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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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schriftliche Verpflichtung eingehe, die politische Verfassung Sardiniens niemals
zu ändern, lobte der Staatskanzler diesen Entschluß und sagte: Dieser Act wird
vielen testamentarischer Verfügungen gleichen, zu deren Ausführung das Gesetz
keine sicheren Mittel an die Hand giebt. Aber ebenso wie ein Erbe, der den
letzten Willen seines Wohlthäters nicht achtet, schuldvoll in der Meinung der
Menschen dasteht, so muß man den Thronerben in die Verfassung bringen, daß
er sein Wort nicht brechen kann, ohne seine Ehre zu verlieren. Im August
desselben Jahres, als der spanische Krieg zu Ende war und Karl Felix noch
immer unversöhnlich schien, sagte Metternich nachdrücklich zu Pralormo: Vor
allem müsse jetzt die Wiedereinsetzung des Prinzen in den Rang geschehen, der
ihm vermöge seiner Geburt zukomme. Europa, die Ruhe Italiens ist dabei
interessirt, daß der Zustand der Ungewißheit in Piemont aufhöre und daß der
Prinz, der zu dessen Regierung berufen ist, unter den Augen des Königs seine
Unterthanen kennen lerne, ihnen bekannt werde und eine Anhänglichkeit an die
Fundamentalgrundlagen der Monarchie gewinne, die ihm eines Tages anver¬
traut sein wird. Je freier der König von Sardinien in seinem Thun ist, um
so mehr sind die verbündeten Mächte im Recht, wenn er einmal eine Partie
ergriffen hat, die Ausführung derselben in allen ihren Consequenzen zu ver¬
langen. Wegen der an unsere Staaten grenzenden Lage Piemonis, wegen der
Gemeinsamkeit der Interessen, welche die verschiedenen Theile der Halbinsel ver¬
binden, ist Oestreich mehr als jede andere Macht berechtigt, dies zu verlangen.
Es wünscht, es fühlt die Nothwendigkeit und es wird mit Vergnügen selbst
dazu beitragen, daß die.Fundamentalformen der sardinischen Monarchie, welche
seit acht Jahrhunderten deren Glück und Ruhm ausmachen, für immer auf
unzerstörbaren Grundlagen festgestellt seien. Aber der Kaiser kann ohne die
Ruhe seiner Staaten zu gefährden in der Zukunft Piemonts keinen Keim der
Unruhe und neuer Störungen dulden. -- Und damit Karl Albert recht ein Fürst
werde nach dem Herzen Metternichs, zufrieden als ein Vasall Oestreichs am
Fuß seiner Alpenheimath zu leben und zu sterben, forderte Metternich Karl
Felix auf, den Prinzen unter seine Aussicht zu nehmen und so viel als möglich
von seiner Mutter, der Prinzessin Marie Christine Albertine von Sachsen-Kur¬
land, zu entfernen, die, wie er sich ausdrückte, eine Frau von verwerflichen
politischen Grundsätzen sei und im Herzen Karl Alberts die liberalen Gesinnungen
genährt habe. Metternich ließ von nun an den Prinzen derart überwachen
daß er selbst Briefe von ihm abfing.

Endlich im Jahre 1824 wurde der Prinz wirklich an den turiner Hof zu¬
rückgerufen, allein ohne daß dadurch die Entfremdung aufgehoben wurde. Der
König behandelte ihn fortwährend mit Kälte und Zurücksetzung, und dies er¬
weckte in Frankreich von neuem Verdacht wegen der Erbfolge. Gegen Ende
des Jahres 1828 schrieb der damalige piemontesische Gesandte de Vignet nach


schriftliche Verpflichtung eingehe, die politische Verfassung Sardiniens niemals
zu ändern, lobte der Staatskanzler diesen Entschluß und sagte: Dieser Act wird
vielen testamentarischer Verfügungen gleichen, zu deren Ausführung das Gesetz
keine sicheren Mittel an die Hand giebt. Aber ebenso wie ein Erbe, der den
letzten Willen seines Wohlthäters nicht achtet, schuldvoll in der Meinung der
Menschen dasteht, so muß man den Thronerben in die Verfassung bringen, daß
er sein Wort nicht brechen kann, ohne seine Ehre zu verlieren. Im August
desselben Jahres, als der spanische Krieg zu Ende war und Karl Felix noch
immer unversöhnlich schien, sagte Metternich nachdrücklich zu Pralormo: Vor
allem müsse jetzt die Wiedereinsetzung des Prinzen in den Rang geschehen, der
ihm vermöge seiner Geburt zukomme. Europa, die Ruhe Italiens ist dabei
interessirt, daß der Zustand der Ungewißheit in Piemont aufhöre und daß der
Prinz, der zu dessen Regierung berufen ist, unter den Augen des Königs seine
Unterthanen kennen lerne, ihnen bekannt werde und eine Anhänglichkeit an die
Fundamentalgrundlagen der Monarchie gewinne, die ihm eines Tages anver¬
traut sein wird. Je freier der König von Sardinien in seinem Thun ist, um
so mehr sind die verbündeten Mächte im Recht, wenn er einmal eine Partie
ergriffen hat, die Ausführung derselben in allen ihren Consequenzen zu ver¬
langen. Wegen der an unsere Staaten grenzenden Lage Piemonis, wegen der
Gemeinsamkeit der Interessen, welche die verschiedenen Theile der Halbinsel ver¬
binden, ist Oestreich mehr als jede andere Macht berechtigt, dies zu verlangen.
Es wünscht, es fühlt die Nothwendigkeit und es wird mit Vergnügen selbst
dazu beitragen, daß die.Fundamentalformen der sardinischen Monarchie, welche
seit acht Jahrhunderten deren Glück und Ruhm ausmachen, für immer auf
unzerstörbaren Grundlagen festgestellt seien. Aber der Kaiser kann ohne die
Ruhe seiner Staaten zu gefährden in der Zukunft Piemonts keinen Keim der
Unruhe und neuer Störungen dulden. — Und damit Karl Albert recht ein Fürst
werde nach dem Herzen Metternichs, zufrieden als ein Vasall Oestreichs am
Fuß seiner Alpenheimath zu leben und zu sterben, forderte Metternich Karl
Felix auf, den Prinzen unter seine Aussicht zu nehmen und so viel als möglich
von seiner Mutter, der Prinzessin Marie Christine Albertine von Sachsen-Kur¬
land, zu entfernen, die, wie er sich ausdrückte, eine Frau von verwerflichen
politischen Grundsätzen sei und im Herzen Karl Alberts die liberalen Gesinnungen
genährt habe. Metternich ließ von nun an den Prinzen derart überwachen
daß er selbst Briefe von ihm abfing.

Endlich im Jahre 1824 wurde der Prinz wirklich an den turiner Hof zu¬
rückgerufen, allein ohne daß dadurch die Entfremdung aufgehoben wurde. Der
König behandelte ihn fortwährend mit Kälte und Zurücksetzung, und dies er¬
weckte in Frankreich von neuem Verdacht wegen der Erbfolge. Gegen Ende
des Jahres 1828 schrieb der damalige piemontesische Gesandte de Vignet nach


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[0122] schriftliche Verpflichtung eingehe, die politische Verfassung Sardiniens niemals zu ändern, lobte der Staatskanzler diesen Entschluß und sagte: Dieser Act wird vielen testamentarischer Verfügungen gleichen, zu deren Ausführung das Gesetz keine sicheren Mittel an die Hand giebt. Aber ebenso wie ein Erbe, der den letzten Willen seines Wohlthäters nicht achtet, schuldvoll in der Meinung der Menschen dasteht, so muß man den Thronerben in die Verfassung bringen, daß er sein Wort nicht brechen kann, ohne seine Ehre zu verlieren. Im August desselben Jahres, als der spanische Krieg zu Ende war und Karl Felix noch immer unversöhnlich schien, sagte Metternich nachdrücklich zu Pralormo: Vor allem müsse jetzt die Wiedereinsetzung des Prinzen in den Rang geschehen, der ihm vermöge seiner Geburt zukomme. Europa, die Ruhe Italiens ist dabei interessirt, daß der Zustand der Ungewißheit in Piemont aufhöre und daß der Prinz, der zu dessen Regierung berufen ist, unter den Augen des Königs seine Unterthanen kennen lerne, ihnen bekannt werde und eine Anhänglichkeit an die Fundamentalgrundlagen der Monarchie gewinne, die ihm eines Tages anver¬ traut sein wird. Je freier der König von Sardinien in seinem Thun ist, um so mehr sind die verbündeten Mächte im Recht, wenn er einmal eine Partie ergriffen hat, die Ausführung derselben in allen ihren Consequenzen zu ver¬ langen. Wegen der an unsere Staaten grenzenden Lage Piemonis, wegen der Gemeinsamkeit der Interessen, welche die verschiedenen Theile der Halbinsel ver¬ binden, ist Oestreich mehr als jede andere Macht berechtigt, dies zu verlangen. Es wünscht, es fühlt die Nothwendigkeit und es wird mit Vergnügen selbst dazu beitragen, daß die.Fundamentalformen der sardinischen Monarchie, welche seit acht Jahrhunderten deren Glück und Ruhm ausmachen, für immer auf unzerstörbaren Grundlagen festgestellt seien. Aber der Kaiser kann ohne die Ruhe seiner Staaten zu gefährden in der Zukunft Piemonts keinen Keim der Unruhe und neuer Störungen dulden. — Und damit Karl Albert recht ein Fürst werde nach dem Herzen Metternichs, zufrieden als ein Vasall Oestreichs am Fuß seiner Alpenheimath zu leben und zu sterben, forderte Metternich Karl Felix auf, den Prinzen unter seine Aussicht zu nehmen und so viel als möglich von seiner Mutter, der Prinzessin Marie Christine Albertine von Sachsen-Kur¬ land, zu entfernen, die, wie er sich ausdrückte, eine Frau von verwerflichen politischen Grundsätzen sei und im Herzen Karl Alberts die liberalen Gesinnungen genährt habe. Metternich ließ von nun an den Prinzen derart überwachen daß er selbst Briefe von ihm abfing. Endlich im Jahre 1824 wurde der Prinz wirklich an den turiner Hof zu¬ rückgerufen, allein ohne daß dadurch die Entfremdung aufgehoben wurde. Der König behandelte ihn fortwährend mit Kälte und Zurücksetzung, und dies er¬ weckte in Frankreich von neuem Verdacht wegen der Erbfolge. Gegen Ende des Jahres 1828 schrieb der damalige piemontesische Gesandte de Vignet nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/122>, abgerufen am 22.07.2024.