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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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wird auch Preußen mit grimmigem Hasse verfolgt, und um die czechische Original¬
literatur, die nicht existirt, vermeintlich zu sichern, den großdeutschen Plänen ge¬
huldigt. Die gröbsten Spottlieder auf die Preußen stammen aus dem cze-
chischen Lager, der üppigste Uebermuth fand in czechischen Kreisen seine Nah¬
rung. Hat blinder Racenhaß und erbärmliche Eitelkeit die Slavenführer von
ihren politischen Pflichten abtrünnig gemacht, so verleitete die Deutschöstreicher
die bloße Furcht, nicht mehr die privilegirte Rolle in Oestreich spielen zu kön¬
nen, wenn sie auf ihre eigenen Kräfte angewiesen sind, zu großdeutschen Phan¬
tasien. Auf die vielhundertjährige Herrschaft Oestreichs über Deutschland, auf
die vielen Millionen Stammesbrüder, welche ihnen den Rücken decken, auf Oest¬
reichs deutsche Ehre und deutsche Mission wiesen sie hin, wenn sie nach dem
Rechtstitel ihres überwiegenden Einflusses im vielgliedrigen Kaiserstaate gefragt
wurden. Sie haben sich in die Stellung eines Präsidialvoltes unter den übrigen
Stämmen Oestreichs eingelebt, kein Wunder, daß sie an der Präsidialmacht
Oestreichs im deutschen Bund so hartnäckig festhalten, lieber mit dem Wider¬
sprüche sich beladen, gleichzeitig ein centralisirtes Oestreich und einen deutsch-
östreichischen Bundesstaat zu wünschen, als eine ihrem bequemen Egoismus lieb
gewordene Stellung aufzugeben. Mit demselben Cynismus, mit welchem die
deutschen Wortführer das wirtschaftliche Elend ihres Baterlandes nicht achte¬
ten, weil es dem leichtlebigen wiener Völkchen die Mittel zum Jubiliren nicht
vorenthielt, haben sie auch die deutsche Nation zum Dienste Oestreichs verpflich¬
tet angesehen, weil, so lange die deutschen Mißverhältnisse walten, die Be¬
wohner der alten östreichischen Provinzen sich nicht anzustrengen brauchen, ihre
Position zu sichern. Sie haben sich erfolgreich in eine lange Kette von Täu¬
schungen hineingelebt, sie haben leider auch die schlechtesten Mittel nicht zurück¬
gewiesen, um die übrige Welt gleichfalls zu betrügen, diese in dem Wahne zu
lassen, es handle sich in Wahrheit um ernste Interessen, wo doch nur frivole
Gelüste im Spiele waren. Selbst die neueste Infamie des wiener Hofes, die
Schenkung Venetiens an den Kaiser Napoleon, diesen Faustschlag der eigenen
Arme in das Gesicht, begleiten die Vertreter der öffentlichen Meinung in Oest¬
reich mit Händeklatschen. Das giebt freilich nur geringe Hoffnung, baß die
gegenwärtige Krisis zu einer bessern Selbsterkenntniß führen wird als das Un¬
glück des Jahres 1869. Und- dennoch muß es wiederholt werden: die Nieder¬
lagen Oestreichs im Felde gefährden den Staat weniger, als die Selbstsucht
und die frivole politische Anschauung, welche alle Kreise durchzieht. Man wird
es in künftigen Tagen nicht glauben wollen, daß eine einzige unglückliche
Kriegswoche ein großes Reich an den Abgrund des Verderbens bringen konnte.
Der Hochmuth der Oestreicher vor dem Ausbruche des Krieges, das ewige
Spotten über die Hanswursthusaren und Paradesoldaten Preußens war wider¬
lich, vollends verächtlich erscheint die gegenwärtige Feigheit, nicht nur der großen


wird auch Preußen mit grimmigem Hasse verfolgt, und um die czechische Original¬
literatur, die nicht existirt, vermeintlich zu sichern, den großdeutschen Plänen ge¬
huldigt. Die gröbsten Spottlieder auf die Preußen stammen aus dem cze-
chischen Lager, der üppigste Uebermuth fand in czechischen Kreisen seine Nah¬
rung. Hat blinder Racenhaß und erbärmliche Eitelkeit die Slavenführer von
ihren politischen Pflichten abtrünnig gemacht, so verleitete die Deutschöstreicher
die bloße Furcht, nicht mehr die privilegirte Rolle in Oestreich spielen zu kön¬
nen, wenn sie auf ihre eigenen Kräfte angewiesen sind, zu großdeutschen Phan¬
tasien. Auf die vielhundertjährige Herrschaft Oestreichs über Deutschland, auf
die vielen Millionen Stammesbrüder, welche ihnen den Rücken decken, auf Oest¬
reichs deutsche Ehre und deutsche Mission wiesen sie hin, wenn sie nach dem
Rechtstitel ihres überwiegenden Einflusses im vielgliedrigen Kaiserstaate gefragt
wurden. Sie haben sich in die Stellung eines Präsidialvoltes unter den übrigen
Stämmen Oestreichs eingelebt, kein Wunder, daß sie an der Präsidialmacht
Oestreichs im deutschen Bund so hartnäckig festhalten, lieber mit dem Wider¬
sprüche sich beladen, gleichzeitig ein centralisirtes Oestreich und einen deutsch-
östreichischen Bundesstaat zu wünschen, als eine ihrem bequemen Egoismus lieb
gewordene Stellung aufzugeben. Mit demselben Cynismus, mit welchem die
deutschen Wortführer das wirtschaftliche Elend ihres Baterlandes nicht achte¬
ten, weil es dem leichtlebigen wiener Völkchen die Mittel zum Jubiliren nicht
vorenthielt, haben sie auch die deutsche Nation zum Dienste Oestreichs verpflich¬
tet angesehen, weil, so lange die deutschen Mißverhältnisse walten, die Be¬
wohner der alten östreichischen Provinzen sich nicht anzustrengen brauchen, ihre
Position zu sichern. Sie haben sich erfolgreich in eine lange Kette von Täu¬
schungen hineingelebt, sie haben leider auch die schlechtesten Mittel nicht zurück¬
gewiesen, um die übrige Welt gleichfalls zu betrügen, diese in dem Wahne zu
lassen, es handle sich in Wahrheit um ernste Interessen, wo doch nur frivole
Gelüste im Spiele waren. Selbst die neueste Infamie des wiener Hofes, die
Schenkung Venetiens an den Kaiser Napoleon, diesen Faustschlag der eigenen
Arme in das Gesicht, begleiten die Vertreter der öffentlichen Meinung in Oest¬
reich mit Händeklatschen. Das giebt freilich nur geringe Hoffnung, baß die
gegenwärtige Krisis zu einer bessern Selbsterkenntniß führen wird als das Un¬
glück des Jahres 1869. Und- dennoch muß es wiederholt werden: die Nieder¬
lagen Oestreichs im Felde gefährden den Staat weniger, als die Selbstsucht
und die frivole politische Anschauung, welche alle Kreise durchzieht. Man wird
es in künftigen Tagen nicht glauben wollen, daß eine einzige unglückliche
Kriegswoche ein großes Reich an den Abgrund des Verderbens bringen konnte.
Der Hochmuth der Oestreicher vor dem Ausbruche des Krieges, das ewige
Spotten über die Hanswursthusaren und Paradesoldaten Preußens war wider¬
lich, vollends verächtlich erscheint die gegenwärtige Feigheit, nicht nur der großen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/143>, abgerufen am 22.07.2024.