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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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durch Mittel, die um so schwerer zu billigen sind, weil sie nutzlos waren --
gezwungen ist zu neuer Revision der Acten seiner Jüngstvergangenheit. Ist
ihm am meisten wehgethan worden, so wird es ihm am schönsten auftehn, die
Form der Zumuthung, die ihm gestellt wurde, um ihres Inhalts willen zu ver¬
gessen. Vielleicht darf, was kürzlich in dieser Beziehung aus Norden gemeldet
wurde -- die Glückwünsche der Gemeindevertreter von Flensburg und Husum
an König Wilhelm -- als Beweis der Besinnung und des Freimuths gelten,
der eigentt besserer Erkenntniß die Ehre giebt.

Denn so wenig das Recht der Selbstbestimmung auch das Recht zu poli¬
tischem Selbstmord einschließt, so wenig kann bei dem Volke Norddeutschlands
zweifelhaft sein, daß nur die Form des Anschlusses an Preußen Gegenstand
seiner Selbstberathung ist. Hier bekommt die Schleswig-holsteinische Frage--
wie uns scheint -- die exemplarische Bedeutung wieder, die eine Zeit lang be¬
stritten worden ist. Wer mit der Alternative ..Bundesstaat oder Einheitsstaat"
an sie herantritt, muß erkennen, daß die Constituirung von "Preußen zweiter
Classe" schwereres Unrecht gegen einen braven Volksstamm gewesen wäre,
als die Beseitigung seines freilich gut abgelagerten, aber zufolge der Auffassung
seines Trägers den nationalen Anforderungen hinderlichen legitimen Rechts. Es
Verhält sich damit nicht unähnlich wie Mit der Bestimmung des wiener Kon¬
gresses über das Königreich Sachsen. In hohem Grade Unrecht, weil schwere
Verletzung der Staminesintegrität, War die Theilung; die Annexion des ganzen
Landes würde dagegen nur Steigerung dieser Integrität gewesen sein. Auch
Theilung der Rechte kann nur demüthigen, und es ist immer Vortheil, das
Kind beim rechten Namen zu nennen. Die deutsche Frage wird sich nun doch
als die Schleswig-holsteinische im Großen darstellen und es ist an uns. zu zeigen,
ob die Erfahrungen, die wir dort gemacht haben, uns hier verloren sind. Fast
dürfen wenigstens für die norddeutschen Mittelstaat-en die Voraussetzungen als
beseitigt angesehen werden, unter denen Graf Bismarck den Bundesstaat anbot.
Der Verblendung Sachsens. Hannovers, Hessens danken wir einen guten Fort¬
schritt in der Tendenz zum Einheitsstaat, wenigstens zur ersten Stufe desselben,
zu einem im Norden und Westen vervollständigten Preußen. --

Jetzt bereitet die preußische Regierung die Wahlen zum deutschen Parla¬
mente vor. Es wird unmöglich sein, sie auf gewöhnlichem loyalen Wege zu
Stande zu bringen. Zum ersten Male sind die preußischen Civilcommissare
genöthigt, nicht blos über die Köpfe der noch bestehenden Landesverwaltungen
der occupirten Staaten hinweg, sondern trotz ihres Protestes, ja vielleicht trotz
eines Widerstandes, der ihnen die Existenz kostet, sich mit einem politischen
Postulat ans Volk zu wenden. Eine Thatsache, die schwere Conflicte des Rechts¬
bewußtseins mit sich bringt, die aber um so geeigneter ist, freier Ueberzeugung,
welche sog^r über die heiligen Schranken der Städteordnung halsbrecherisch


durch Mittel, die um so schwerer zu billigen sind, weil sie nutzlos waren —
gezwungen ist zu neuer Revision der Acten seiner Jüngstvergangenheit. Ist
ihm am meisten wehgethan worden, so wird es ihm am schönsten auftehn, die
Form der Zumuthung, die ihm gestellt wurde, um ihres Inhalts willen zu ver¬
gessen. Vielleicht darf, was kürzlich in dieser Beziehung aus Norden gemeldet
wurde — die Glückwünsche der Gemeindevertreter von Flensburg und Husum
an König Wilhelm — als Beweis der Besinnung und des Freimuths gelten,
der eigentt besserer Erkenntniß die Ehre giebt.

Denn so wenig das Recht der Selbstbestimmung auch das Recht zu poli¬
tischem Selbstmord einschließt, so wenig kann bei dem Volke Norddeutschlands
zweifelhaft sein, daß nur die Form des Anschlusses an Preußen Gegenstand
seiner Selbstberathung ist. Hier bekommt die Schleswig-holsteinische Frage—
wie uns scheint — die exemplarische Bedeutung wieder, die eine Zeit lang be¬
stritten worden ist. Wer mit der Alternative ..Bundesstaat oder Einheitsstaat"
an sie herantritt, muß erkennen, daß die Constituirung von „Preußen zweiter
Classe" schwereres Unrecht gegen einen braven Volksstamm gewesen wäre,
als die Beseitigung seines freilich gut abgelagerten, aber zufolge der Auffassung
seines Trägers den nationalen Anforderungen hinderlichen legitimen Rechts. Es
Verhält sich damit nicht unähnlich wie Mit der Bestimmung des wiener Kon¬
gresses über das Königreich Sachsen. In hohem Grade Unrecht, weil schwere
Verletzung der Staminesintegrität, War die Theilung; die Annexion des ganzen
Landes würde dagegen nur Steigerung dieser Integrität gewesen sein. Auch
Theilung der Rechte kann nur demüthigen, und es ist immer Vortheil, das
Kind beim rechten Namen zu nennen. Die deutsche Frage wird sich nun doch
als die Schleswig-holsteinische im Großen darstellen und es ist an uns. zu zeigen,
ob die Erfahrungen, die wir dort gemacht haben, uns hier verloren sind. Fast
dürfen wenigstens für die norddeutschen Mittelstaat-en die Voraussetzungen als
beseitigt angesehen werden, unter denen Graf Bismarck den Bundesstaat anbot.
Der Verblendung Sachsens. Hannovers, Hessens danken wir einen guten Fort¬
schritt in der Tendenz zum Einheitsstaat, wenigstens zur ersten Stufe desselben,
zu einem im Norden und Westen vervollständigten Preußen. —

Jetzt bereitet die preußische Regierung die Wahlen zum deutschen Parla¬
mente vor. Es wird unmöglich sein, sie auf gewöhnlichem loyalen Wege zu
Stande zu bringen. Zum ersten Male sind die preußischen Civilcommissare
genöthigt, nicht blos über die Köpfe der noch bestehenden Landesverwaltungen
der occupirten Staaten hinweg, sondern trotz ihres Protestes, ja vielleicht trotz
eines Widerstandes, der ihnen die Existenz kostet, sich mit einem politischen
Postulat ans Volk zu wenden. Eine Thatsache, die schwere Conflicte des Rechts¬
bewußtseins mit sich bringt, die aber um so geeigneter ist, freier Ueberzeugung,
welche sog^r über die heiligen Schranken der Städteordnung halsbrecherisch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/204>, abgerufen am 23.07.2024.