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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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bei welchem er selbst den Vorsitz führte. Als die Männer von Azozo hier dem un¬
wissenden Abuna stark zusetzten, schnitt ihnen nach einer Weile der Negus das Wort
ab. "Erkennt ihr/' sagte er, .den Abuna für Euer kirchliches Oberhaupt an
-- ja oder nein?" -- "Ja", erwiederten die Gefragten ohne Zaudern. "In
diesem Fall, meine Kinder," antwortete der Negus, "habt Ihr Unrecht, wenn
Ihr anders denkt als das rechtmäßige Haupt Eurer Kirche, und müßt daher
Eure Meinung abschwören, widrigenfalls Euch der Henker da den Kopf ab¬
schlagen wird." Wirklich stand der Bezeichnete mit seinem schweren Schwerte
hinter ihnen. Sie baten um drei Tage Bedenkzeit, der Kaiser bewilligte ihnen
dieselben, doch mußten sie ins Gefängniß während derselben, und man ließ sie
ohne Lebensmittel. Die Folge war, daß sie schon nach etwa vierundzwanzig
Stunden ganz derselben Ansicht waren, wie der Abuna und der Kaiser.

In einem andern Fall wieder behielt der Kaiser in Theodor die Oberhand
über den Theologen. Nicht weit von Gondar wohnt im Waldgebirge das
Völkchen der Kanaillen, Reste der Ureinwohner des Landes, die noch Heid?n
sind, wie Heloten behandelt werden und keine andere Beschäftigung treiben, als
die Hauptstadt mit Brennholz zu versehen. Dieses Volk hatte der Negus eben¬
falls zu bekehren beschlossen, als man ihn darauf aufmerksam machte, daß die
Kanaillen dann aus gleichem Fuß mit den übrigen Unterthanen seiner Majestät
stehen und daß sie dann kein Holz mehr nach der Stadt liefern würden, wo¬
durch Gondar unbewohnbar werden müßte. Der Kaiser zügelte darauf seinen
Bekehrungseifer; denn so kostbar die Seelen der Kanaillen auch sein mochten,
das Holzbedürfniß seiner Residenz war doch noch wichtiger.

Vor circa fünf Jahren forderte die französische Negierung den Kaiser auf.
zu gestatten, daß in seinem Lande der römisch-katholische Glaube gepredigt
werde. Er antwortete darauf in einem sehr charakteristischen Briefe, in welchem
es hieß:

"Es ist eine wahre Schande, daß die Christenheit sich in fünf oder sechs
feindliche Parteien getheilt hat, während der Islam eine feste Einheit darstellt.
Warum sollte nicht ein allgemeines Concil zusammentreten, aus den Vertretern
der verschiedenen Kirchen bestehend, um sich über eine Kirchenlehre für alle
Christen zu verständigen? Die fünf Patriarchen der Christen, zu Rom, Kon¬
stantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem müßten dann beschließen,
ob die Gemeinde der Christen ein Oberhaupt haben sollte und wo es sich auf¬
zuhalten habe, zu Rom oder anderswo. Dem Ausspruch einer solchen Ver¬
sammlung will ich mich gern unterwerfen. Bis solches aber geschehen, bleibe
ich bei dem Glauben meiner Väter und lasse auch keinen andern in meinem
Reiche predigen; denn in einem wohlregierten Staate darf es nicht zwei ver¬
schiedene Religionen geben."

Diesem Grundsatz folgte der Negus auch bei andern Gelegenheiten, und


bei welchem er selbst den Vorsitz führte. Als die Männer von Azozo hier dem un¬
wissenden Abuna stark zusetzten, schnitt ihnen nach einer Weile der Negus das Wort
ab. „Erkennt ihr/' sagte er, .den Abuna für Euer kirchliches Oberhaupt an
— ja oder nein?" — „Ja", erwiederten die Gefragten ohne Zaudern. „In
diesem Fall, meine Kinder," antwortete der Negus, „habt Ihr Unrecht, wenn
Ihr anders denkt als das rechtmäßige Haupt Eurer Kirche, und müßt daher
Eure Meinung abschwören, widrigenfalls Euch der Henker da den Kopf ab¬
schlagen wird." Wirklich stand der Bezeichnete mit seinem schweren Schwerte
hinter ihnen. Sie baten um drei Tage Bedenkzeit, der Kaiser bewilligte ihnen
dieselben, doch mußten sie ins Gefängniß während derselben, und man ließ sie
ohne Lebensmittel. Die Folge war, daß sie schon nach etwa vierundzwanzig
Stunden ganz derselben Ansicht waren, wie der Abuna und der Kaiser.

In einem andern Fall wieder behielt der Kaiser in Theodor die Oberhand
über den Theologen. Nicht weit von Gondar wohnt im Waldgebirge das
Völkchen der Kanaillen, Reste der Ureinwohner des Landes, die noch Heid?n
sind, wie Heloten behandelt werden und keine andere Beschäftigung treiben, als
die Hauptstadt mit Brennholz zu versehen. Dieses Volk hatte der Negus eben¬
falls zu bekehren beschlossen, als man ihn darauf aufmerksam machte, daß die
Kanaillen dann aus gleichem Fuß mit den übrigen Unterthanen seiner Majestät
stehen und daß sie dann kein Holz mehr nach der Stadt liefern würden, wo¬
durch Gondar unbewohnbar werden müßte. Der Kaiser zügelte darauf seinen
Bekehrungseifer; denn so kostbar die Seelen der Kanaillen auch sein mochten,
das Holzbedürfniß seiner Residenz war doch noch wichtiger.

Vor circa fünf Jahren forderte die französische Negierung den Kaiser auf.
zu gestatten, daß in seinem Lande der römisch-katholische Glaube gepredigt
werde. Er antwortete darauf in einem sehr charakteristischen Briefe, in welchem
es hieß:

„Es ist eine wahre Schande, daß die Christenheit sich in fünf oder sechs
feindliche Parteien getheilt hat, während der Islam eine feste Einheit darstellt.
Warum sollte nicht ein allgemeines Concil zusammentreten, aus den Vertretern
der verschiedenen Kirchen bestehend, um sich über eine Kirchenlehre für alle
Christen zu verständigen? Die fünf Patriarchen der Christen, zu Rom, Kon¬
stantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem müßten dann beschließen,
ob die Gemeinde der Christen ein Oberhaupt haben sollte und wo es sich auf¬
zuhalten habe, zu Rom oder anderswo. Dem Ausspruch einer solchen Ver¬
sammlung will ich mich gern unterwerfen. Bis solches aber geschehen, bleibe
ich bei dem Glauben meiner Väter und lasse auch keinen andern in meinem
Reiche predigen; denn in einem wohlregierten Staate darf es nicht zwei ver¬
schiedene Religionen geben."

Diesem Grundsatz folgte der Negus auch bei andern Gelegenheiten, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/154>, abgerufen am 22.07.2024.