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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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und ritt auf Theodor zu, welcher, von seinen Offizieren umgeben, vor seinem
Zelte saß. Mit bittern Worten warf ihm Bell seine Undankbarkeit, Falschheit
und Tyrannei vor. Der Negus schwieg dazu. Am Abend aber, als sie wie
gewöhnlich zusammen gegessen, verließ er plötzlich das Zelt, und nach einer
Weile kam er mit einem schweren Stein am Halse zurück und beugte sich tief
vor dem Freunde nieder. Nach altem Brauch war er dem Beleidigten diese
Genugthuung schuldig, und er besaß Selbstbeherrschung genug, sich diesem Her¬
kommen zu unterwerfen. Gerührt bat ihn Bell, künftig seinen Rang nicht zu
vergessen, und von jetzt an war das Band der Freundschaft zwischen den beiden
doppelt befestigt.

Wieder ein Beispiel seiner rücksichtslosen Politik ist folgendes. Balgada
Ares besuchte Theodor an der Spitze einer Armee Tigriner, unter dem Ver¬
wände, ihm huldigen zu wollen, in Wirklichkeit aber, um ihm durch sein Gefolge
zu imponiren. Der Negus merkte das, nahm ihn gnädig auf, lud ihn zur
Tafel und -- legte ihn zum Dessert in Ketten. Wüthend fragte Balgada,
weshalb. "Nun wegen nichts," erwiederte trocken Theodor, "als weil sie dich
in Tigre lieben und du mächtig genug bist, eine neue Rebellion anzustiften."
"Gieb mir ein Pferd und ein Schwert," rief der verzweifelnde Balgada, "kämpfe
mit mir und zeige, daß du des Thrones würdig bist." "Gott behüte mich
davor," sagte der Kaiser, "wir haben genug solche hirnlose Ritter in Abyssinien
gehabt, und durch sie grade ist das Land so heruntergekommen. Jetzt braucht
es einen verständigen Herrscher und Ordnung gehandhabt durch eine feste Hand;
geh und befreie dich Gott."

Am meisten liegt dem Negus die Befestigung seiner Dynastie und mit
dieser die seines Reiches, welches er restaurirt hat, am Herzen. Er selbst hat
in dieser Beziehung gute Hoffnung. "Gott," sagt er, "hat die Zukunft dem
Hause David zugesichert; von diesem Hause bin ich der einzige lebende Fürst,
folglich gehört die Zukunft mir und meiner Familie. Möglich, daß ich unter¬
liege, meine Kinder aber werden siegen; denn die Propheten haben nicht ge¬
logen."

Ob er damit recht urtheilt, ist abzuwarten. Er hat zwei Söhne von sei¬
ner ersten Gemahlin, von denen der älteste als unwissend, liederlich und über¬
haupt als eine Art Ungeheuer geschildert wird. Sein Vater setzt ihn ganz bei
Seite und hütet sich, ihn irgendeine politische Rolle spielen zu lassen. Ja als
der Prinz einst in der Trunkenheit sich ungebührlich über seinen Vater zu prah¬
len vermaß, ließ dieser ihn in einen Esclsstall sperren, wo "er unter Seines¬
gleichen sein würde". Dedjas Mechecha, der zweite Sohn, wurde im Jahre 1861
zum Gouverneur der Provinz Dembea ernannt und wußte sich hier die Liebe
des Volkes in so hohem Grade zu erwerben, daß Theodor bedenklich wurde und
es für gerathen hielt, ihn abzuberufen. Sollte der Kaiser jetzt mit Tode ab-


und ritt auf Theodor zu, welcher, von seinen Offizieren umgeben, vor seinem
Zelte saß. Mit bittern Worten warf ihm Bell seine Undankbarkeit, Falschheit
und Tyrannei vor. Der Negus schwieg dazu. Am Abend aber, als sie wie
gewöhnlich zusammen gegessen, verließ er plötzlich das Zelt, und nach einer
Weile kam er mit einem schweren Stein am Halse zurück und beugte sich tief
vor dem Freunde nieder. Nach altem Brauch war er dem Beleidigten diese
Genugthuung schuldig, und er besaß Selbstbeherrschung genug, sich diesem Her¬
kommen zu unterwerfen. Gerührt bat ihn Bell, künftig seinen Rang nicht zu
vergessen, und von jetzt an war das Band der Freundschaft zwischen den beiden
doppelt befestigt.

Wieder ein Beispiel seiner rücksichtslosen Politik ist folgendes. Balgada
Ares besuchte Theodor an der Spitze einer Armee Tigriner, unter dem Ver¬
wände, ihm huldigen zu wollen, in Wirklichkeit aber, um ihm durch sein Gefolge
zu imponiren. Der Negus merkte das, nahm ihn gnädig auf, lud ihn zur
Tafel und — legte ihn zum Dessert in Ketten. Wüthend fragte Balgada,
weshalb. „Nun wegen nichts," erwiederte trocken Theodor, „als weil sie dich
in Tigre lieben und du mächtig genug bist, eine neue Rebellion anzustiften."
„Gieb mir ein Pferd und ein Schwert," rief der verzweifelnde Balgada, „kämpfe
mit mir und zeige, daß du des Thrones würdig bist." „Gott behüte mich
davor," sagte der Kaiser, „wir haben genug solche hirnlose Ritter in Abyssinien
gehabt, und durch sie grade ist das Land so heruntergekommen. Jetzt braucht
es einen verständigen Herrscher und Ordnung gehandhabt durch eine feste Hand;
geh und befreie dich Gott."

Am meisten liegt dem Negus die Befestigung seiner Dynastie und mit
dieser die seines Reiches, welches er restaurirt hat, am Herzen. Er selbst hat
in dieser Beziehung gute Hoffnung. „Gott," sagt er, „hat die Zukunft dem
Hause David zugesichert; von diesem Hause bin ich der einzige lebende Fürst,
folglich gehört die Zukunft mir und meiner Familie. Möglich, daß ich unter¬
liege, meine Kinder aber werden siegen; denn die Propheten haben nicht ge¬
logen."

Ob er damit recht urtheilt, ist abzuwarten. Er hat zwei Söhne von sei¬
ner ersten Gemahlin, von denen der älteste als unwissend, liederlich und über¬
haupt als eine Art Ungeheuer geschildert wird. Sein Vater setzt ihn ganz bei
Seite und hütet sich, ihn irgendeine politische Rolle spielen zu lassen. Ja als
der Prinz einst in der Trunkenheit sich ungebührlich über seinen Vater zu prah¬
len vermaß, ließ dieser ihn in einen Esclsstall sperren, wo „er unter Seines¬
gleichen sein würde". Dedjas Mechecha, der zweite Sohn, wurde im Jahre 1861
zum Gouverneur der Provinz Dembea ernannt und wußte sich hier die Liebe
des Volkes in so hohem Grade zu erwerben, daß Theodor bedenklich wurde und
es für gerathen hielt, ihn abzuberufen. Sollte der Kaiser jetzt mit Tode ab-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/159>, abgerufen am 22.07.2024.