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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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nichts zu bedeuten hätten nach den zerschmetternden Ereignissen in Oestreich.
Der Wunsch nach Einstellung der Feindseligkeiten wurde allgemein, wenn man
auch mit öffentlicher Kundgebung zurückhielt. Man wußte, daß der König selbst
dem Frieden geneigt war, so gut wie die Regenten von Baden und Bayern.
Gerüchte, die vom Wunsch eingegeben waren, sprachen von eingeleiteten Ver¬
handlungen mit Preußen, sie zerflossen wieder, bald folgten andere -- von Ver¬
handlungen mit Paris.

Und dies gab vollends den Entscheid, die drohende Einmischung Frank¬
reichs in die deutschen Angelegenheiten vollendete den Umschlag der öffentlichen
Meinung. Hatte schon der plötzliche Schritt des Kaisers Franz Joseph daS
Meiste gethan, um die Gemüther von Oestreich abzuwenden, so gab die näher
rückende Gefahr eines Schiedsrichteramts Napoleons in der deutschen Frage
endlich den Muth offen auszusprechen, was allen auf dem Herzen lag. Man
fühlte Wohl, daß man in Süddeutschland ganz besondere Ursache hatte, gegen
jene Einmischung zu Protestiren. Louis Napoleons Programm war der Rhein¬
bund, und eine Verwirklichung dieses Programms war um so eher zu befürchten,
als nicht nur einheimische Parteien, wenn auch zum Theil nicht mit Willen,
dieser Lösung in die Hände arbeiteten, sondern auch Graf Bismarck durch den
Einspruch der neutralen Mächte sich bewegen lassen konnte, die Reorganisation
Deutschlands auf den Norden bis zum Main zu be.schränken, Süddeutschland
dem selhstczewollten Schicksal überlassend. Dieser neuen Lage gegenüber galt
es einen Meinungsausdruck des schwäbischen Volks. Die Richtung war von
selbst gegeben: wir mußten den Wunsch aussprechen, baldmöglichst in eine Lage
gebracht zu werden, wo wir mit Preußen, dem Gegner von gestern, gemeinsam
die fremde Einmischung zurückweisen konnten, es galt vor allem den Protest
gegen eine deutsche Verfassung, welche vom Norden uns trennend uns das Loos
eines französischen Vasallenthums bereitete. Dies waren die leitenden Ge¬
danken der Männer, welche in Stuttgart zu der öffentlichen Versamm¬
lung am 12. Juli einluden. Man kennt die angenommenen Resolutionen aus
den Zeitungen: sie waren gerichtet gegen fremde Einmischung in die deutsche
Frage, gegen Abtretung deutschen Gebiets, gegen einen Rheinbund,
gegen die politische Trennung von Nord- und Süddeutschland; der
heftige, zum Theil tumultuarische Widerspruch, den die Volkspartei mit ihrem
gemischten Anhang in der Versammlung erhob, machte die Kundgebung noch
gewichtiger, als sie es durch ihren Inhalt war. Ausgegangen weniger von
eine? politischen Partei, als von einem Kreis notabler Bürger, war die über¬
aus zahlreich besuchte Versammlung ein Symptom, daß sich die Dinge bei uns
zum Besseren wenden und daß das, was als Stimmung weit verbreitet ist, sich
auch zu organisiren bemüht. Aber auch darüber konnte man sich an jenem
Abend nicht täuschen, daß die Phrase noch immer eine Macht in Schwaben ist,


nichts zu bedeuten hätten nach den zerschmetternden Ereignissen in Oestreich.
Der Wunsch nach Einstellung der Feindseligkeiten wurde allgemein, wenn man
auch mit öffentlicher Kundgebung zurückhielt. Man wußte, daß der König selbst
dem Frieden geneigt war, so gut wie die Regenten von Baden und Bayern.
Gerüchte, die vom Wunsch eingegeben waren, sprachen von eingeleiteten Ver¬
handlungen mit Preußen, sie zerflossen wieder, bald folgten andere — von Ver¬
handlungen mit Paris.

Und dies gab vollends den Entscheid, die drohende Einmischung Frank¬
reichs in die deutschen Angelegenheiten vollendete den Umschlag der öffentlichen
Meinung. Hatte schon der plötzliche Schritt des Kaisers Franz Joseph daS
Meiste gethan, um die Gemüther von Oestreich abzuwenden, so gab die näher
rückende Gefahr eines Schiedsrichteramts Napoleons in der deutschen Frage
endlich den Muth offen auszusprechen, was allen auf dem Herzen lag. Man
fühlte Wohl, daß man in Süddeutschland ganz besondere Ursache hatte, gegen
jene Einmischung zu Protestiren. Louis Napoleons Programm war der Rhein¬
bund, und eine Verwirklichung dieses Programms war um so eher zu befürchten,
als nicht nur einheimische Parteien, wenn auch zum Theil nicht mit Willen,
dieser Lösung in die Hände arbeiteten, sondern auch Graf Bismarck durch den
Einspruch der neutralen Mächte sich bewegen lassen konnte, die Reorganisation
Deutschlands auf den Norden bis zum Main zu be.schränken, Süddeutschland
dem selhstczewollten Schicksal überlassend. Dieser neuen Lage gegenüber galt
es einen Meinungsausdruck des schwäbischen Volks. Die Richtung war von
selbst gegeben: wir mußten den Wunsch aussprechen, baldmöglichst in eine Lage
gebracht zu werden, wo wir mit Preußen, dem Gegner von gestern, gemeinsam
die fremde Einmischung zurückweisen konnten, es galt vor allem den Protest
gegen eine deutsche Verfassung, welche vom Norden uns trennend uns das Loos
eines französischen Vasallenthums bereitete. Dies waren die leitenden Ge¬
danken der Männer, welche in Stuttgart zu der öffentlichen Versamm¬
lung am 12. Juli einluden. Man kennt die angenommenen Resolutionen aus
den Zeitungen: sie waren gerichtet gegen fremde Einmischung in die deutsche
Frage, gegen Abtretung deutschen Gebiets, gegen einen Rheinbund,
gegen die politische Trennung von Nord- und Süddeutschland; der
heftige, zum Theil tumultuarische Widerspruch, den die Volkspartei mit ihrem
gemischten Anhang in der Versammlung erhob, machte die Kundgebung noch
gewichtiger, als sie es durch ihren Inhalt war. Ausgegangen weniger von
eine? politischen Partei, als von einem Kreis notabler Bürger, war die über¬
aus zahlreich besuchte Versammlung ein Symptom, daß sich die Dinge bei uns
zum Besseren wenden und daß das, was als Stimmung weit verbreitet ist, sich
auch zu organisiren bemüht. Aber auch darüber konnte man sich an jenem
Abend nicht täuschen, daß die Phrase noch immer eine Macht in Schwaben ist,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/172>, abgerufen am 22.07.2024.