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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Holsteins, s" machte die Preisgebung Dresdens den übelsten Eindruck. Wie
reimte sich solcher Anfang mit dem Charakter des Oberbefehlshaber :c.. wie er
in der Phantasie des Volks lebte? Was war aus jenem Plan geworden, von
dem man einst geflüstert hatte, daß unter Gablenz Befehl die Hannoveraner
und die neuauszuhebenden Holsteiner an der unteren Elbe sich sammeln und
den Preußen in den Rücken fallen sollten? Und was konnte die Ursache sein,
daß man den Feind ungestört in die wichtigen Positionen Sachsens rücken ließ?
Indessen auch hierfür wußte man Trost und Beruhigung. Es konnte ja kein
Zweifel aufkommen, daß der Sache des "Rechts" der Sieg verbleiben werde,
kein Zweifel, daß die vom Wind aufgeblasene schwindclhafte preußische Macht
an den kriegsgeübten Heeren des Kaiserstaats zerschellen werde. Wenn man
die Preußen über die Engpässe des Erz- und Riesengebirges hereinbrechen ließ,
-- also wurden die Anmuthiger beschwichtigt -- so geschah es ja nur, um sie in
eine Falle zu locken, in der sie um so sicherer vernichtet werden mußten. Bene-
dek war jetzt nicht mehr der kühne Haudegen, der in vierzehn Tagen nach
Berlin marschirte, er war der kluge Fabius Cunctator, man raunte sich Wunder
in die Ohren von dem tiefsinnigen strategischen Geheimniß, das nun stündlich
sich offenbaren müsse. Die radikale Phantasie weidete sich an dem Bild vom
böhmischen Mörser, in welchem demnächst die preußischen Armeen zerstampft
würden.

Und nun traf ja wirklich, sobald die Truppencorps sich aneinander maßen,
Siegesbotschaft über Siegesbotschaft ein. Vom Anfang jener Gefechte an bis
zum 1. Juli wurde Süddeutschland mit lauter Siegesnachrichten gefüttert. Da¬
zwischen immer wieder von Wien aus die scheinheilige Verwunderung über die
"Eigenthümlichkeit" der östreichischen Schlachtberichte, die "im höchsten Grad
schlicht und einfach", noch gar unter der Wirklichkeit blieben, und gleichzeitig
große moralische Entrüstung über die schamlosen Lügen der preußischen Bulle¬
tins. Die Ehrlichkeit gipfelte in den Schauderberichten von den räuberischen
Excessen der preußischen Horden in Feindesland, von ihren Zwangsaushebungen
u. s. w-, Lügen, die heute dementirt, morgen mit Regelmäßigkeit wiederkehrten,
grade wie die haarsträubenden Menchen vom Verkauf des Unken Rheinufers an
Frankreich.

Wer etwa mit dem Finger auf der Karte zu jenen Tiegesberieblen den
Kopf schüttelte, war Verräther. Sieg! Sieg! überschrieben d>e Radicale" isle
Leitartikel. Exirablälter verkündete" läglick die frohe Kunde; jubelnd winden
sie in die Hand der Soldaten gedrückt, die ins Feld zoaen. nul Hohn in ti>'
Hand der Beamten, dle, aus Hohenzollern vertrieben, den stuligcnier Bahnhof
Paisirtcn. In j.nen Ta.,er. war es. d.,h in dem f. Hoig"t Manzell c"n
Bodens" eine Kot'e Frau bei einem Besuch am 30. Juni ">n besonders
heiterer Stimmung" dem Prachtexemplar des Stalles den N.unen "Kuh


Gr-njbotrn III. 1866. 20

Holsteins, s« machte die Preisgebung Dresdens den übelsten Eindruck. Wie
reimte sich solcher Anfang mit dem Charakter des Oberbefehlshaber :c.. wie er
in der Phantasie des Volks lebte? Was war aus jenem Plan geworden, von
dem man einst geflüstert hatte, daß unter Gablenz Befehl die Hannoveraner
und die neuauszuhebenden Holsteiner an der unteren Elbe sich sammeln und
den Preußen in den Rücken fallen sollten? Und was konnte die Ursache sein,
daß man den Feind ungestört in die wichtigen Positionen Sachsens rücken ließ?
Indessen auch hierfür wußte man Trost und Beruhigung. Es konnte ja kein
Zweifel aufkommen, daß der Sache des „Rechts" der Sieg verbleiben werde,
kein Zweifel, daß die vom Wind aufgeblasene schwindclhafte preußische Macht
an den kriegsgeübten Heeren des Kaiserstaats zerschellen werde. Wenn man
die Preußen über die Engpässe des Erz- und Riesengebirges hereinbrechen ließ,
— also wurden die Anmuthiger beschwichtigt — so geschah es ja nur, um sie in
eine Falle zu locken, in der sie um so sicherer vernichtet werden mußten. Bene-
dek war jetzt nicht mehr der kühne Haudegen, der in vierzehn Tagen nach
Berlin marschirte, er war der kluge Fabius Cunctator, man raunte sich Wunder
in die Ohren von dem tiefsinnigen strategischen Geheimniß, das nun stündlich
sich offenbaren müsse. Die radikale Phantasie weidete sich an dem Bild vom
böhmischen Mörser, in welchem demnächst die preußischen Armeen zerstampft
würden.

Und nun traf ja wirklich, sobald die Truppencorps sich aneinander maßen,
Siegesbotschaft über Siegesbotschaft ein. Vom Anfang jener Gefechte an bis
zum 1. Juli wurde Süddeutschland mit lauter Siegesnachrichten gefüttert. Da¬
zwischen immer wieder von Wien aus die scheinheilige Verwunderung über die
„Eigenthümlichkeit" der östreichischen Schlachtberichte, die „im höchsten Grad
schlicht und einfach", noch gar unter der Wirklichkeit blieben, und gleichzeitig
große moralische Entrüstung über die schamlosen Lügen der preußischen Bulle¬
tins. Die Ehrlichkeit gipfelte in den Schauderberichten von den räuberischen
Excessen der preußischen Horden in Feindesland, von ihren Zwangsaushebungen
u. s. w-, Lügen, die heute dementirt, morgen mit Regelmäßigkeit wiederkehrten,
grade wie die haarsträubenden Menchen vom Verkauf des Unken Rheinufers an
Frankreich.

Wer etwa mit dem Finger auf der Karte zu jenen Tiegesberieblen den
Kopf schüttelte, war Verräther. Sieg! Sieg! überschrieben d>e Radicale» isle
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sie in die Hand der Soldaten gedrückt, die ins Feld zoaen. nul Hohn in ti>'
Hand der Beamten, dle, aus Hohenzollern vertrieben, den stuligcnier Bahnhof
Paisirtcn. In j.nen Ta.,er. war es. d.,h in dem f. Hoig»t Manzell c»n
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heiterer Stimmung" dem Prachtexemplar des Stalles den N.unen »Kuh


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/169>, abgerufen am 22.07.2024.