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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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der Straße zu. Eine unbeschreibliche Panik herrschte den ganzen Tag über in
der Stadt. Die Straßen wurden nicht leer von Ab- und Zuströmenden, die
Zeitungsexpcditionen waren von Harrenden umwogt, es war ein beständiges
Gehen und Rennen, eine unglaubliche Mähr drängte die andere. Die Be¬
schränkung des Bahnverkehrs, der für die fortdauernden Truppentransporte
reservirt wurde, die militärische Absperrung des Bahnhofs, die durchstreifenden
Patrouillen vollendeten den beängstigenden Eindruck, daß eine Katastrophe be¬
vorstehe. Dies war der denkwürdige Tag, an welchem einige Marschbewegungen
der Preußen drei Throne aufrollten, die Börsenstadt erschütterten und einen
Schrecken verbreiteten, dessen letzte Schwingungen am Nesenbach noch sehr em¬
pfindlich verspürt wurden.

So war man denn auch hier einen Augenblick vom Ernst der Lage berührt.
Aber einen Augenblick. Schon am folgenden Tag hatte sich der Schrecken ge¬
legt. Mit vergnügten Gesichtern sagte man sich: die Preußen schießen nicht
so schnell. Frankfurt war nicht unmittelbar bedroht. Man hatte alle Muße,
inzwischen für die seldmäßige Ausrüstung der Truppen zu sorgen. In einem
Lager bei Aldingen versammelt, sollten sie, gegen 20,000 Mann, in 14 Tagen
in Frankfurt sein. Auch die verdächtigen Nachbarn zur Rechten und zur Linken
waren endlich "zur bundestreuen Haltung zurückgekehrt". Die Badener rückten
"allmälig in Eilmärschen" vor, unaufhaltsam wälzte sich das bayrische Heer gen
Norden. Eine gewaltige Armee sollte sich am Main unter dem Befehl des
Prinzen Alexander von Hessen bilden. Besondere Beruhigung gewährte es,
als verlautete, daß auch ein beträchtliches östreichisches Corps zu den Bundes¬
truppen stoßen werde. Man sprach erst von 60.000, dann von 60,000, bald
von 100.000 Mann, die binnen kurzem die Mainlinie decken und dem länder¬
gierigen Treiben Preußens Halt gebieten würden. Und bald wurden die Ziele
höher gesteckt: Kurhessen, Hannover mußte wieder erobert werden, die Kühneren
verlangten Eroberung der Rheinprovinz.

Inzwischen wurde in der Presse ein giftiges Kleinfeuer gegen Preußen und
die nationale Partei unterhalten. Was größere und kleinere Blätter in Süd¬
deutschland hierin leisteten, gehört zu dem Erstaunlichsten in der Geschichte die¬
ser Tage, in denen buchstäblich alles auf den Kopf gestellt schien. Noggenvach
war Verräther, Bluntschli Verräther. Treitschke Verräther, die Bennigsen. die
Miquöl, die Oetker, sie alle Verräther. Dagegen erhob das Parteitreiben Figu¬
ren auf das Piedestal der Volksgunst, welche bisher in unbegreiflicher Verblen¬
dung, von den Gothaern verleitet, das Volk in ganz anderem Lichte erblickt
hatte, vor allem die königliche Hoheit, die von rohen Händen aus Wilhelms-
höhe nach Stettin der Cholera entgegengeschleppt wurde, und deren mannhafte,
würdevolle Haltung, deren edles Martyrium für die Sache des Rechts nicht
eindringlich aenug gelobt und hervorgehoben werden konnte. Der Philister, von


der Straße zu. Eine unbeschreibliche Panik herrschte den ganzen Tag über in
der Stadt. Die Straßen wurden nicht leer von Ab- und Zuströmenden, die
Zeitungsexpcditionen waren von Harrenden umwogt, es war ein beständiges
Gehen und Rennen, eine unglaubliche Mähr drängte die andere. Die Be¬
schränkung des Bahnverkehrs, der für die fortdauernden Truppentransporte
reservirt wurde, die militärische Absperrung des Bahnhofs, die durchstreifenden
Patrouillen vollendeten den beängstigenden Eindruck, daß eine Katastrophe be¬
vorstehe. Dies war der denkwürdige Tag, an welchem einige Marschbewegungen
der Preußen drei Throne aufrollten, die Börsenstadt erschütterten und einen
Schrecken verbreiteten, dessen letzte Schwingungen am Nesenbach noch sehr em¬
pfindlich verspürt wurden.

So war man denn auch hier einen Augenblick vom Ernst der Lage berührt.
Aber einen Augenblick. Schon am folgenden Tag hatte sich der Schrecken ge¬
legt. Mit vergnügten Gesichtern sagte man sich: die Preußen schießen nicht
so schnell. Frankfurt war nicht unmittelbar bedroht. Man hatte alle Muße,
inzwischen für die seldmäßige Ausrüstung der Truppen zu sorgen. In einem
Lager bei Aldingen versammelt, sollten sie, gegen 20,000 Mann, in 14 Tagen
in Frankfurt sein. Auch die verdächtigen Nachbarn zur Rechten und zur Linken
waren endlich „zur bundestreuen Haltung zurückgekehrt". Die Badener rückten
„allmälig in Eilmärschen" vor, unaufhaltsam wälzte sich das bayrische Heer gen
Norden. Eine gewaltige Armee sollte sich am Main unter dem Befehl des
Prinzen Alexander von Hessen bilden. Besondere Beruhigung gewährte es,
als verlautete, daß auch ein beträchtliches östreichisches Corps zu den Bundes¬
truppen stoßen werde. Man sprach erst von 60.000, dann von 60,000, bald
von 100.000 Mann, die binnen kurzem die Mainlinie decken und dem länder¬
gierigen Treiben Preußens Halt gebieten würden. Und bald wurden die Ziele
höher gesteckt: Kurhessen, Hannover mußte wieder erobert werden, die Kühneren
verlangten Eroberung der Rheinprovinz.

Inzwischen wurde in der Presse ein giftiges Kleinfeuer gegen Preußen und
die nationale Partei unterhalten. Was größere und kleinere Blätter in Süd¬
deutschland hierin leisteten, gehört zu dem Erstaunlichsten in der Geschichte die¬
ser Tage, in denen buchstäblich alles auf den Kopf gestellt schien. Noggenvach
war Verräther, Bluntschli Verräther. Treitschke Verräther, die Bennigsen. die
Miquöl, die Oetker, sie alle Verräther. Dagegen erhob das Parteitreiben Figu¬
ren auf das Piedestal der Volksgunst, welche bisher in unbegreiflicher Verblen¬
dung, von den Gothaern verleitet, das Volk in ganz anderem Lichte erblickt
hatte, vor allem die königliche Hoheit, die von rohen Händen aus Wilhelms-
höhe nach Stettin der Cholera entgegengeschleppt wurde, und deren mannhafte,
würdevolle Haltung, deren edles Martyrium für die Sache des Rechts nicht
eindringlich aenug gelobt und hervorgehoben werden konnte. Der Philister, von


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[0167] der Straße zu. Eine unbeschreibliche Panik herrschte den ganzen Tag über in der Stadt. Die Straßen wurden nicht leer von Ab- und Zuströmenden, die Zeitungsexpcditionen waren von Harrenden umwogt, es war ein beständiges Gehen und Rennen, eine unglaubliche Mähr drängte die andere. Die Be¬ schränkung des Bahnverkehrs, der für die fortdauernden Truppentransporte reservirt wurde, die militärische Absperrung des Bahnhofs, die durchstreifenden Patrouillen vollendeten den beängstigenden Eindruck, daß eine Katastrophe be¬ vorstehe. Dies war der denkwürdige Tag, an welchem einige Marschbewegungen der Preußen drei Throne aufrollten, die Börsenstadt erschütterten und einen Schrecken verbreiteten, dessen letzte Schwingungen am Nesenbach noch sehr em¬ pfindlich verspürt wurden. So war man denn auch hier einen Augenblick vom Ernst der Lage berührt. Aber einen Augenblick. Schon am folgenden Tag hatte sich der Schrecken ge¬ legt. Mit vergnügten Gesichtern sagte man sich: die Preußen schießen nicht so schnell. Frankfurt war nicht unmittelbar bedroht. Man hatte alle Muße, inzwischen für die seldmäßige Ausrüstung der Truppen zu sorgen. In einem Lager bei Aldingen versammelt, sollten sie, gegen 20,000 Mann, in 14 Tagen in Frankfurt sein. Auch die verdächtigen Nachbarn zur Rechten und zur Linken waren endlich „zur bundestreuen Haltung zurückgekehrt". Die Badener rückten „allmälig in Eilmärschen" vor, unaufhaltsam wälzte sich das bayrische Heer gen Norden. Eine gewaltige Armee sollte sich am Main unter dem Befehl des Prinzen Alexander von Hessen bilden. Besondere Beruhigung gewährte es, als verlautete, daß auch ein beträchtliches östreichisches Corps zu den Bundes¬ truppen stoßen werde. Man sprach erst von 60.000, dann von 60,000, bald von 100.000 Mann, die binnen kurzem die Mainlinie decken und dem länder¬ gierigen Treiben Preußens Halt gebieten würden. Und bald wurden die Ziele höher gesteckt: Kurhessen, Hannover mußte wieder erobert werden, die Kühneren verlangten Eroberung der Rheinprovinz. Inzwischen wurde in der Presse ein giftiges Kleinfeuer gegen Preußen und die nationale Partei unterhalten. Was größere und kleinere Blätter in Süd¬ deutschland hierin leisteten, gehört zu dem Erstaunlichsten in der Geschichte die¬ ser Tage, in denen buchstäblich alles auf den Kopf gestellt schien. Noggenvach war Verräther, Bluntschli Verräther. Treitschke Verräther, die Bennigsen. die Miquöl, die Oetker, sie alle Verräther. Dagegen erhob das Parteitreiben Figu¬ ren auf das Piedestal der Volksgunst, welche bisher in unbegreiflicher Verblen¬ dung, von den Gothaern verleitet, das Volk in ganz anderem Lichte erblickt hatte, vor allem die königliche Hoheit, die von rohen Händen aus Wilhelms- höhe nach Stettin der Cholera entgegengeschleppt wurde, und deren mannhafte, würdevolle Haltung, deren edles Martyrium für die Sache des Rechts nicht eindringlich aenug gelobt und hervorgehoben werden konnte. Der Philister, von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/167>, abgerufen am 22.07.2024.