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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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deutschen Geschichtsbaumeister herrscht, müssen ihre Gegner, die großöstreichischen
Geschichtstagelöhner, ein wahrer Ausbund von Tugend und Wahrheitsliebe
sein. Sehen wir zu, wie sich in den wiener Zeitungen, die tagtäglich über die
Fälschung der modernen Geschichte durch norddeutsche Schriftsteller Klage führen,
die erste Juliwoche wiederspiegelt. Wir wählen zum Wegweiser das "Neue
Fremdenblatt", nicht allein "eil es zu den beliebtesten wiener Journalen ge¬
hört, sondern weil auch sein Herausgeber, Isidor Heller, durch die erprobte
Elasticität seines politischen Standpunktes am wenigsten dem Verdacht blind
fanatischer Gesinnung ausgesetzt ist. Wir beginnen unsere erheiternde Ueberschau
auch erst mit der Juliwoche, da um diese Zeit bereits die Ereignisse ihren Schatten
warfen, und die Entschuldigung, daß die subjective Stimmung durch keine
Thatsachen berichtigt werden konnte, nicht mehr gilt/

"Ein bloßes Schlachten wars, nicht eine Schlacht zu nennen", damit ve-
ginnt die Sonntagsnummer (1. Juli) des Neuen Fremdenblattes seine Be¬
richte vom Kriegsschauplatze. Die Gefechte von Trauten"", Nachod, Podol sind
in Wien bereits bekannt geworden; auch das Vordringen der Preußen im
Widerspruche mit den telegraphischen Depeschen, welche nur von östreichischen
Siegen reden, jede Kunde mit den Worten: "Preußen total geschlagen"
schließen, läßt sich nicht mehr verheimlichen. Doch dieses "sogenannte Vor¬
dringen des Feindes kann nur den Ignoranten beunruhigen". "Die Preußen
haben bereits das Vorgefühl der Katastrophe, welche sie demnächst ereilen wird.
Sie verschanzen Dresden, um sich einen Stützpunkt beim Rückzüge zu sichern."
Diesen Rückzug malt das Fremdenblatt lustig mit lebendigen Farben aus.
"Panischer Schrecken entsteht, wenn die Führung den Kopf verliert, wenn der
Sieger mit Geschick und Energie den Feind verfolgt, wie das von Benedek
wohl zu erwarten ist, dessen geheimnißvoller Plan in diesem Augenblicke sich
schon den Preußen enthüllt haben dürfte."

So sprach das Fremdenblatt am 1. Juli und fand, daß es gut gesprochen
hatte. Denn es fuhr in seinen gemüthlichen Anschauungen auch am 2. Juli
fort. Als Thatsache lag Benedeks Rückzug aus Königgrätz vor. "Die Kürze
der Meldung: "Ich bin genöthigt, den Rückzug aus Königgrätz anzutreten", im-
ponirt mehr als sie ängstigen sollte. Auch die Furcht vor den Zündnadel¬
gewehren ist unbegründet. Wir haben von Militärs die Versicherung erhalten,
daß die Wirkung dieser Schußwaffe nicht verheerender sei als die der östreichi¬
schen Gewehre." Dieser Trost genügt dem wiener Blatte nicht. Es erzählt
weiter: "Die Preußen haben gar keine nennenswerthen Vortheile errungen.
Denn sie hätten die Vereinigung ihrer Heerestheile längst und ohne Anstrengung
herbeiführen können, als die Oestreicher noch viel südlicher standen und ihr
Hauptquartier in Olmütz hatten. Die östreichische Armee hat bis jetzt keinen
Boden verloren, im Gegentheil sehen wir sie in den letzten Kämpfen weiter


deutschen Geschichtsbaumeister herrscht, müssen ihre Gegner, die großöstreichischen
Geschichtstagelöhner, ein wahrer Ausbund von Tugend und Wahrheitsliebe
sein. Sehen wir zu, wie sich in den wiener Zeitungen, die tagtäglich über die
Fälschung der modernen Geschichte durch norddeutsche Schriftsteller Klage führen,
die erste Juliwoche wiederspiegelt. Wir wählen zum Wegweiser das „Neue
Fremdenblatt", nicht allein «eil es zu den beliebtesten wiener Journalen ge¬
hört, sondern weil auch sein Herausgeber, Isidor Heller, durch die erprobte
Elasticität seines politischen Standpunktes am wenigsten dem Verdacht blind
fanatischer Gesinnung ausgesetzt ist. Wir beginnen unsere erheiternde Ueberschau
auch erst mit der Juliwoche, da um diese Zeit bereits die Ereignisse ihren Schatten
warfen, und die Entschuldigung, daß die subjective Stimmung durch keine
Thatsachen berichtigt werden konnte, nicht mehr gilt/

„Ein bloßes Schlachten wars, nicht eine Schlacht zu nennen", damit ve-
ginnt die Sonntagsnummer (1. Juli) des Neuen Fremdenblattes seine Be¬
richte vom Kriegsschauplatze. Die Gefechte von Trauten«», Nachod, Podol sind
in Wien bereits bekannt geworden; auch das Vordringen der Preußen im
Widerspruche mit den telegraphischen Depeschen, welche nur von östreichischen
Siegen reden, jede Kunde mit den Worten: „Preußen total geschlagen"
schließen, läßt sich nicht mehr verheimlichen. Doch dieses „sogenannte Vor¬
dringen des Feindes kann nur den Ignoranten beunruhigen". „Die Preußen
haben bereits das Vorgefühl der Katastrophe, welche sie demnächst ereilen wird.
Sie verschanzen Dresden, um sich einen Stützpunkt beim Rückzüge zu sichern."
Diesen Rückzug malt das Fremdenblatt lustig mit lebendigen Farben aus.
„Panischer Schrecken entsteht, wenn die Führung den Kopf verliert, wenn der
Sieger mit Geschick und Energie den Feind verfolgt, wie das von Benedek
wohl zu erwarten ist, dessen geheimnißvoller Plan in diesem Augenblicke sich
schon den Preußen enthüllt haben dürfte."

So sprach das Fremdenblatt am 1. Juli und fand, daß es gut gesprochen
hatte. Denn es fuhr in seinen gemüthlichen Anschauungen auch am 2. Juli
fort. Als Thatsache lag Benedeks Rückzug aus Königgrätz vor. „Die Kürze
der Meldung: „Ich bin genöthigt, den Rückzug aus Königgrätz anzutreten", im-
ponirt mehr als sie ängstigen sollte. Auch die Furcht vor den Zündnadel¬
gewehren ist unbegründet. Wir haben von Militärs die Versicherung erhalten,
daß die Wirkung dieser Schußwaffe nicht verheerender sei als die der östreichi¬
schen Gewehre." Dieser Trost genügt dem wiener Blatte nicht. Es erzählt
weiter: „Die Preußen haben gar keine nennenswerthen Vortheile errungen.
Denn sie hätten die Vereinigung ihrer Heerestheile längst und ohne Anstrengung
herbeiführen können, als die Oestreicher noch viel südlicher standen und ihr
Hauptquartier in Olmütz hatten. Die östreichische Armee hat bis jetzt keinen
Boden verloren, im Gegentheil sehen wir sie in den letzten Kämpfen weiter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/196>, abgerufen am 22.07.2024.