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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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sich heimischer Herrengeschlechter erfreuen, aber sie haben weder geographisch
noch politisch in Wahrheit bis jetzt Staaten gebildet, edle deutsche Stämme
sind in dem Landbesitz, den ihre Dynastien unter Napoleon zusammengebracht
und die ihnen der wiener Friede zugetheilt hat, durch fünfzig Jahre in öder
Stagnation des deutschen Lebens bis zum goldenen Jubiläum ihrer politischen
Existenz gekommen. Aber diese Existenz war nur eine Halbsouveränetät, welche
unhaltbar wurde, weil sie von zwei entgegengesetzten Oberherren sehr unvoll¬
ständig hin und hergezerrt wurde. Diese Länder standen politisch unter dem
östreichischen Bunde. Seit Gründung des Zollvereins in ihren materiellen und
realen Interessen unter Preußen. Sie sind längst, ohne es zu wissen, halbe Preußen
gewesen; fast alles, was sie aus dem elenden Kleinbürgertum des alten Reichs
herausgehoben und mit dem Weltverkehr verbunden hat, verdanken sie dem
großen Nachbarstaat. Wenn jetzt einzelne Theile ihres Landes preußisch
werden, so hat das in dem neuen Bundesstaat für sie kaum eine höhere Be¬
deutung, als wenn ein Landkreis von einem Regierungsbezirk geschieden und dem
benachbarten zugeschlagen wird. Daß ihre staatliche Existenz gegenüber großen
Kämpfen Europas ein machtloses Nichts ist, das haben sie leider selbst erwiesen,
denn die Bayern und Schwaben haben zum Kriege gerufen gegen ihre deutschen
Nachbarn; es stand ihnen frei, unversehrt zu dauern in ihrem Bestand unter
ihren Fürstengeschlcchtern, sie haben in einer furchtbaren Ueberschätzung ihrer
Kräfte den Bruderkrieg gewählt und sich zu Sklaven der dynastischen Interessen
ihrer Regentenhäuser gemacht. Es ist nicht zu verwundern, wenn sie jetzt, nach¬
dem wegen der schlechten Wahl, die sie getroffen, viele hundert Deutsche Blut
und Leben verloren haben, gezwungen werden, ungehört sich dem gemeinen
Nutzen zu fügen. Es ist sehr traurig, daß es so weit gekommen ist, aber nicht
Preußen trägt die Schuld, sondern die. welche durch lautes Landgeschrei und
die That dem übrigen Deutschland bewiesen haben, daß ihre politische Lage
ihnen nicht gestattet, sich selbst und die deutschen Interessen zum Heil für das
Ganze zu berathen. Soll ihre Sonderexistenz unter heimischen Regentenhäusern
fernerhin bewahrt werden, so müssen im Interesse Deutschlands diese Dynastien
für alle Fälle verhindert werdeu, eine Sonderbundspolitik zu treiben. Auch
das preußische Cabinet vertraut, daß der Bundesstaat schließlich die Wiederkehr
solcher dynastischer Kriege unmöglich machen wird. Aber es wird Jahre dauern,
ehe er sich und sein Heer fest organisirt, und unterdeß und für alle Fälle liegt
Preußen ob. für die eigene und aller Sicherheit zu sorgen. Gegen diese Logik der
Preußischen Regierung wird, so besorgen wir. sich vom Standpunkte des deut¬
schen Interesses nichts Stichhaltiges einwenden lassen.

Aber speciell anders ist zur Zeit die Stellung Sachsens, Hannovers und
Hessen-Darmstadts. Diese Staaten gehören entweder ganz oder zum Theil dem
deutschen Landgebiet an, welches durch die preußischen Grenzen flankirt, durch


sich heimischer Herrengeschlechter erfreuen, aber sie haben weder geographisch
noch politisch in Wahrheit bis jetzt Staaten gebildet, edle deutsche Stämme
sind in dem Landbesitz, den ihre Dynastien unter Napoleon zusammengebracht
und die ihnen der wiener Friede zugetheilt hat, durch fünfzig Jahre in öder
Stagnation des deutschen Lebens bis zum goldenen Jubiläum ihrer politischen
Existenz gekommen. Aber diese Existenz war nur eine Halbsouveränetät, welche
unhaltbar wurde, weil sie von zwei entgegengesetzten Oberherren sehr unvoll¬
ständig hin und hergezerrt wurde. Diese Länder standen politisch unter dem
östreichischen Bunde. Seit Gründung des Zollvereins in ihren materiellen und
realen Interessen unter Preußen. Sie sind längst, ohne es zu wissen, halbe Preußen
gewesen; fast alles, was sie aus dem elenden Kleinbürgertum des alten Reichs
herausgehoben und mit dem Weltverkehr verbunden hat, verdanken sie dem
großen Nachbarstaat. Wenn jetzt einzelne Theile ihres Landes preußisch
werden, so hat das in dem neuen Bundesstaat für sie kaum eine höhere Be¬
deutung, als wenn ein Landkreis von einem Regierungsbezirk geschieden und dem
benachbarten zugeschlagen wird. Daß ihre staatliche Existenz gegenüber großen
Kämpfen Europas ein machtloses Nichts ist, das haben sie leider selbst erwiesen,
denn die Bayern und Schwaben haben zum Kriege gerufen gegen ihre deutschen
Nachbarn; es stand ihnen frei, unversehrt zu dauern in ihrem Bestand unter
ihren Fürstengeschlcchtern, sie haben in einer furchtbaren Ueberschätzung ihrer
Kräfte den Bruderkrieg gewählt und sich zu Sklaven der dynastischen Interessen
ihrer Regentenhäuser gemacht. Es ist nicht zu verwundern, wenn sie jetzt, nach¬
dem wegen der schlechten Wahl, die sie getroffen, viele hundert Deutsche Blut
und Leben verloren haben, gezwungen werden, ungehört sich dem gemeinen
Nutzen zu fügen. Es ist sehr traurig, daß es so weit gekommen ist, aber nicht
Preußen trägt die Schuld, sondern die. welche durch lautes Landgeschrei und
die That dem übrigen Deutschland bewiesen haben, daß ihre politische Lage
ihnen nicht gestattet, sich selbst und die deutschen Interessen zum Heil für das
Ganze zu berathen. Soll ihre Sonderexistenz unter heimischen Regentenhäusern
fernerhin bewahrt werden, so müssen im Interesse Deutschlands diese Dynastien
für alle Fälle verhindert werdeu, eine Sonderbundspolitik zu treiben. Auch
das preußische Cabinet vertraut, daß der Bundesstaat schließlich die Wiederkehr
solcher dynastischer Kriege unmöglich machen wird. Aber es wird Jahre dauern,
ehe er sich und sein Heer fest organisirt, und unterdeß und für alle Fälle liegt
Preußen ob. für die eigene und aller Sicherheit zu sorgen. Gegen diese Logik der
Preußischen Regierung wird, so besorgen wir. sich vom Standpunkte des deut¬
schen Interesses nichts Stichhaltiges einwenden lassen.

Aber speciell anders ist zur Zeit die Stellung Sachsens, Hannovers und
Hessen-Darmstadts. Diese Staaten gehören entweder ganz oder zum Theil dem
deutschen Landgebiet an, welches durch die preußischen Grenzen flankirt, durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/183>, abgerufen am 22.07.2024.