Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.sie eben findet, zur Ausstaffirung des Gemäldes, und das Verfahren besteht nur Nichts ist so lehrreich, die Methode von Strauß und die von Renan zu sie eben findet, zur Ausstaffirung des Gemäldes, und das Verfahren besteht nur Nichts ist so lehrreich, die Methode von Strauß und die von Renan zu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0107" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285695"/> <p xml:id="ID_319" prev="#ID_318"> sie eben findet, zur Ausstaffirung des Gemäldes, und das Verfahren besteht nur<lb/> darin, sie auszuwählen, zu rationalisiren und in einen gefälligen Zusammenhang<lb/> zu bringen, kurz in einer willkürlichen Combination. Und dies ist überall das<lb/> Verfahren Nenans, welcher der Schwäche seiner Quellen sich wohl bewußt ist, aber<lb/> aus der Noth eine Tugend macht und sich aus jener Schwäche nur die Freiheit<lb/> nimmt, mit dem Stofflichen frei zu schalten, um es zu hübschen Geschichtsbildern<lb/> zu gruppiren.</p><lb/> <p xml:id="ID_320" next="#ID_321"> Nichts ist so lehrreich, die Methode von Strauß und die von Renan zu<lb/> vergleichen, als ihre Behandlung der Auferstehungsmythen. Auch für Renan<lb/> ist die Auferstehung natürlich nicht eine geschichtliche Thatsache; ebenso wenig<lb/> kann er sich mit der geschmacklosen, auch heute noch nicht völlig beseitigten<lb/> Ansicht befreunden, die den scheintodt gewesenen Jesus ein zweites Leben auf<lb/> der Erde führen läßt. Beide Kritiker sind vielmehr darin einig, daß sie den<lb/> Glauben an die Auferstehung auf Vistonäre Zustände, auf Vorgänge in den<lb/> Gemüthern der Jünger, in Verbindung mit grübelnden Schriststudien, zurück¬<lb/> führen. Aber während nun Strauß mit unvergleichlichen Scharfsinn die Ent¬<lb/> stehung und Entwickelung des Mythus verfolgt, die allmäligen Ausschmückungen,<lb/> die der anfängliche Kern erhalten hat, zu constatiren sucht, während er so ver¬<lb/> schiedene Schichten der Legende gewinnt, ältere und jüngere, bis dieselbe end¬<lb/> lich in der Gestalt sich fixirt hat, wie wir sie in unsern Urkunden lesen, so<lb/> zwar, daß in den Widersprüchen der Relationen die früheren Bildungen immer<lb/> noch ihre Spuren zurückgelassen haben, während also Strauß den analytischen<lb/> Weg geht, ist das Verfahren Renans umgekehrt ein synthetisches: er drängt<lb/> den Proceß der Sage in'einzelne Scenen zusammen, in welchen jene psycholo¬<lb/> gischen Vorgänge in dramatischer Bewegtheit zum Ausdruck kommen; die Ge¬<lb/> schichte der Sage ist ihm nichts, alles kommt ihm auf die effcctvolle Schilderung<lb/> des Moments an; an einem Tag ist bei ihm der Auferstehungsglaube fix und<lb/> fertig, während Strauß mit gutem Grund einen längeren Zeitraum für dessen<lb/> Ausgestaltung in Anspruch nimmt. Ohne Bedenken bemächtigt er sich der<lb/> Einzelzüge der Sage, um einen wahrscheinlichen oder möglichen Hergang der<lb/> Sache zu componiren; wie ein Augenzeuge weiß er zu schildern, wie es am<lb/> Ostermorgen zuging, wie Maria Magdalena von Sehnsucht getrieben zuerst er¬<lb/> scheint und das Grab zu ihrem Schmerz leer findet, wie sie Petrus und Jo¬<lb/> hannes herbeiruft, wie unter den wechselnden Empfindungen der Gedanke an<lb/> die Auferstehung aufdämmert, der dann, nachdem die beiden wieder weg. in<lb/> einer Vision der Maria siegreich durchbricht und noch im Lauf des Tages an¬<lb/> steckend auf die Uebrigen wirkt. Nicht ohne Bewunderung der aufgewandten<lb/> Kunst wird man diese Scenen lesen, aber nicht ohne Lächeln über die Naivetät,<lb/> Wie das Material dazu von dem Künstler überall her zusammengetragen und<lb/> mit sentimentalen Aufputz verziert ist. Dabei fehlt es nicht an jenen Para-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0107]
sie eben findet, zur Ausstaffirung des Gemäldes, und das Verfahren besteht nur
darin, sie auszuwählen, zu rationalisiren und in einen gefälligen Zusammenhang
zu bringen, kurz in einer willkürlichen Combination. Und dies ist überall das
Verfahren Nenans, welcher der Schwäche seiner Quellen sich wohl bewußt ist, aber
aus der Noth eine Tugend macht und sich aus jener Schwäche nur die Freiheit
nimmt, mit dem Stofflichen frei zu schalten, um es zu hübschen Geschichtsbildern
zu gruppiren.
Nichts ist so lehrreich, die Methode von Strauß und die von Renan zu
vergleichen, als ihre Behandlung der Auferstehungsmythen. Auch für Renan
ist die Auferstehung natürlich nicht eine geschichtliche Thatsache; ebenso wenig
kann er sich mit der geschmacklosen, auch heute noch nicht völlig beseitigten
Ansicht befreunden, die den scheintodt gewesenen Jesus ein zweites Leben auf
der Erde führen läßt. Beide Kritiker sind vielmehr darin einig, daß sie den
Glauben an die Auferstehung auf Vistonäre Zustände, auf Vorgänge in den
Gemüthern der Jünger, in Verbindung mit grübelnden Schriststudien, zurück¬
führen. Aber während nun Strauß mit unvergleichlichen Scharfsinn die Ent¬
stehung und Entwickelung des Mythus verfolgt, die allmäligen Ausschmückungen,
die der anfängliche Kern erhalten hat, zu constatiren sucht, während er so ver¬
schiedene Schichten der Legende gewinnt, ältere und jüngere, bis dieselbe end¬
lich in der Gestalt sich fixirt hat, wie wir sie in unsern Urkunden lesen, so
zwar, daß in den Widersprüchen der Relationen die früheren Bildungen immer
noch ihre Spuren zurückgelassen haben, während also Strauß den analytischen
Weg geht, ist das Verfahren Renans umgekehrt ein synthetisches: er drängt
den Proceß der Sage in'einzelne Scenen zusammen, in welchen jene psycholo¬
gischen Vorgänge in dramatischer Bewegtheit zum Ausdruck kommen; die Ge¬
schichte der Sage ist ihm nichts, alles kommt ihm auf die effcctvolle Schilderung
des Moments an; an einem Tag ist bei ihm der Auferstehungsglaube fix und
fertig, während Strauß mit gutem Grund einen längeren Zeitraum für dessen
Ausgestaltung in Anspruch nimmt. Ohne Bedenken bemächtigt er sich der
Einzelzüge der Sage, um einen wahrscheinlichen oder möglichen Hergang der
Sache zu componiren; wie ein Augenzeuge weiß er zu schildern, wie es am
Ostermorgen zuging, wie Maria Magdalena von Sehnsucht getrieben zuerst er¬
scheint und das Grab zu ihrem Schmerz leer findet, wie sie Petrus und Jo¬
hannes herbeiruft, wie unter den wechselnden Empfindungen der Gedanke an
die Auferstehung aufdämmert, der dann, nachdem die beiden wieder weg. in
einer Vision der Maria siegreich durchbricht und noch im Lauf des Tages an¬
steckend auf die Uebrigen wirkt. Nicht ohne Bewunderung der aufgewandten
Kunst wird man diese Scenen lesen, aber nicht ohne Lächeln über die Naivetät,
Wie das Material dazu von dem Künstler überall her zusammengetragen und
mit sentimentalen Aufputz verziert ist. Dabei fehlt es nicht an jenen Para-
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