Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nördlich als zu der Zeit, da das Hauptquartier in Olmütz war." Diese wahr¬
heitsgetreue Schilderung der Sachlage verleiht dem Fremdenblatt das Recht zu
folgender Bemerkung: "Die allgemeine Anerkennung, welche die fast zu be¬
scheidenen östreichischen Bulletins (von den totalen Niederlagen der Preußen bei
Nachod und Trautenau) gefunden haben, veranlaßt die Preußen, das gerade
Gegentheil bei Abfassung ihrer " Siegesberichte" zu beobachten und kolossale
Lügen (z. B. 3,000 östreichische Gefangene bei Nachod) auszustreuen." Nebenbei
sei erwähnt, daß die Preußen in diesen Nummern als "Mordbrenner" figuriren
und der Aufschub des Siegesfestes im Prater "wegen ungünstiger Witterung"
angekündigt wird.

"Den Kampf bis zum Siege" proclamirt der Leitartikel. "Solche
mißlungene Gefechte wie die von Gitschin, Skalitz und Trautenau sind in allen
Kriegen zehnmal vorgekommen, ohne auf den Ausgang des Feldzuges auch nur
den geringsten Einfluß zu haben. Man muß in Betracht ziehen, daß von
östreichischer Seit^ der stets schwierige Versuch gemacht wurde, Gebirgs-
positionen zu stürmen. Jetzt wird es an den Preußen sein, ihrerseits
unsere Positionen zu nehmen. Der Bericht des Kronprinzen spricht von der
Ermüdung der Truppen nach dem Gefechte bei Skalitz. Eine Armee, die nach
einem Siege von Ermüdung spricht, hat nicht die großen Eigenschaften, mit
welchen man entscheidende Schlachten schlägt." Die kleine Chronik des Blattes
äußert sich ärgerlich darüber, daß die Nachricht von Benedeks Rückzug an einem
Sonntage in Wien anlangte. "Den Residenzlern, die sich zu Landpartien rüste¬
ten, war die ganze Sonntagsfreude verdorben." Noch am Abend des 3. Juli
erscheint dem Fremdenblatt die Situation in heiterem Lichte. Wenn nur die
östreichischen Truppen weniger tapfer wären, wenn das "unausgesetzte Draus-
losgehen mit dem Bajonnete" verhindert würde, könnte der östreichischen Armee
der Sieg nicht entrinnen. Benedek ist noch immer ein großer Feldherr.

Aber schon am Morgen des 4. Juli, als die ersten Nachrichten vom Aus¬
gange der Schlacht bei Königgrätz bekannt wurden, ändert sich die Stimmung.
"Betrachtungen an die betrübende Thatsache vom Rückzüge der Armee anzu¬
knüpfen, halten wir in diesem Augenblicke für unnütz." Bereits wenige Zeilen
weiter werden freilich die "unverantwortlichen Fehler, welche von Seiten der
obersten Leitung begangen wurden", besprochen. Daß preußische Offiziere sich
wie "Schinderhannes" benehmen, ist das einzige Tröstliche, welches der wiener
Leser des Blattes mit nach Hause nahm.

Bei dem Durchlesen der an diesem und dem nächstfolgenden
Tage herausgegebenen Zeitungen bemerkt man, daß sich die öffentliche Meinung
zu Wien zu zwiesältigem Zorn erhitzt. Auf der einen Seite können die Wie¬
ner von ihrer alten Unsitte nicht lassen, ein paar Persönlichkeiten aus der
Masse Gleichschuldiger herauszugreifen und dem Volkszorn als Opfer hinzu-


23*

nördlich als zu der Zeit, da das Hauptquartier in Olmütz war." Diese wahr¬
heitsgetreue Schilderung der Sachlage verleiht dem Fremdenblatt das Recht zu
folgender Bemerkung: „Die allgemeine Anerkennung, welche die fast zu be¬
scheidenen östreichischen Bulletins (von den totalen Niederlagen der Preußen bei
Nachod und Trautenau) gefunden haben, veranlaßt die Preußen, das gerade
Gegentheil bei Abfassung ihrer „ Siegesberichte" zu beobachten und kolossale
Lügen (z. B. 3,000 östreichische Gefangene bei Nachod) auszustreuen." Nebenbei
sei erwähnt, daß die Preußen in diesen Nummern als „Mordbrenner" figuriren
und der Aufschub des Siegesfestes im Prater „wegen ungünstiger Witterung"
angekündigt wird.

„Den Kampf bis zum Siege" proclamirt der Leitartikel. „Solche
mißlungene Gefechte wie die von Gitschin, Skalitz und Trautenau sind in allen
Kriegen zehnmal vorgekommen, ohne auf den Ausgang des Feldzuges auch nur
den geringsten Einfluß zu haben. Man muß in Betracht ziehen, daß von
östreichischer Seit^ der stets schwierige Versuch gemacht wurde, Gebirgs-
positionen zu stürmen. Jetzt wird es an den Preußen sein, ihrerseits
unsere Positionen zu nehmen. Der Bericht des Kronprinzen spricht von der
Ermüdung der Truppen nach dem Gefechte bei Skalitz. Eine Armee, die nach
einem Siege von Ermüdung spricht, hat nicht die großen Eigenschaften, mit
welchen man entscheidende Schlachten schlägt." Die kleine Chronik des Blattes
äußert sich ärgerlich darüber, daß die Nachricht von Benedeks Rückzug an einem
Sonntage in Wien anlangte. „Den Residenzlern, die sich zu Landpartien rüste¬
ten, war die ganze Sonntagsfreude verdorben." Noch am Abend des 3. Juli
erscheint dem Fremdenblatt die Situation in heiterem Lichte. Wenn nur die
östreichischen Truppen weniger tapfer wären, wenn das „unausgesetzte Draus-
losgehen mit dem Bajonnete" verhindert würde, könnte der östreichischen Armee
der Sieg nicht entrinnen. Benedek ist noch immer ein großer Feldherr.

Aber schon am Morgen des 4. Juli, als die ersten Nachrichten vom Aus¬
gange der Schlacht bei Königgrätz bekannt wurden, ändert sich die Stimmung.
„Betrachtungen an die betrübende Thatsache vom Rückzüge der Armee anzu¬
knüpfen, halten wir in diesem Augenblicke für unnütz." Bereits wenige Zeilen
weiter werden freilich die „unverantwortlichen Fehler, welche von Seiten der
obersten Leitung begangen wurden", besprochen. Daß preußische Offiziere sich
wie „Schinderhannes" benehmen, ist das einzige Tröstliche, welches der wiener
Leser des Blattes mit nach Hause nahm.

Bei dem Durchlesen der an diesem und dem nächstfolgenden
Tage herausgegebenen Zeitungen bemerkt man, daß sich die öffentliche Meinung
zu Wien zu zwiesältigem Zorn erhitzt. Auf der einen Seite können die Wie¬
ner von ihrer alten Unsitte nicht lassen, ein paar Persönlichkeiten aus der
Masse Gleichschuldiger herauszugreifen und dem Volkszorn als Opfer hinzu-


23*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0197" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285785"/>
          <p xml:id="ID_591" prev="#ID_590"> nördlich als zu der Zeit, da das Hauptquartier in Olmütz war." Diese wahr¬<lb/>
heitsgetreue Schilderung der Sachlage verleiht dem Fremdenblatt das Recht zu<lb/>
folgender Bemerkung: &#x201E;Die allgemeine Anerkennung, welche die fast zu be¬<lb/>
scheidenen östreichischen Bulletins (von den totalen Niederlagen der Preußen bei<lb/>
Nachod und Trautenau) gefunden haben, veranlaßt die Preußen, das gerade<lb/>
Gegentheil bei Abfassung ihrer &#x201E; Siegesberichte" zu beobachten und kolossale<lb/>
Lügen (z. B. 3,000 östreichische Gefangene bei Nachod) auszustreuen." Nebenbei<lb/>
sei erwähnt, daß die Preußen in diesen Nummern als &#x201E;Mordbrenner" figuriren<lb/>
und der Aufschub des Siegesfestes im Prater &#x201E;wegen ungünstiger Witterung"<lb/>
angekündigt wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_592"> &#x201E;Den Kampf bis zum Siege" proclamirt der Leitartikel. &#x201E;Solche<lb/>
mißlungene Gefechte wie die von Gitschin, Skalitz und Trautenau sind in allen<lb/>
Kriegen zehnmal vorgekommen, ohne auf den Ausgang des Feldzuges auch nur<lb/>
den geringsten Einfluß zu haben. Man muß in Betracht ziehen, daß von<lb/>
östreichischer Seit^ der stets schwierige Versuch gemacht wurde, Gebirgs-<lb/>
positionen zu stürmen. Jetzt wird es an den Preußen sein, ihrerseits<lb/>
unsere Positionen zu nehmen. Der Bericht des Kronprinzen spricht von der<lb/>
Ermüdung der Truppen nach dem Gefechte bei Skalitz. Eine Armee, die nach<lb/>
einem Siege von Ermüdung spricht, hat nicht die großen Eigenschaften, mit<lb/>
welchen man entscheidende Schlachten schlägt." Die kleine Chronik des Blattes<lb/>
äußert sich ärgerlich darüber, daß die Nachricht von Benedeks Rückzug an einem<lb/>
Sonntage in Wien anlangte. &#x201E;Den Residenzlern, die sich zu Landpartien rüste¬<lb/>
ten, war die ganze Sonntagsfreude verdorben." Noch am Abend des 3. Juli<lb/>
erscheint dem Fremdenblatt die Situation in heiterem Lichte. Wenn nur die<lb/>
östreichischen Truppen weniger tapfer wären, wenn das &#x201E;unausgesetzte Draus-<lb/>
losgehen mit dem Bajonnete" verhindert würde, könnte der östreichischen Armee<lb/>
der Sieg nicht entrinnen. Benedek ist noch immer ein großer Feldherr.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_593"> Aber schon am Morgen des 4. Juli, als die ersten Nachrichten vom Aus¬<lb/>
gange der Schlacht bei Königgrätz bekannt wurden, ändert sich die Stimmung.<lb/>
&#x201E;Betrachtungen an die betrübende Thatsache vom Rückzüge der Armee anzu¬<lb/>
knüpfen, halten wir in diesem Augenblicke für unnütz." Bereits wenige Zeilen<lb/>
weiter werden freilich die &#x201E;unverantwortlichen Fehler, welche von Seiten der<lb/>
obersten Leitung begangen wurden", besprochen. Daß preußische Offiziere sich<lb/>
wie &#x201E;Schinderhannes" benehmen, ist das einzige Tröstliche, welches der wiener<lb/>
Leser des Blattes mit nach Hause nahm.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_594" next="#ID_595"> Bei dem Durchlesen der an diesem und dem nächstfolgenden<lb/>
Tage herausgegebenen Zeitungen bemerkt man, daß sich die öffentliche Meinung<lb/>
zu Wien zu zwiesältigem Zorn erhitzt. Auf der einen Seite können die Wie¬<lb/>
ner von ihrer alten Unsitte nicht lassen, ein paar Persönlichkeiten aus der<lb/>
Masse Gleichschuldiger herauszugreifen und dem Volkszorn als Opfer hinzu-</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig"> 23*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0197] nördlich als zu der Zeit, da das Hauptquartier in Olmütz war." Diese wahr¬ heitsgetreue Schilderung der Sachlage verleiht dem Fremdenblatt das Recht zu folgender Bemerkung: „Die allgemeine Anerkennung, welche die fast zu be¬ scheidenen östreichischen Bulletins (von den totalen Niederlagen der Preußen bei Nachod und Trautenau) gefunden haben, veranlaßt die Preußen, das gerade Gegentheil bei Abfassung ihrer „ Siegesberichte" zu beobachten und kolossale Lügen (z. B. 3,000 östreichische Gefangene bei Nachod) auszustreuen." Nebenbei sei erwähnt, daß die Preußen in diesen Nummern als „Mordbrenner" figuriren und der Aufschub des Siegesfestes im Prater „wegen ungünstiger Witterung" angekündigt wird. „Den Kampf bis zum Siege" proclamirt der Leitartikel. „Solche mißlungene Gefechte wie die von Gitschin, Skalitz und Trautenau sind in allen Kriegen zehnmal vorgekommen, ohne auf den Ausgang des Feldzuges auch nur den geringsten Einfluß zu haben. Man muß in Betracht ziehen, daß von östreichischer Seit^ der stets schwierige Versuch gemacht wurde, Gebirgs- positionen zu stürmen. Jetzt wird es an den Preußen sein, ihrerseits unsere Positionen zu nehmen. Der Bericht des Kronprinzen spricht von der Ermüdung der Truppen nach dem Gefechte bei Skalitz. Eine Armee, die nach einem Siege von Ermüdung spricht, hat nicht die großen Eigenschaften, mit welchen man entscheidende Schlachten schlägt." Die kleine Chronik des Blattes äußert sich ärgerlich darüber, daß die Nachricht von Benedeks Rückzug an einem Sonntage in Wien anlangte. „Den Residenzlern, die sich zu Landpartien rüste¬ ten, war die ganze Sonntagsfreude verdorben." Noch am Abend des 3. Juli erscheint dem Fremdenblatt die Situation in heiterem Lichte. Wenn nur die östreichischen Truppen weniger tapfer wären, wenn das „unausgesetzte Draus- losgehen mit dem Bajonnete" verhindert würde, könnte der östreichischen Armee der Sieg nicht entrinnen. Benedek ist noch immer ein großer Feldherr. Aber schon am Morgen des 4. Juli, als die ersten Nachrichten vom Aus¬ gange der Schlacht bei Königgrätz bekannt wurden, ändert sich die Stimmung. „Betrachtungen an die betrübende Thatsache vom Rückzüge der Armee anzu¬ knüpfen, halten wir in diesem Augenblicke für unnütz." Bereits wenige Zeilen weiter werden freilich die „unverantwortlichen Fehler, welche von Seiten der obersten Leitung begangen wurden", besprochen. Daß preußische Offiziere sich wie „Schinderhannes" benehmen, ist das einzige Tröstliche, welches der wiener Leser des Blattes mit nach Hause nahm. Bei dem Durchlesen der an diesem und dem nächstfolgenden Tage herausgegebenen Zeitungen bemerkt man, daß sich die öffentliche Meinung zu Wien zu zwiesältigem Zorn erhitzt. Auf der einen Seite können die Wie¬ ner von ihrer alten Unsitte nicht lassen, ein paar Persönlichkeiten aus der Masse Gleichschuldiger herauszugreifen und dem Volkszorn als Opfer hinzu- 23*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/197
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/197>, abgerufen am 22.07.2024.