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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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bahnbrechenden Naturen, zu welchen Strauß gehört. Aber zur Charakteristik
Renans führen wir noch die Schlußworte jener Einleitung an.

"Mögen die verschiedenen Ordnungen der Menschheit Seite an Seite leben,
nicht, indem sie ihren eigenen Genius fälschen, um sich gegenseitig Zugeständ¬
nisse zu machen, welche sie erniedrigen würden, sondern indem sie sich vertragen.
Nichts soll hinieden vorhanden sein, um das Gegentheil auszuschließen ; keine
Gewalt soll die andere unterdrücken können. Nur aus dem freien Ausdruck
der widerstrebendsten Töne entspringt die Harmonie der Menschheit. Sollte es
der Orthodoxie gelingen, die Wissenschaft zu tödten. wir wissen, was geschehen
wird: die muselmanische Welt und Spanien sterben hin. weil sie diese Aufgabe
alhu gewissenhaft erfüllt haben. Sollte der Rationalismus die Welt beherrschen
wollen, ohne Rücksicht auf die religiösen Bedürfnisse der Welt zu nehmen, die
Erfahrung der französischen Revolution liegt vor, um uns die Folgen eines
solchen Fehlers zu zeigen. Der Jnstinct der Kunst, zur höchsten Verfeinerung
ausgebildet, aber ohne moralische Grundlage, machte aus dem Italien der
Renaissance eine Banditenhöhle, einen verrufenen Ort. Die Langeweile, die
Dummheit, die Mittelmäßigkeit sind die Strafen gewisser protestantischer Län¬
der^ wo man unter dem Vorwand des gesunden Verstandes und des christlichen
Geistes die Kunst unterdrückt und die Wissenschaft verachtet hat. Lucrezia und
die heilige Therese, Aristophanes und Sokrates, Voltaire und Franz von Assisi,
Rafael und Vincenz von Paula haben das gleiche Recht zu sein, und die
Menschheit wäre geringer, wenn ein einziges der Elemente, 'die sie bilden ihr
,
W. L. fehlte/




Oestreichs Politik gegen die Savoyische Dynastie.

Mit einem eigenthümlichen unterirdisch arbtttenden Hasse verfolgte die öst¬
reichische Diplomatie schon seit 1814 den künftigen Erben der sardinischen Krone,
den Prinzen Karl Alb ert v on Carignan; es war, als ob eine Ahnung ihr sagte,
daß das Geschick des Hauses Savoyen mit diesem Fürsten einen entscheidenden Auf¬
schwung zu nehmen bestimmt sei. Empfand Oestreich ein gerechtfertigtes Mi߬
trauen gegen die ganze Dynastie, deren Glieder fast ohne Ausnahme, wie ver¬
schiedenen Geistes 'sie sonst waren, an der traditionellen Politik des Hauses fest-


bahnbrechenden Naturen, zu welchen Strauß gehört. Aber zur Charakteristik
Renans führen wir noch die Schlußworte jener Einleitung an.

„Mögen die verschiedenen Ordnungen der Menschheit Seite an Seite leben,
nicht, indem sie ihren eigenen Genius fälschen, um sich gegenseitig Zugeständ¬
nisse zu machen, welche sie erniedrigen würden, sondern indem sie sich vertragen.
Nichts soll hinieden vorhanden sein, um das Gegentheil auszuschließen ; keine
Gewalt soll die andere unterdrücken können. Nur aus dem freien Ausdruck
der widerstrebendsten Töne entspringt die Harmonie der Menschheit. Sollte es
der Orthodoxie gelingen, die Wissenschaft zu tödten. wir wissen, was geschehen
wird: die muselmanische Welt und Spanien sterben hin. weil sie diese Aufgabe
alhu gewissenhaft erfüllt haben. Sollte der Rationalismus die Welt beherrschen
wollen, ohne Rücksicht auf die religiösen Bedürfnisse der Welt zu nehmen, die
Erfahrung der französischen Revolution liegt vor, um uns die Folgen eines
solchen Fehlers zu zeigen. Der Jnstinct der Kunst, zur höchsten Verfeinerung
ausgebildet, aber ohne moralische Grundlage, machte aus dem Italien der
Renaissance eine Banditenhöhle, einen verrufenen Ort. Die Langeweile, die
Dummheit, die Mittelmäßigkeit sind die Strafen gewisser protestantischer Län¬
der^ wo man unter dem Vorwand des gesunden Verstandes und des christlichen
Geistes die Kunst unterdrückt und die Wissenschaft verachtet hat. Lucrezia und
die heilige Therese, Aristophanes und Sokrates, Voltaire und Franz von Assisi,
Rafael und Vincenz von Paula haben das gleiche Recht zu sein, und die
Menschheit wäre geringer, wenn ein einziges der Elemente, 'die sie bilden ihr
,
W. L. fehlte/




Oestreichs Politik gegen die Savoyische Dynastie.

Mit einem eigenthümlichen unterirdisch arbtttenden Hasse verfolgte die öst¬
reichische Diplomatie schon seit 1814 den künftigen Erben der sardinischen Krone,
den Prinzen Karl Alb ert v on Carignan; es war, als ob eine Ahnung ihr sagte,
daß das Geschick des Hauses Savoyen mit diesem Fürsten einen entscheidenden Auf¬
schwung zu nehmen bestimmt sei. Empfand Oestreich ein gerechtfertigtes Mi߬
trauen gegen die ganze Dynastie, deren Glieder fast ohne Ausnahme, wie ver¬
schiedenen Geistes 'sie sonst waren, an der traditionellen Politik des Hauses fest-


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[0112] bahnbrechenden Naturen, zu welchen Strauß gehört. Aber zur Charakteristik Renans führen wir noch die Schlußworte jener Einleitung an. „Mögen die verschiedenen Ordnungen der Menschheit Seite an Seite leben, nicht, indem sie ihren eigenen Genius fälschen, um sich gegenseitig Zugeständ¬ nisse zu machen, welche sie erniedrigen würden, sondern indem sie sich vertragen. Nichts soll hinieden vorhanden sein, um das Gegentheil auszuschließen ; keine Gewalt soll die andere unterdrücken können. Nur aus dem freien Ausdruck der widerstrebendsten Töne entspringt die Harmonie der Menschheit. Sollte es der Orthodoxie gelingen, die Wissenschaft zu tödten. wir wissen, was geschehen wird: die muselmanische Welt und Spanien sterben hin. weil sie diese Aufgabe alhu gewissenhaft erfüllt haben. Sollte der Rationalismus die Welt beherrschen wollen, ohne Rücksicht auf die religiösen Bedürfnisse der Welt zu nehmen, die Erfahrung der französischen Revolution liegt vor, um uns die Folgen eines solchen Fehlers zu zeigen. Der Jnstinct der Kunst, zur höchsten Verfeinerung ausgebildet, aber ohne moralische Grundlage, machte aus dem Italien der Renaissance eine Banditenhöhle, einen verrufenen Ort. Die Langeweile, die Dummheit, die Mittelmäßigkeit sind die Strafen gewisser protestantischer Län¬ der^ wo man unter dem Vorwand des gesunden Verstandes und des christlichen Geistes die Kunst unterdrückt und die Wissenschaft verachtet hat. Lucrezia und die heilige Therese, Aristophanes und Sokrates, Voltaire und Franz von Assisi, Rafael und Vincenz von Paula haben das gleiche Recht zu sein, und die Menschheit wäre geringer, wenn ein einziges der Elemente, 'die sie bilden ihr , W. L. fehlte/ Oestreichs Politik gegen die Savoyische Dynastie. Mit einem eigenthümlichen unterirdisch arbtttenden Hasse verfolgte die öst¬ reichische Diplomatie schon seit 1814 den künftigen Erben der sardinischen Krone, den Prinzen Karl Alb ert v on Carignan; es war, als ob eine Ahnung ihr sagte, daß das Geschick des Hauses Savoyen mit diesem Fürsten einen entscheidenden Auf¬ schwung zu nehmen bestimmt sei. Empfand Oestreich ein gerechtfertigtes Mi߬ trauen gegen die ganze Dynastie, deren Glieder fast ohne Ausnahme, wie ver¬ schiedenen Geistes 'sie sonst waren, an der traditionellen Politik des Hauses fest-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/112>, abgerufen am 22.07.2024.