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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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sprach aus den Wuthergüssen der Klerikalen; es fehlte nicht an vereinzelten
Stimmen, die das Aufgebot des Landsturms verlangten, um Preußen niederzu¬
werfen, auch das "lieber französisch als preußisch" wagte sich häufiger vor als
bisher. Ganz das Concept verloren hatte der "Beobachter", der am ersten
Tage Fluch über das verrottete Kaiserthum. das entehrte Oestreich, diese Ruine
des Mittelalters, rief, bei dem aber doch bald wieder der Haß gegen Preußen
überwog, den es nun um so rühriger anzufeuern galt, je bedrohlicher das
Preußenthum durch seine Erfolge für ganz Deutschland geworden war und je
tieferen Eindruck diese Erfolge auch in Schwaben hervorgebracht hatten. Denn
dies war vor allem unverkennbar: bei dem weitaus größten Theil der Bevöl¬
kerung hatte die Stimmung plötzlich und entschieden umgeschlagen, ich will
nicht sagen zu Gunsten Preußens, wohl aber zu Ungunsten Oestreichs. Davon
mochte allerdings ein Theil auf die Charakterlosigkeit der Menge kommen, die
einzig vom Erfolg sich bestimmen läßt. Aber es zeigte sich doch zugleich, daß
die Schwärmerei für Oestreich und das Bundesrecht zum großen Theil künstlich
gemacht und lange nicht so tief in der Bevölkerung gewurzelt war, als es den
Anschein hatte. Man Mußte sich vor allem sagen, daß man die Macht Preußen"
verkannt, diejenige Oestreichs überschätzt hatte. War aber Oestreich die Macht
nicht, für die man es gehalten hatte -- dies war der nächste Gedanke -- so
kam ihm auch der deutsche Beruf nicht zu, den es bisher beanspruchte: die
deutsche Zukunft kann nicht an einen Staat gebunden sein, dessen verrottete
Zustände jetzt selbst von der erst noch so übermüthigen wiener Presse in einen
wenig schmeichelhaften Vergleich mit dem jugendkräftig und selbstbewußt empor-
strebenden preußischen Staat gesetzt wurden. So vollständig war der Umschlag,
daß solche, die gestern noch fanatische Fürsprecher Oestreichs gewesen waren,
heute in entrüstete Anklagen gegen dasselbe Oestreich ausbrachen, das über seine
Machtverhältnisse die Bundesgenossen schmählich hintergangen habe. Wäre am
Tag nach Königgrätz Austria durch die Straßen Stuttgarts gewandelt und hätte
die Gespräche derer belauscht/ die eben noch den Klängen des RadetzkymarscheS
zugejubelt hatten, sie hätte trauernd ihr Haupt verhüllt.

Und nun erinnerte man sich zunächst unserer armen Soldaten im Feld, die,
ohne Lorbeeren zu pflücken, in der Umgegend von Frankfurt hin- und her¬
geschoben wurden Und vielleicht bald einem Feind gegenüberstanden, der am
östreichischen Heer seine Ueberlegenheit erprobt hatte. Nicht daß man an ihrer
Bravour gezweifelt hätte oder eine Sache darum, weil sie unglücklich gewesen,
verlassen wollte. Aber wenn schon alle Berichte von den Kreuz- und Quer-
mÄschen, von der Verpflegung unserer Truppen, dann von der wachsenden Ver¬
wirrung im Hauptquartier nichts weniger als ermuthigend lauteten, so fragte
man sich jetzt: wozu noch neue Hekatomben, wenn doch die Entscheidung nicht
auf diesem Kriegsschauplatz erfolgen kann, wenn doch selbst glänzende Erfolge


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sprach aus den Wuthergüssen der Klerikalen; es fehlte nicht an vereinzelten
Stimmen, die das Aufgebot des Landsturms verlangten, um Preußen niederzu¬
werfen, auch das „lieber französisch als preußisch" wagte sich häufiger vor als
bisher. Ganz das Concept verloren hatte der „Beobachter", der am ersten
Tage Fluch über das verrottete Kaiserthum. das entehrte Oestreich, diese Ruine
des Mittelalters, rief, bei dem aber doch bald wieder der Haß gegen Preußen
überwog, den es nun um so rühriger anzufeuern galt, je bedrohlicher das
Preußenthum durch seine Erfolge für ganz Deutschland geworden war und je
tieferen Eindruck diese Erfolge auch in Schwaben hervorgebracht hatten. Denn
dies war vor allem unverkennbar: bei dem weitaus größten Theil der Bevöl¬
kerung hatte die Stimmung plötzlich und entschieden umgeschlagen, ich will
nicht sagen zu Gunsten Preußens, wohl aber zu Ungunsten Oestreichs. Davon
mochte allerdings ein Theil auf die Charakterlosigkeit der Menge kommen, die
einzig vom Erfolg sich bestimmen läßt. Aber es zeigte sich doch zugleich, daß
die Schwärmerei für Oestreich und das Bundesrecht zum großen Theil künstlich
gemacht und lange nicht so tief in der Bevölkerung gewurzelt war, als es den
Anschein hatte. Man Mußte sich vor allem sagen, daß man die Macht Preußen»
verkannt, diejenige Oestreichs überschätzt hatte. War aber Oestreich die Macht
nicht, für die man es gehalten hatte — dies war der nächste Gedanke — so
kam ihm auch der deutsche Beruf nicht zu, den es bisher beanspruchte: die
deutsche Zukunft kann nicht an einen Staat gebunden sein, dessen verrottete
Zustände jetzt selbst von der erst noch so übermüthigen wiener Presse in einen
wenig schmeichelhaften Vergleich mit dem jugendkräftig und selbstbewußt empor-
strebenden preußischen Staat gesetzt wurden. So vollständig war der Umschlag,
daß solche, die gestern noch fanatische Fürsprecher Oestreichs gewesen waren,
heute in entrüstete Anklagen gegen dasselbe Oestreich ausbrachen, das über seine
Machtverhältnisse die Bundesgenossen schmählich hintergangen habe. Wäre am
Tag nach Königgrätz Austria durch die Straßen Stuttgarts gewandelt und hätte
die Gespräche derer belauscht/ die eben noch den Klängen des RadetzkymarscheS
zugejubelt hatten, sie hätte trauernd ihr Haupt verhüllt.

Und nun erinnerte man sich zunächst unserer armen Soldaten im Feld, die,
ohne Lorbeeren zu pflücken, in der Umgegend von Frankfurt hin- und her¬
geschoben wurden Und vielleicht bald einem Feind gegenüberstanden, der am
östreichischen Heer seine Ueberlegenheit erprobt hatte. Nicht daß man an ihrer
Bravour gezweifelt hätte oder eine Sache darum, weil sie unglücklich gewesen,
verlassen wollte. Aber wenn schon alle Berichte von den Kreuz- und Quer-
mÄschen, von der Verpflegung unserer Truppen, dann von der wachsenden Ver¬
wirrung im Hauptquartier nichts weniger als ermuthigend lauteten, so fragte
man sich jetzt: wozu noch neue Hekatomben, wenn doch die Entscheidung nicht
auf diesem Kriegsschauplatz erfolgen kann, wenn doch selbst glänzende Erfolge


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/171>, abgerufen am 22.07.2024.