen als von einem
kleinen Staatsverband. Der Staat Hannover konnte Leuten, die sich noch
erinnerten dem Staate Friedrichs des Großen angehört zu haben, unmöglich
jemals imponiren, am wenigsten aber, seitdem der letzte der Welsen diesen Staat
durch seine unsterblichen Reden fast zu einer Posse heruntersetzte.

Als hannoversche Provinz hat sich Ostfriesland unter den übrigen von
jeher benachtheiligt gefühlt. Man ist dort am spätesten verhältnißmäßig mit
Chausseen, am spätesten mit einer Eisenbahn bedacht worden. Der Eisenbahntarif
nimmt auf die Bedürfnisse des ostfriesischen Handels keine Rücksicht. Die Häfen
Emden und Leer werden vernachlässigt, während an Harburg und Geestemünde Mil¬
lionen verschwendet worden sind, die doch nur Hamburg und Bremen zu Gute
kommen, denen die Welfenpolitik sich eingebildet hat die Federn damit aus¬
zurupfen. Charakteristisch in jedem Sinne, ein Miniaturbild der hannoverschen
Zustände unter dem König Georg ist besonders die Geschichte der entrer Schleuse,
an welche sich die berühmte königliche Drohung knüpfte, ihren Bau von dem
Abfall der emdener Bürger vom Nationalverein abhängig machen zu wollen.
Holländische Unternehmer hatten sich erboten sie umsonst herzustellen, wenn man
ihnen das dabei einzudeichende Land auf fünfzehn Jahre zu beliebiger Benutzung
überlasse. Man wies sie ab, und mit ihnen die überlegene Wasserbaukunst der
Holländer. Hannöversche Techniker bauten die Schleuse theurer und schlechter;
die Stadt Emden mußte sich in Schulden stürzen, um von den Kosten des


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[0216] handelte, für die Verkehrsbedürfnisse der abgeschiedenen Provinz aus klar er» kannter Interessengemeinschaft zu rechter Zeit das Nöthige zu thun. Das Land war zu groß, um nicht verschiedenartige, einander häusig widerstreitende Inter¬ essen zu beherbergen, unter denen diejenigen Ostfrieslands der Regel nach allein stehen und folglich zurückgesetzt werden mußten. Es war aber wiederum nicht groß genug, um überhaupt keinerlei Provinzialinteressen ein Uebergewicht zu¬ zugestehen , und alle in ihm verbundenen Theile großartig zu fördern, mächtig zu beschützen. Die Ostfriesen haben lange Zeit in ihrer Masse ein ganz naturwüchsiges, aus Mangel an wohlthuender Berührung entspringendes Mißtrauen gegen alles Fremde gehegt; das „Reich" lag jenseits ihrer Grenze. Wo sich diese Empfindung ohne weitere Berechtigung auf gemeinschaftliche öffentliche Verhält¬ nisse übertrug, da mochte man es den übrigen Hannoveranern nicht verargen, wenn sie ihre ostfriesischen Mitbürger zum Nachtheil der gemeinen Sache in Staatsangelegenheiten spröde und unfruchtbar fanden, zähe in der bloßen Ab¬ wehr, aber unergiebig für jede positive und praktisch schöpferische Politik. Aber es wäre falsch, auf diese historisch und geographisch begründete Anlage des Volkscharakters ihre ganze Abneigung gegen die staatliche Zusammengehörigkeit mit den Hannoveranern zurückzuführen. Provinziale Selbstgenügsamkeit läßt sich allemal leichter und Ueber aufsaugen von einem großen als von einem kleinen Staatsverband. Der Staat Hannover konnte Leuten, die sich noch erinnerten dem Staate Friedrichs des Großen angehört zu haben, unmöglich jemals imponiren, am wenigsten aber, seitdem der letzte der Welsen diesen Staat durch seine unsterblichen Reden fast zu einer Posse heruntersetzte. Als hannoversche Provinz hat sich Ostfriesland unter den übrigen von jeher benachtheiligt gefühlt. Man ist dort am spätesten verhältnißmäßig mit Chausseen, am spätesten mit einer Eisenbahn bedacht worden. Der Eisenbahntarif nimmt auf die Bedürfnisse des ostfriesischen Handels keine Rücksicht. Die Häfen Emden und Leer werden vernachlässigt, während an Harburg und Geestemünde Mil¬ lionen verschwendet worden sind, die doch nur Hamburg und Bremen zu Gute kommen, denen die Welfenpolitik sich eingebildet hat die Federn damit aus¬ zurupfen. Charakteristisch in jedem Sinne, ein Miniaturbild der hannoverschen Zustände unter dem König Georg ist besonders die Geschichte der entrer Schleuse, an welche sich die berühmte königliche Drohung knüpfte, ihren Bau von dem Abfall der emdener Bürger vom Nationalverein abhängig machen zu wollen. Holländische Unternehmer hatten sich erboten sie umsonst herzustellen, wenn man ihnen das dabei einzudeichende Land auf fünfzehn Jahre zu beliebiger Benutzung überlasse. Man wies sie ab, und mit ihnen die überlegene Wasserbaukunst der Holländer. Hannöversche Techniker bauten die Schleuse theurer und schlechter; die Stadt Emden mußte sich in Schulden stürzen, um von den Kosten des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/216>, abgerufen am 22.07.2024.