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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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vergönnt worden, jenen geweihten Raum einer geistigen Schöpferthätigkeit, die
an Ausdehnung und Kraft wenige ihres Gleichen hatte, zu betreten. Für ge¬
wöhnlich sahen die Gäste, gleichviel ob alte Freunde des Hauses oder eben erst
eingeführt. Rückert nur im Familienzimmer oder am liebsten im Freien, im
Garten. Nur einige besonders begünstigte, Vorzugsweise solche, deren specielle
Studien die seinigen berührten oder von den. seinigen derart angeregt waren,
pflegte er in seinem Zimmer zuzulassen und sie oft Stunden lang in einem
Gespräche festzuhalten, dessen unendlicher Gehalt an Gedanken und wissenschaft¬
liche" Thatsachen allerdings weit über das sonst in einer mündlichen Unterhal¬
tung gewöhnliche Maß hinausging. Ganz von selbst gestalteten sich solche
Eonversationen häufig zu einer Art von freien Vorträgen, bei denen sich der
Zuhörer sehr gern gefallen ließ nur diese Rolle zu übernehmen, aber
ebenso oft entsprang auch eine lebhafte Disputation daraus, die Von Rückerts
Seite immer mit einem Feuereifer geführt wurde, der nur der Sache galt und
der daher auch niemals den Opponenten verletzen konnte.

Ueberhaupt war nichts leichter als in ein Gespräch mit ihm zu gelangen,
das dem grade erfaßten Gegenstand, er mochte nun sein, welcher er wollte,
bis ins innerste Mark ging. Es bedürfte dazu keineswegs einer genaueren Be¬
kanntschaft oder irgendeiner äußeren Empfehlung für den noch ganz Fremden.
Stand dieser erst einmal ihm gegenüber, so waren für gewöhnlich alle Hinder¬
nisse überwunden. Es muß zur Berichtigung gewisser im Publikum verbreiteter
Vorurtheile hinzugefügt werden, daß es in der That manchmal nicht so leicht
war. bis dahin zu gelangen, aber nicht, weil er selbst den Zutritt erschwerte.
Soviel es die durchaus schlichtbürgerlichen Formen des ganzen Hauswesens
erlaubten, suchten seine nächsten Angehörigen alle lästigen Besuche fernzuhalten,
ohne daß er selbst in vielen Fällen nur von der ihm drohenden Störung be¬
nachrichtigt und dadurch' beunruhigt worden wäre. Damit war freilich dem
subjektiven Ermessen der Umgebung ein großer Einfluß eingeräumt, und diese
konnte ihn nur gebrauchen, weil sie überzeugt war, nicht für sich, sondern für
das theuere Familienhaupt zu operiren. Ein den inneren Verhältnissen ganz
Fremder, wenn er sich etwa vorher in der benachbarten Stadt aus den gewöhn¬
lichen Quellen des Localklatsches einige Notizen über die Lebensweise des Man¬
nes holen wollte, dem er gern von Angesicht zu Angesicht gegenübergestan¬
den hätte, erfuhr dann natürlich, daß er absolut unzugänglich sei und gab sehr
häusig alle Versuche auf, einen so starren Bann zu durchbrechen, ehe er sie noch
begonnen hatte. Ebenso natürlich erhielt durch jeden solchen Fall das einmal
fixirte Vorurtheil immer neue Nahrung. Wagte es einer doch in instinctiven
Vertrauen etwa auf seine eigene Unwiderstehlichkeit oder weil ein Besuch in
Neuses nun einmal zu dem Repertoire der auf der Reise mitzunehmenden


vergönnt worden, jenen geweihten Raum einer geistigen Schöpferthätigkeit, die
an Ausdehnung und Kraft wenige ihres Gleichen hatte, zu betreten. Für ge¬
wöhnlich sahen die Gäste, gleichviel ob alte Freunde des Hauses oder eben erst
eingeführt. Rückert nur im Familienzimmer oder am liebsten im Freien, im
Garten. Nur einige besonders begünstigte, Vorzugsweise solche, deren specielle
Studien die seinigen berührten oder von den. seinigen derart angeregt waren,
pflegte er in seinem Zimmer zuzulassen und sie oft Stunden lang in einem
Gespräche festzuhalten, dessen unendlicher Gehalt an Gedanken und wissenschaft¬
liche» Thatsachen allerdings weit über das sonst in einer mündlichen Unterhal¬
tung gewöhnliche Maß hinausging. Ganz von selbst gestalteten sich solche
Eonversationen häufig zu einer Art von freien Vorträgen, bei denen sich der
Zuhörer sehr gern gefallen ließ nur diese Rolle zu übernehmen, aber
ebenso oft entsprang auch eine lebhafte Disputation daraus, die Von Rückerts
Seite immer mit einem Feuereifer geführt wurde, der nur der Sache galt und
der daher auch niemals den Opponenten verletzen konnte.

Ueberhaupt war nichts leichter als in ein Gespräch mit ihm zu gelangen,
das dem grade erfaßten Gegenstand, er mochte nun sein, welcher er wollte,
bis ins innerste Mark ging. Es bedürfte dazu keineswegs einer genaueren Be¬
kanntschaft oder irgendeiner äußeren Empfehlung für den noch ganz Fremden.
Stand dieser erst einmal ihm gegenüber, so waren für gewöhnlich alle Hinder¬
nisse überwunden. Es muß zur Berichtigung gewisser im Publikum verbreiteter
Vorurtheile hinzugefügt werden, daß es in der That manchmal nicht so leicht
war. bis dahin zu gelangen, aber nicht, weil er selbst den Zutritt erschwerte.
Soviel es die durchaus schlichtbürgerlichen Formen des ganzen Hauswesens
erlaubten, suchten seine nächsten Angehörigen alle lästigen Besuche fernzuhalten,
ohne daß er selbst in vielen Fällen nur von der ihm drohenden Störung be¬
nachrichtigt und dadurch' beunruhigt worden wäre. Damit war freilich dem
subjektiven Ermessen der Umgebung ein großer Einfluß eingeräumt, und diese
konnte ihn nur gebrauchen, weil sie überzeugt war, nicht für sich, sondern für
das theuere Familienhaupt zu operiren. Ein den inneren Verhältnissen ganz
Fremder, wenn er sich etwa vorher in der benachbarten Stadt aus den gewöhn¬
lichen Quellen des Localklatsches einige Notizen über die Lebensweise des Man¬
nes holen wollte, dem er gern von Angesicht zu Angesicht gegenübergestan¬
den hätte, erfuhr dann natürlich, daß er absolut unzugänglich sei und gab sehr
häusig alle Versuche auf, einen so starren Bann zu durchbrechen, ehe er sie noch
begonnen hatte. Ebenso natürlich erhielt durch jeden solchen Fall das einmal
fixirte Vorurtheil immer neue Nahrung. Wagte es einer doch in instinctiven
Vertrauen etwa auf seine eigene Unwiderstehlichkeit oder weil ein Besuch in
Neuses nun einmal zu dem Repertoire der auf der Reise mitzunehmenden


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[0082] vergönnt worden, jenen geweihten Raum einer geistigen Schöpferthätigkeit, die an Ausdehnung und Kraft wenige ihres Gleichen hatte, zu betreten. Für ge¬ wöhnlich sahen die Gäste, gleichviel ob alte Freunde des Hauses oder eben erst eingeführt. Rückert nur im Familienzimmer oder am liebsten im Freien, im Garten. Nur einige besonders begünstigte, Vorzugsweise solche, deren specielle Studien die seinigen berührten oder von den. seinigen derart angeregt waren, pflegte er in seinem Zimmer zuzulassen und sie oft Stunden lang in einem Gespräche festzuhalten, dessen unendlicher Gehalt an Gedanken und wissenschaft¬ liche» Thatsachen allerdings weit über das sonst in einer mündlichen Unterhal¬ tung gewöhnliche Maß hinausging. Ganz von selbst gestalteten sich solche Eonversationen häufig zu einer Art von freien Vorträgen, bei denen sich der Zuhörer sehr gern gefallen ließ nur diese Rolle zu übernehmen, aber ebenso oft entsprang auch eine lebhafte Disputation daraus, die Von Rückerts Seite immer mit einem Feuereifer geführt wurde, der nur der Sache galt und der daher auch niemals den Opponenten verletzen konnte. Ueberhaupt war nichts leichter als in ein Gespräch mit ihm zu gelangen, das dem grade erfaßten Gegenstand, er mochte nun sein, welcher er wollte, bis ins innerste Mark ging. Es bedürfte dazu keineswegs einer genaueren Be¬ kanntschaft oder irgendeiner äußeren Empfehlung für den noch ganz Fremden. Stand dieser erst einmal ihm gegenüber, so waren für gewöhnlich alle Hinder¬ nisse überwunden. Es muß zur Berichtigung gewisser im Publikum verbreiteter Vorurtheile hinzugefügt werden, daß es in der That manchmal nicht so leicht war. bis dahin zu gelangen, aber nicht, weil er selbst den Zutritt erschwerte. Soviel es die durchaus schlichtbürgerlichen Formen des ganzen Hauswesens erlaubten, suchten seine nächsten Angehörigen alle lästigen Besuche fernzuhalten, ohne daß er selbst in vielen Fällen nur von der ihm drohenden Störung be¬ nachrichtigt und dadurch' beunruhigt worden wäre. Damit war freilich dem subjektiven Ermessen der Umgebung ein großer Einfluß eingeräumt, und diese konnte ihn nur gebrauchen, weil sie überzeugt war, nicht für sich, sondern für das theuere Familienhaupt zu operiren. Ein den inneren Verhältnissen ganz Fremder, wenn er sich etwa vorher in der benachbarten Stadt aus den gewöhn¬ lichen Quellen des Localklatsches einige Notizen über die Lebensweise des Man¬ nes holen wollte, dem er gern von Angesicht zu Angesicht gegenübergestan¬ den hätte, erfuhr dann natürlich, daß er absolut unzugänglich sei und gab sehr häusig alle Versuche auf, einen so starren Bann zu durchbrechen, ehe er sie noch begonnen hatte. Ebenso natürlich erhielt durch jeden solchen Fall das einmal fixirte Vorurtheil immer neue Nahrung. Wagte es einer doch in instinctiven Vertrauen etwa auf seine eigene Unwiderstehlichkeit oder weil ein Besuch in Neuses nun einmal zu dem Repertoire der auf der Reise mitzunehmenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/82>, abgerufen am 28.07.2024.