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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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im Lande des großen Negus reiste, sechs Wochen von ihm gefangen gehalten
wurde, mehrmals bei ihm Audienz hatte, und welcher seine Abenteuer und
Beobachtungen in der Residenz desselben sehr anschaulich wiederzugeben weiß.
Andere Züge zu unsrem Bilde entnehmen wir den ebenfalls vor Kurzem ver¬
öffentlichten Mittheilungen des bekannten französischen Reisenden Lejean,
welcher sich im Jahre 1863 neun Monate als Vertreter Frankreichs in Abys-
sinien aufhielt.

Der Negus Theodor der Zweite hieß ursprünglich Kaffa Kuarauja
und ist väterlicher und mütterlicher Seits von edler Herkunft. Sein Vater
Hallo Mariam führte den Titel Dedschas, was unserm Herzog entspricht, und
seine Mutter leitete ihre Abstammung auf den mythischen Menilck, den Sohn
Salomos und der Königin von Saba, die nach äthiopischer Sage Makada hieß
und Habesch beherrschte, zurück. Indeß theilten, als Hallo Mariam frühzeitig
starb, habsüchtige Verwandte den Nachlaß unter sich, und die Wittwe mußte
sich als Verkäuferin von Kusso, dem bekannten in Habesch viel gebrauchten
Mittel gegen den Bandwurm, zu ernähren suchen; ihr Sohn Kaffa aber wurde
von den bösen Vettern in das Kloster Tschanker am Tanjasee gebracht, um ein
Äebtera, d. h. ein Geistlicher oder Gelehrter zu werden. Hier verblieb er, bis
er zum Jüngling erwachsen, lernte die alte Literatur feines Volkes kennen und
begann sich allmälig, an seine Herkunft denkend und mit den ritterlichen Tra¬
ditionen und den hochfliegenden Prophezeiungen jener Literatur bekannt werdend,
mit ehrgeizigen Plänen zu erfüllen. Den Anstoß zur Verwirklichung derselben
bekam er dadurch, daß Dedschas Maro, einer der vielen Häuptlinge, welche sich
in dieser Zeit um die Herrschaft über das Land stritten, sein Kloster überfiel
und die Mönche theils niedermetzelte, theils zerstreute. Kaffa entkam und führte
von da an mit andern Abenteurern ein Räuberleben, wie David, als er vor
Saul in die Wüste entwichen. Allmälig mehrte sich seine Schaar, und endlich
fühlte er sich stark genug zu dem Versuch, der Memme, einer Fürstin, welche
mit einem der früheren regierenden Negus vermählt gewesen, die von derselben
selbständig verwaltete Provinz Dembea streitig zu machen. Die Fürstin stellte
sich dem jungen Krieger mit Heeresmacht entgegen, wurde aber geschlagen und
machte nun gute Miene zum bösen Spiel, indem sie Kaffa nicht nur die ge¬
nannte Provinz zum Lehen gab, sondern ihm auch ihre Tochter Tsubedsche
vermählte.

Weniger glücklich endete der zweite größere Schlag, welchen der kühne
Freibeuter wagte, ein Feldzug gegen die Aegvpter. welche sich die Zerrüttung
aller Verhältnisse in Habesch und die Schwäche des Negus zu Nutze gemacht
und die Provinz Gallabat erobert hatten. Allerdings gelang zunächst ein Ueber-
fall der Marktstadt Matamma, und die große Beute, die hier gemacht wurde,
lockte zu Kassas Heer eine Menge andrer Abenteurer. Als er aber mit diesen


im Lande des großen Negus reiste, sechs Wochen von ihm gefangen gehalten
wurde, mehrmals bei ihm Audienz hatte, und welcher seine Abenteuer und
Beobachtungen in der Residenz desselben sehr anschaulich wiederzugeben weiß.
Andere Züge zu unsrem Bilde entnehmen wir den ebenfalls vor Kurzem ver¬
öffentlichten Mittheilungen des bekannten französischen Reisenden Lejean,
welcher sich im Jahre 1863 neun Monate als Vertreter Frankreichs in Abys-
sinien aufhielt.

Der Negus Theodor der Zweite hieß ursprünglich Kaffa Kuarauja
und ist väterlicher und mütterlicher Seits von edler Herkunft. Sein Vater
Hallo Mariam führte den Titel Dedschas, was unserm Herzog entspricht, und
seine Mutter leitete ihre Abstammung auf den mythischen Menilck, den Sohn
Salomos und der Königin von Saba, die nach äthiopischer Sage Makada hieß
und Habesch beherrschte, zurück. Indeß theilten, als Hallo Mariam frühzeitig
starb, habsüchtige Verwandte den Nachlaß unter sich, und die Wittwe mußte
sich als Verkäuferin von Kusso, dem bekannten in Habesch viel gebrauchten
Mittel gegen den Bandwurm, zu ernähren suchen; ihr Sohn Kaffa aber wurde
von den bösen Vettern in das Kloster Tschanker am Tanjasee gebracht, um ein
Äebtera, d. h. ein Geistlicher oder Gelehrter zu werden. Hier verblieb er, bis
er zum Jüngling erwachsen, lernte die alte Literatur feines Volkes kennen und
begann sich allmälig, an seine Herkunft denkend und mit den ritterlichen Tra¬
ditionen und den hochfliegenden Prophezeiungen jener Literatur bekannt werdend,
mit ehrgeizigen Plänen zu erfüllen. Den Anstoß zur Verwirklichung derselben
bekam er dadurch, daß Dedschas Maro, einer der vielen Häuptlinge, welche sich
in dieser Zeit um die Herrschaft über das Land stritten, sein Kloster überfiel
und die Mönche theils niedermetzelte, theils zerstreute. Kaffa entkam und führte
von da an mit andern Abenteurern ein Räuberleben, wie David, als er vor
Saul in die Wüste entwichen. Allmälig mehrte sich seine Schaar, und endlich
fühlte er sich stark genug zu dem Versuch, der Memme, einer Fürstin, welche
mit einem der früheren regierenden Negus vermählt gewesen, die von derselben
selbständig verwaltete Provinz Dembea streitig zu machen. Die Fürstin stellte
sich dem jungen Krieger mit Heeresmacht entgegen, wurde aber geschlagen und
machte nun gute Miene zum bösen Spiel, indem sie Kaffa nicht nur die ge¬
nannte Provinz zum Lehen gab, sondern ihm auch ihre Tochter Tsubedsche
vermählte.

Weniger glücklich endete der zweite größere Schlag, welchen der kühne
Freibeuter wagte, ein Feldzug gegen die Aegvpter. welche sich die Zerrüttung
aller Verhältnisse in Habesch und die Schwäche des Negus zu Nutze gemacht
und die Provinz Gallabat erobert hatten. Allerdings gelang zunächst ein Ueber-
fall der Marktstadt Matamma, und die große Beute, die hier gemacht wurde,
lockte zu Kassas Heer eine Menge andrer Abenteurer. Als er aber mit diesen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/146>, abgerufen am 22.07.2024.