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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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daß ich Der einige derartige Züge von Feigheit selbst nach früheren Erfahrungen
erstaunt gewesen bin. Doch mehrt sich nach und nach die Zahl der offnen
Preußenfreunde. Die hannoverschen Erklärungen scheinen für viele ein will¬
kommener Anlaß zu sein, ihrem Herzen Luft zu machen; grade in diesen Tagen
beginnt unter den früheren gemäßigten Augustenburgern (den s. g. "Blauen")
eine stille Agitation für diese Erklärungen, die freilich dem stärksten -- selbst
thätlichen -- Widerstande der Treuen begegnet. Bei den zahlreichen Verbin¬
dungen der Blauen mit den Höfischen und der geringen Energie eines Theiles
von ihnen wage ich noch nicht zu hoffen, daß sie offen mit allen Rücksichten
brechen und den bennigschen Resolutionen zustimmen.

In gewissen Kreisen ist natürlich durch die neuesten Ereignisse tiefe Spal¬
tung eingetreten. Die bisher mühsam verdeckte Uneinigkeit des akademischen
Konsistoriums (Senats), von dem ein Theil, durch zwei Neuberufene gekräftigt,
schon ganz preußisch gesinnt war, ein anderer wenigstens daran dachte, sich der
unbedingten Leitung der Exaltados, wie Forchhammer, Karsten u. s. w., zu ent¬
ziehen, ist offen an den Tag getreten: bei der Reversfrage und bei späteren
Gelegenheiten zeigte sich, wie gering die Zahl der unbedingt augustenburgisch
gesinnten Professoren war und jetzt hat sich schon eine bedeutende Zahl von
ihnen entschieden für Preußen erklärt. Allerdings ist der politische Nimbus
der Universität, der durch ein einmüthiges Auftreten in gewissen bedeutungs¬
vollen Augenblicken gewonnen war, vollständig dahin. Mit der Universität
kann sich aber noch mancher politische Held trösten. der jetzt ganz kleinlaut ge-
worden ist und nöthigenfglls persönlich Bismarck um sein Wohlwollen bitten
würde.

Aber wir wiederholen, daß sich diese wirklichen und gezwungenen Bekeh¬
rungen fast n,ur auf die Gebildeten erstrecken und auch unter diesen wohl
die Majorität preußenfeindlich geblieben sein mag. Die große Masse "hält
unerschütterlich fest", d. h. sie schilt im Stillen aus die verdammten Preußen,
leistet aber der Obrigkeit denselben Gehorsam, wie weiland den Dänen und
denkt im Uebrigen viel mehr an ihre täglichen Geschäfte als an politische Dinge.
Wer etwa thatsächlichen Widerstand erwartet hat, findet sich bitter getäuscht.
Wie in Schleswig nur eine einzige Uebertretung der s. g. Zuchthausverord¬
nung bekannt geworden ist, so fügt sich auch hier alles und würde sich selbst
fügen, sperr viel drückendere Bestimmungen gegeben würden. Waghalsiger
Muth fehlen eben unsern, wackern, aber höchst passiven und phlegmatischen
Volke. D"S wußte die. preußische Regierung, vermuthlich durch Manteuffels
eigene Erfahrung belehrt, als sie es wagte, beim Angriff auf das Welfenreich
das eben erst besetzte und im Ganzen sehr unfreundlich gesinnte^ Land fast
vollständig von Truppen zu entblößen. Keine Hand hat sich gegen Preußen
gerührt.


daß ich Der einige derartige Züge von Feigheit selbst nach früheren Erfahrungen
erstaunt gewesen bin. Doch mehrt sich nach und nach die Zahl der offnen
Preußenfreunde. Die hannoverschen Erklärungen scheinen für viele ein will¬
kommener Anlaß zu sein, ihrem Herzen Luft zu machen; grade in diesen Tagen
beginnt unter den früheren gemäßigten Augustenburgern (den s. g. „Blauen")
eine stille Agitation für diese Erklärungen, die freilich dem stärksten — selbst
thätlichen — Widerstande der Treuen begegnet. Bei den zahlreichen Verbin¬
dungen der Blauen mit den Höfischen und der geringen Energie eines Theiles
von ihnen wage ich noch nicht zu hoffen, daß sie offen mit allen Rücksichten
brechen und den bennigschen Resolutionen zustimmen.

In gewissen Kreisen ist natürlich durch die neuesten Ereignisse tiefe Spal¬
tung eingetreten. Die bisher mühsam verdeckte Uneinigkeit des akademischen
Konsistoriums (Senats), von dem ein Theil, durch zwei Neuberufene gekräftigt,
schon ganz preußisch gesinnt war, ein anderer wenigstens daran dachte, sich der
unbedingten Leitung der Exaltados, wie Forchhammer, Karsten u. s. w., zu ent¬
ziehen, ist offen an den Tag getreten: bei der Reversfrage und bei späteren
Gelegenheiten zeigte sich, wie gering die Zahl der unbedingt augustenburgisch
gesinnten Professoren war und jetzt hat sich schon eine bedeutende Zahl von
ihnen entschieden für Preußen erklärt. Allerdings ist der politische Nimbus
der Universität, der durch ein einmüthiges Auftreten in gewissen bedeutungs¬
vollen Augenblicken gewonnen war, vollständig dahin. Mit der Universität
kann sich aber noch mancher politische Held trösten. der jetzt ganz kleinlaut ge-
worden ist und nöthigenfglls persönlich Bismarck um sein Wohlwollen bitten
würde.

Aber wir wiederholen, daß sich diese wirklichen und gezwungenen Bekeh¬
rungen fast n,ur auf die Gebildeten erstrecken und auch unter diesen wohl
die Majorität preußenfeindlich geblieben sein mag. Die große Masse „hält
unerschütterlich fest", d. h. sie schilt im Stillen aus die verdammten Preußen,
leistet aber der Obrigkeit denselben Gehorsam, wie weiland den Dänen und
denkt im Uebrigen viel mehr an ihre täglichen Geschäfte als an politische Dinge.
Wer etwa thatsächlichen Widerstand erwartet hat, findet sich bitter getäuscht.
Wie in Schleswig nur eine einzige Uebertretung der s. g. Zuchthausverord¬
nung bekannt geworden ist, so fügt sich auch hier alles und würde sich selbst
fügen, sperr viel drückendere Bestimmungen gegeben würden. Waghalsiger
Muth fehlen eben unsern, wackern, aber höchst passiven und phlegmatischen
Volke. D«S wußte die. preußische Regierung, vermuthlich durch Manteuffels
eigene Erfahrung belehrt, als sie es wagte, beim Angriff auf das Welfenreich
das eben erst besetzte und im Ganzen sehr unfreundlich gesinnte^ Land fast
vollständig von Truppen zu entblößen. Keine Hand hat sich gegen Preußen
gerührt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/212>, abgerufen am 22.07.2024.