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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Turin: Der Gesandte einer Großmacht , der mir immer das größte Vertrauen
zeigt, sagte kürzlich zu mir: Man glaubt hier, daß Oestreich in Turin lebhaft
im Sinne des Herzogs von Moden" gegen die Interessen des Prinzen Carignan
thätig sei. Würde je etwas Derartiges versucht, so würde das französische Ca-
vinet im Augenblick seine Partei ergreisen und seine Truppen marschiren lassen,
und Frankreich hätte dabei ganz unsere Zustimmung, da keine Macht ein solches
Attentat dulden würde. Im Jahr 1829 erneuerte sich dieser Verdacht noch
stärker. Die französischen Gesandten in Turin und Wien wurden angewiesen,
vom Fürsten Metternich und vom Grafen della Torre mündliche Versicherungen
in Betreff der sardinischen Thronfolge zu verlangen. Obgleich von beiden Sei¬
ten befriedigende Erklärungen erfolgten, beruhigte sich Frankreich nicht, sondern
wandte sich noch nach London und Se. Petersburg, um auch diese Höfe zur
Wachsamkeit aufzufordern. Doch erklärt Bianchi selbst, daß keine Spuren vor¬
handen sind, welche die Verfolgung jener Plane von Seite Oestreichs auch in
dieser Zeit noch beweisen. Metternich war wohl zu klug, um auf einem Plan
zu bestehen, der schon bei den ersten Versuchen auf so entschiedenen Einspruch
gestoßen war. Er beschränkte sich darauf, ein jesuitisches Netz um den Prinzen
zu ziehen, in welchem, wie er hoffte, auch der künftige König von Sardinien
gefangen sein sollte, und in welchem er in der That nur allzulange gefangen war.

Hat Karl Albert wirklich jene Erklärung unterschrieben, womit er sich die
Hand für jede künftige Verfassungsänderung band? Alle Wahrscheinlichkeit
spricht dafür. Am meisten das Verhalten des Königs in jenen Februartagen
1848, als die Lage der Dinge gebieterisch eine Constitution verlangte und Karl
Albert auf das Andrängen seiner Minister endlich erklärte: Nun so sei es. aber
das königliche Decret. welches die Verfassung meinen Völkern ertheilt, wird von
meinem Sohne gezeichnet sein. Es gelang die Skrupel des Königs nur mit
Mühe, mit Hilfe des Bischofs d'Angennes, nur mit dem Hinweis auf das
Vorangehen Neapels und insbesondere auf das liberale Beispiel Pius des
Neunten, des Haupts der Christenheit, zu beseitigen. Aber noch die ganze
Nacht vor dem entscheidenden Tag, dem 7. Februar, brachte der König wachend
zu, in tiefen Gedanken in seinem Zimmer auf- und abschreitend, und am
Morgen hörte er die Messe und nahm das Sacrament des Abendmahls, bevor
er die Minister vorließ. Welchen Kampf mag es den Fürsten, in welchem eine
peinlich asketische Religiosität mit dem höchsten, lange verhaltenen politischen
Ehrgeiz, der feste Glaube an die Absolutheit seiner Fürstengewalt mit dem Be¬
wußtsein seines Berufes für Italien sich stritten, welchen Kampf mag es diesen
Fürsten gekostet haben, bis er sich vor der Ueberzeugung beugte, daß nur eine
freie Verfassung und die Sympathien der Bevölkerungen die Geschicke des Hauses
Savoyen vollenden können!




Turin: Der Gesandte einer Großmacht , der mir immer das größte Vertrauen
zeigt, sagte kürzlich zu mir: Man glaubt hier, daß Oestreich in Turin lebhaft
im Sinne des Herzogs von Moden« gegen die Interessen des Prinzen Carignan
thätig sei. Würde je etwas Derartiges versucht, so würde das französische Ca-
vinet im Augenblick seine Partei ergreisen und seine Truppen marschiren lassen,
und Frankreich hätte dabei ganz unsere Zustimmung, da keine Macht ein solches
Attentat dulden würde. Im Jahr 1829 erneuerte sich dieser Verdacht noch
stärker. Die französischen Gesandten in Turin und Wien wurden angewiesen,
vom Fürsten Metternich und vom Grafen della Torre mündliche Versicherungen
in Betreff der sardinischen Thronfolge zu verlangen. Obgleich von beiden Sei¬
ten befriedigende Erklärungen erfolgten, beruhigte sich Frankreich nicht, sondern
wandte sich noch nach London und Se. Petersburg, um auch diese Höfe zur
Wachsamkeit aufzufordern. Doch erklärt Bianchi selbst, daß keine Spuren vor¬
handen sind, welche die Verfolgung jener Plane von Seite Oestreichs auch in
dieser Zeit noch beweisen. Metternich war wohl zu klug, um auf einem Plan
zu bestehen, der schon bei den ersten Versuchen auf so entschiedenen Einspruch
gestoßen war. Er beschränkte sich darauf, ein jesuitisches Netz um den Prinzen
zu ziehen, in welchem, wie er hoffte, auch der künftige König von Sardinien
gefangen sein sollte, und in welchem er in der That nur allzulange gefangen war.

Hat Karl Albert wirklich jene Erklärung unterschrieben, womit er sich die
Hand für jede künftige Verfassungsänderung band? Alle Wahrscheinlichkeit
spricht dafür. Am meisten das Verhalten des Königs in jenen Februartagen
1848, als die Lage der Dinge gebieterisch eine Constitution verlangte und Karl
Albert auf das Andrängen seiner Minister endlich erklärte: Nun so sei es. aber
das königliche Decret. welches die Verfassung meinen Völkern ertheilt, wird von
meinem Sohne gezeichnet sein. Es gelang die Skrupel des Königs nur mit
Mühe, mit Hilfe des Bischofs d'Angennes, nur mit dem Hinweis auf das
Vorangehen Neapels und insbesondere auf das liberale Beispiel Pius des
Neunten, des Haupts der Christenheit, zu beseitigen. Aber noch die ganze
Nacht vor dem entscheidenden Tag, dem 7. Februar, brachte der König wachend
zu, in tiefen Gedanken in seinem Zimmer auf- und abschreitend, und am
Morgen hörte er die Messe und nahm das Sacrament des Abendmahls, bevor
er die Minister vorließ. Welchen Kampf mag es den Fürsten, in welchem eine
peinlich asketische Religiosität mit dem höchsten, lange verhaltenen politischen
Ehrgeiz, der feste Glaube an die Absolutheit seiner Fürstengewalt mit dem Be¬
wußtsein seines Berufes für Italien sich stritten, welchen Kampf mag es diesen
Fürsten gekostet haben, bis er sich vor der Ueberzeugung beugte, daß nur eine
freie Verfassung und die Sympathien der Bevölkerungen die Geschicke des Hauses
Savoyen vollenden können!




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/123>, abgerufen am 22.07.2024.