Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.ein eigenes Programm aufzustellen. Die Combination einer neuen aus der Dieser Gang der Dinge ist ein Beweis, welche Bedeutung das piemon- ein eigenes Programm aufzustellen. Die Combination einer neuen aus der Dieser Gang der Dinge ist ein Beweis, welche Bedeutung das piemon- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0099" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285125"/> <p xml:id="ID_191" prev="#ID_190"> ein eigenes Programm aufzustellen. Die Combination einer neuen aus der<lb/> Linken und dem linken Centrum zusammengesetzten Regierungsmehrheit, erst<lb/> unter Rattazzi, dann unter dem Bologneser Pcpoli, erwies sich als unaus¬<lb/> führbar. Die erschöpfende Debatte hatte nur eines bewiesen: daß man das<lb/> Ministerium Lamarmora noch nicht entbehren konnte. Es war unmöglich, ihm<lb/> das Vertrauensvotum zu versagen, das ihm am 26,. Februar freilich nur mit<lb/> der geringen Mehrheit von einunddreißig Stimmen ertheilt wurde.</p><lb/> <p xml:id="ID_192"> Dieser Gang der Dinge ist ein Beweis, welche Bedeutung das piemon-<lb/> tesische Element noch immer für den jungen italienischen Nationalstaat hat. und<lb/> diese Bedeutung entspricht nur der Art und Weise, wie der Nationalstaat historisch<lb/> geworden ist. Die eigentliche Cohäsivkraft des Königreichs liegt in derjenigen<lb/> Provinz, welche zuerst innerhalb ihrer Grenzen ein nationales Staatswesen<lb/> verwirklicht, die größten Opfer für die Ausdehnung desselben auf die ganze<lb/> Halbinsel gebracht und dem Ganzen die Dynastie, die Verfassung, das Heer<lb/> geliefert hat. In ruhigen Zeiten wird dieses Uebergewicht kaum mehr zu be¬<lb/> merken sein. In kritischen Perioden aber, so oft der Bestand des Ganzen er¬<lb/> schüttert zu werden droht, wird dieses genöthigt sein, seinen Rückhalt an dem<lb/> festen Kern zu suchen, in welchem sich die nationalen Elemente zuerst zu einem<lb/> Politischen Organismus gestaltet haben. Nicht um eine Hegemonie handelt es<lb/> sich, die Unifikation ist mit all ihren Consequenzen gesetzlich durchgefühlt, nie¬<lb/> wand klagt mehr, wie es wohl im Anfang vorkam, über „Piemontesischen Druck".<lb/> Aber es liegt unzweifelhaft auf dem alten subalpinischen Staat eine gewisse<lb/> Moralische Verantwortlichkeit, daß das Werk, welches er begonnen, vollendet<lb/> und erhalten bleibe. Und er ist sich dieser Verantwortlichkeit bewußt, er em¬<lb/> pfindet es als Ehrensache, fort und fort mit seinen Mitteln einzutreten für die<lb/> Gesammtheit, es entspringt für ihn daraus nicht ein größeres Maß von Rechten,<lb/> sondern ein größeres Maß von Pflichten und Opfern. Als die Erklärungen<lb/> des Ministeriums den Italienern die Augen über den Zustand der Finanzen<lb/> öffneten, als die Finanzkünstler rathlos vor, dem Deficit standen und noch<lb/> weniger kluger Rath in dem wirren Durcheinander der Parlamentsreden zu<lb/> entdecken war, entstand der Gedanke, dessen praktische Bedeutung dahin gestellt<lb/> sein muß, über den jedoch wir am wenigsten Grund hätten geringschätzig die<lb/> Achseln zu zucken, der Gedanke, durch eine Art Selbsthilfe des Volks den Ver¬<lb/> legenheiten der Regierenden beizuspringen und durch freiwillige Zeichnungen<lb/> der Bürger der Staatskasse zu Hilfe zu kommen. Der Gedanke ist nirgends<lb/> anders entstanden als in der Stadt Turin, und in den alten Provinzen vor<lb/> allen hat er gezündet. Hier stellten sich die Privaten und die Corporationen<lb/> Mit ihren reichen Beiträgen ein, während im Süden meist die Municipien als<lb/> solche eintreten mußten, um eine verhältnißmäßige Betheiligung dieser Landes-<lb/> theile zu erzielen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0099]
ein eigenes Programm aufzustellen. Die Combination einer neuen aus der
Linken und dem linken Centrum zusammengesetzten Regierungsmehrheit, erst
unter Rattazzi, dann unter dem Bologneser Pcpoli, erwies sich als unaus¬
führbar. Die erschöpfende Debatte hatte nur eines bewiesen: daß man das
Ministerium Lamarmora noch nicht entbehren konnte. Es war unmöglich, ihm
das Vertrauensvotum zu versagen, das ihm am 26,. Februar freilich nur mit
der geringen Mehrheit von einunddreißig Stimmen ertheilt wurde.
Dieser Gang der Dinge ist ein Beweis, welche Bedeutung das piemon-
tesische Element noch immer für den jungen italienischen Nationalstaat hat. und
diese Bedeutung entspricht nur der Art und Weise, wie der Nationalstaat historisch
geworden ist. Die eigentliche Cohäsivkraft des Königreichs liegt in derjenigen
Provinz, welche zuerst innerhalb ihrer Grenzen ein nationales Staatswesen
verwirklicht, die größten Opfer für die Ausdehnung desselben auf die ganze
Halbinsel gebracht und dem Ganzen die Dynastie, die Verfassung, das Heer
geliefert hat. In ruhigen Zeiten wird dieses Uebergewicht kaum mehr zu be¬
merken sein. In kritischen Perioden aber, so oft der Bestand des Ganzen er¬
schüttert zu werden droht, wird dieses genöthigt sein, seinen Rückhalt an dem
festen Kern zu suchen, in welchem sich die nationalen Elemente zuerst zu einem
Politischen Organismus gestaltet haben. Nicht um eine Hegemonie handelt es
sich, die Unifikation ist mit all ihren Consequenzen gesetzlich durchgefühlt, nie¬
wand klagt mehr, wie es wohl im Anfang vorkam, über „Piemontesischen Druck".
Aber es liegt unzweifelhaft auf dem alten subalpinischen Staat eine gewisse
Moralische Verantwortlichkeit, daß das Werk, welches er begonnen, vollendet
und erhalten bleibe. Und er ist sich dieser Verantwortlichkeit bewußt, er em¬
pfindet es als Ehrensache, fort und fort mit seinen Mitteln einzutreten für die
Gesammtheit, es entspringt für ihn daraus nicht ein größeres Maß von Rechten,
sondern ein größeres Maß von Pflichten und Opfern. Als die Erklärungen
des Ministeriums den Italienern die Augen über den Zustand der Finanzen
öffneten, als die Finanzkünstler rathlos vor, dem Deficit standen und noch
weniger kluger Rath in dem wirren Durcheinander der Parlamentsreden zu
entdecken war, entstand der Gedanke, dessen praktische Bedeutung dahin gestellt
sein muß, über den jedoch wir am wenigsten Grund hätten geringschätzig die
Achseln zu zucken, der Gedanke, durch eine Art Selbsthilfe des Volks den Ver¬
legenheiten der Regierenden beizuspringen und durch freiwillige Zeichnungen
der Bürger der Staatskasse zu Hilfe zu kommen. Der Gedanke ist nirgends
anders entstanden als in der Stadt Turin, und in den alten Provinzen vor
allen hat er gezündet. Hier stellten sich die Privaten und die Corporationen
Mit ihren reichen Beiträgen ein, während im Süden meist die Municipien als
solche eintreten mußten, um eine verhältnißmäßige Betheiligung dieser Landes-
theile zu erzielen.
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