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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit aller ist stärker geworden; man weiß,
daß an jedem Schlag die Treffenden und die Betroffenen mitzutragen haben.
Die materiellen Interessen haben mehr oder minder auch eine ideale Verbrüde¬
rung angebahnt.

Aber viel böse Leidenschaft ist noch immer im Gefolge des Kriegs, die
ohne den Zielen zu schaden und die Parteien zu schwächen, abgelegt werden
könnte. Wir denken zunächst der puvlicistischen Thätigkeit. In einem stillen Ort
und abseits der großen Ereignisse liest man die spät ankommenden Zeitungen
mit um so schärferer Aufmerksamkeit; und einiges, was uns dabei im Gedächt¬
niß geblieben, mag noch immer ausgesprochen werden.

Wir sind unbefangen genug, daß wir den wiener Blättern ihren Preußen¬
haß nachzufühlen vermögen, und ihre Drohung, den preußischen Staat zer¬
stückeln zu wollen, wunderte uns nicht. Schlimmer schon war es, einen historisch
gewordenen staatlichen Organismus kurzweg als eine "Improvisation Friedrichs
des Großen" abzufertigen; und allzu vermessen klang der Satz: "Wenn Held
Benedek sein gutes Schwert entblößt, so braucht Deutschland sein Gesicht nicht
zu verhüllen; wenn er gesiegt hat, so ist auch der Tag der Erlösung für die
gesammte deutsche Nation angebrochen." Dergleichen Ueberschwänglichkeiten und
Rodomontaden vor dem Kriege sind gefährlich; doch wollen wir der wiener
"Presse" glauben, wenn sie jetzt sagt: ihre Aufgabe sei gewesen, "die Gemüther
zu stacheln, die Muthigen mit Zuversicht zu erfüllen, die Zaghaften anzufeuern
und auch mit keinem Tropfen unzeitiger Klugheit das Mißvergnügen oder die
Zweifelsucht zu nähren."

Wider den Anstand aber, wider die Klugheit und wider die Selbstachtung
war es, wenn sie den Gegner mit bewußter Lüge besudelte. Man wußte,
daß die Preußen in Sachsen und Böhmen nicht "wie Kannibalen Hausen", und
doch schrieb man es; man wußte, daß die Sachsen nicht gepreßt und "von
bismarckschen Reiterschwadronen mit dem Säbel zur Schlachtbank getrieben
wurden", und doch schrieb man es; man wußte, daß man respectable und
ehrliebende Krieger sich gegenüber hatte, und doch nannte man sie "räuberische
Hunde". Was hat man nun gewonnen, daß man vor den "Affensprüngen"
der Preußen, die vor einem "östreichischen Schnurrbart" davonliefen, selber hat
davonlaufen müssen? wärs nicht ehrenvoller gewesen, man hätte sich einer ähn¬
lichen Sprache beflissen, wie der preußische Kronprinz, der die östreichische Armee
der preußischen ebenbürtig nannte; dann wäre man doch einer "ebenbürtigen
Armee" unterlegen. Ekelhafteres als der größte Theil dieser wiener Blätter
war seit Anfang Juni nichts zu finden, und leider hat die süddeutsche Presse
traurige Pendants dazu geliefert. Wir wollen sie mit Stillschweigen übergehen
und nur erwähnen, daß es selbst des kläglichsten deutschen Journalisten un¬
würdig ist, wenn er einen Kurfürst von Hessen plötzlich als "Wilhelm den Un-


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das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit aller ist stärker geworden; man weiß,
daß an jedem Schlag die Treffenden und die Betroffenen mitzutragen haben.
Die materiellen Interessen haben mehr oder minder auch eine ideale Verbrüde¬
rung angebahnt.

Aber viel böse Leidenschaft ist noch immer im Gefolge des Kriegs, die
ohne den Zielen zu schaden und die Parteien zu schwächen, abgelegt werden
könnte. Wir denken zunächst der puvlicistischen Thätigkeit. In einem stillen Ort
und abseits der großen Ereignisse liest man die spät ankommenden Zeitungen
mit um so schärferer Aufmerksamkeit; und einiges, was uns dabei im Gedächt¬
niß geblieben, mag noch immer ausgesprochen werden.

Wir sind unbefangen genug, daß wir den wiener Blättern ihren Preußen¬
haß nachzufühlen vermögen, und ihre Drohung, den preußischen Staat zer¬
stückeln zu wollen, wunderte uns nicht. Schlimmer schon war es, einen historisch
gewordenen staatlichen Organismus kurzweg als eine „Improvisation Friedrichs
des Großen" abzufertigen; und allzu vermessen klang der Satz: „Wenn Held
Benedek sein gutes Schwert entblößt, so braucht Deutschland sein Gesicht nicht
zu verhüllen; wenn er gesiegt hat, so ist auch der Tag der Erlösung für die
gesammte deutsche Nation angebrochen." Dergleichen Ueberschwänglichkeiten und
Rodomontaden vor dem Kriege sind gefährlich; doch wollen wir der wiener
„Presse" glauben, wenn sie jetzt sagt: ihre Aufgabe sei gewesen, „die Gemüther
zu stacheln, die Muthigen mit Zuversicht zu erfüllen, die Zaghaften anzufeuern
und auch mit keinem Tropfen unzeitiger Klugheit das Mißvergnügen oder die
Zweifelsucht zu nähren."

Wider den Anstand aber, wider die Klugheit und wider die Selbstachtung
war es, wenn sie den Gegner mit bewußter Lüge besudelte. Man wußte,
daß die Preußen in Sachsen und Böhmen nicht „wie Kannibalen Hausen", und
doch schrieb man es; man wußte, daß die Sachsen nicht gepreßt und „von
bismarckschen Reiterschwadronen mit dem Säbel zur Schlachtbank getrieben
wurden", und doch schrieb man es; man wußte, daß man respectable und
ehrliebende Krieger sich gegenüber hatte, und doch nannte man sie „räuberische
Hunde". Was hat man nun gewonnen, daß man vor den „Affensprüngen"
der Preußen, die vor einem „östreichischen Schnurrbart" davonliefen, selber hat
davonlaufen müssen? wärs nicht ehrenvoller gewesen, man hätte sich einer ähn¬
lichen Sprache beflissen, wie der preußische Kronprinz, der die östreichische Armee
der preußischen ebenbürtig nannte; dann wäre man doch einer „ebenbürtigen
Armee" unterlegen. Ekelhafteres als der größte Theil dieser wiener Blätter
war seit Anfang Juni nichts zu finden, und leider hat die süddeutsche Presse
traurige Pendants dazu geliefert. Wir wollen sie mit Stillschweigen übergehen
und nur erwähnen, daß es selbst des kläglichsten deutschen Journalisten un¬
würdig ist, wenn er einen Kurfürst von Hessen plötzlich als „Wilhelm den Un-


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[0189] das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit aller ist stärker geworden; man weiß, daß an jedem Schlag die Treffenden und die Betroffenen mitzutragen haben. Die materiellen Interessen haben mehr oder minder auch eine ideale Verbrüde¬ rung angebahnt. Aber viel böse Leidenschaft ist noch immer im Gefolge des Kriegs, die ohne den Zielen zu schaden und die Parteien zu schwächen, abgelegt werden könnte. Wir denken zunächst der puvlicistischen Thätigkeit. In einem stillen Ort und abseits der großen Ereignisse liest man die spät ankommenden Zeitungen mit um so schärferer Aufmerksamkeit; und einiges, was uns dabei im Gedächt¬ niß geblieben, mag noch immer ausgesprochen werden. Wir sind unbefangen genug, daß wir den wiener Blättern ihren Preußen¬ haß nachzufühlen vermögen, und ihre Drohung, den preußischen Staat zer¬ stückeln zu wollen, wunderte uns nicht. Schlimmer schon war es, einen historisch gewordenen staatlichen Organismus kurzweg als eine „Improvisation Friedrichs des Großen" abzufertigen; und allzu vermessen klang der Satz: „Wenn Held Benedek sein gutes Schwert entblößt, so braucht Deutschland sein Gesicht nicht zu verhüllen; wenn er gesiegt hat, so ist auch der Tag der Erlösung für die gesammte deutsche Nation angebrochen." Dergleichen Ueberschwänglichkeiten und Rodomontaden vor dem Kriege sind gefährlich; doch wollen wir der wiener „Presse" glauben, wenn sie jetzt sagt: ihre Aufgabe sei gewesen, „die Gemüther zu stacheln, die Muthigen mit Zuversicht zu erfüllen, die Zaghaften anzufeuern und auch mit keinem Tropfen unzeitiger Klugheit das Mißvergnügen oder die Zweifelsucht zu nähren." Wider den Anstand aber, wider die Klugheit und wider die Selbstachtung war es, wenn sie den Gegner mit bewußter Lüge besudelte. Man wußte, daß die Preußen in Sachsen und Böhmen nicht „wie Kannibalen Hausen", und doch schrieb man es; man wußte, daß die Sachsen nicht gepreßt und „von bismarckschen Reiterschwadronen mit dem Säbel zur Schlachtbank getrieben wurden", und doch schrieb man es; man wußte, daß man respectable und ehrliebende Krieger sich gegenüber hatte, und doch nannte man sie „räuberische Hunde". Was hat man nun gewonnen, daß man vor den „Affensprüngen" der Preußen, die vor einem „östreichischen Schnurrbart" davonliefen, selber hat davonlaufen müssen? wärs nicht ehrenvoller gewesen, man hätte sich einer ähn¬ lichen Sprache beflissen, wie der preußische Kronprinz, der die östreichische Armee der preußischen ebenbürtig nannte; dann wäre man doch einer „ebenbürtigen Armee" unterlegen. Ekelhafteres als der größte Theil dieser wiener Blätter war seit Anfang Juni nichts zu finden, und leider hat die süddeutsche Presse traurige Pendants dazu geliefert. Wir wollen sie mit Stillschweigen übergehen und nur erwähnen, daß es selbst des kläglichsten deutschen Journalisten un¬ würdig ist, wenn er einen Kurfürst von Hessen plötzlich als „Wilhelm den Un- 22 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/189>, abgerufen am 22.07.2024.