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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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zu befriedigen, welche ihm eine Reihe montirter Situationen giebt. Die innere
Freiheit, mit welcher er die Personen beurtheilt, und die Flüchtigkeit, mit
welcher er Thatsachen behandelt, die Behendigkeit, mit welcher er sich aus der
Befangenheit des Momentes heraushebt, und der Eigenwille, welcher sich eine
Sachlage einbildet. Verachtung der Gegner und Ungeduld bei Hindernissen, das
Selbstgefühl adeliger Ehre gegenüber bürgerlicher Gewissenhaftigkeit sind Eigen¬
schaften eines Politikers, der aus dem preußischen Junkerthum heraufkam. Es
ist ein blendendes, vielleicht fesselndes Wesen, es sind einige von den höchsten
Eigenschaften eines preußischen Ministers darin, aber ihr Segen wird in das
Gegentheil verkehrt durch dilcttirende Unproductivität und durch den Mangel
an festen inneren Schränken, welche ihm die Willkür bändigen.

Es ist vergeblich. Vermuthungen anzustellen, wohin der Kriegsapparat
den preußischen Staat und die Deutschen treiben könne. Zum Frieden
mahnt die Erwägung, daß der erste Kanonenschuß zwischen Preußen und
Oestreich auch den deutschen Bund zersprengt. Selbst wer sehr lebhast das
Ungenügende dieser Konföderation empfunden hat, durfte sich nicht verbergen,
daß sie feit fünfzig Jahren den Frieden Deutschlands bewahrt und trotz rhrer
unbehilflichen Formen die Einmischung 5er Fremden abgewehrt hat. Es ist
e"" Signatur der Verlegenheit, in welche'Preußen gekommen ist. daß die deutschen
Mittelstaaten thatsächlich eine Bedeutung gewonnn haben, die ihnen me se.t dem
p'"'her Frieden weder von Preußen noch von Oestreich gegönnt wurde. Dahin
hat die Politik der Großmächte geführt, daß von den 120- bis 130.000 Mann,
welche die Binnenstaaten des deutschen Bundes zu stellen vermögen, und von
der einmüthigen Politik ihrer Cabinette zum großen Theile die Frage: Ob Kneg,
°b Frieden? abhängt. Denn ihre Kontingente sind -- zumal bei dem Mangel
an bewährten militärischen Talenten in den höchsten Befehlshaberstellen der
Großstoatcn -- ein so bedeutender Theil deutscher Kraft, daß die Entscheidung
der Mittelstaaten sür die eine oder die andere Seite auch entscheidend für die
militärischen Operationen werden kann. Es ist schon jetzt nicht mehr zweifelhaft,
auf welche Seite sie sich im äußersten Nothfall schlagen werden, und die preu-
ßische Circulardepesche hat das Ihrige gethan, den Entschluß der Bundesstaaten
zu beschleunigen.

Nicht unmöglich ist. daß man sowohl in Berlin als Wien immer noch für
nüplicher halten wird, sich unter einander zu verständigen, als die Entscheidung
in die Hände der Kleinen zu legen. Und der Trost bleibt, daß in unserer Zeit
schwer wird, einen großen Krieg gegen den Willen des Volkes zu beginnen.
Daß man ihn gegen den Willen des Volkes zuverlässig nicht zu führen vermag,
das freilich ist ein schlechter Trost, denn diese Wahrheit schützt nicht Vor schick¬
G. F. salschweren Schritten.




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zu befriedigen, welche ihm eine Reihe montirter Situationen giebt. Die innere
Freiheit, mit welcher er die Personen beurtheilt, und die Flüchtigkeit, mit
welcher er Thatsachen behandelt, die Behendigkeit, mit welcher er sich aus der
Befangenheit des Momentes heraushebt, und der Eigenwille, welcher sich eine
Sachlage einbildet. Verachtung der Gegner und Ungeduld bei Hindernissen, das
Selbstgefühl adeliger Ehre gegenüber bürgerlicher Gewissenhaftigkeit sind Eigen¬
schaften eines Politikers, der aus dem preußischen Junkerthum heraufkam. Es
ist ein blendendes, vielleicht fesselndes Wesen, es sind einige von den höchsten
Eigenschaften eines preußischen Ministers darin, aber ihr Segen wird in das
Gegentheil verkehrt durch dilcttirende Unproductivität und durch den Mangel
an festen inneren Schränken, welche ihm die Willkür bändigen.

Es ist vergeblich. Vermuthungen anzustellen, wohin der Kriegsapparat
den preußischen Staat und die Deutschen treiben könne. Zum Frieden
mahnt die Erwägung, daß der erste Kanonenschuß zwischen Preußen und
Oestreich auch den deutschen Bund zersprengt. Selbst wer sehr lebhast das
Ungenügende dieser Konföderation empfunden hat, durfte sich nicht verbergen,
daß sie feit fünfzig Jahren den Frieden Deutschlands bewahrt und trotz rhrer
unbehilflichen Formen die Einmischung 5er Fremden abgewehrt hat. Es ist
e"" Signatur der Verlegenheit, in welche'Preußen gekommen ist. daß die deutschen
Mittelstaaten thatsächlich eine Bedeutung gewonnn haben, die ihnen me se.t dem
p'"'her Frieden weder von Preußen noch von Oestreich gegönnt wurde. Dahin
hat die Politik der Großmächte geführt, daß von den 120- bis 130.000 Mann,
welche die Binnenstaaten des deutschen Bundes zu stellen vermögen, und von
der einmüthigen Politik ihrer Cabinette zum großen Theile die Frage: Ob Kneg,
°b Frieden? abhängt. Denn ihre Kontingente sind — zumal bei dem Mangel
an bewährten militärischen Talenten in den höchsten Befehlshaberstellen der
Großstoatcn — ein so bedeutender Theil deutscher Kraft, daß die Entscheidung
der Mittelstaaten sür die eine oder die andere Seite auch entscheidend für die
militärischen Operationen werden kann. Es ist schon jetzt nicht mehr zweifelhaft,
auf welche Seite sie sich im äußersten Nothfall schlagen werden, und die preu-
ßische Circulardepesche hat das Ihrige gethan, den Entschluß der Bundesstaaten
zu beschleunigen.

Nicht unmöglich ist. daß man sowohl in Berlin als Wien immer noch für
nüplicher halten wird, sich unter einander zu verständigen, als die Entscheidung
in die Hände der Kleinen zu legen. Und der Trost bleibt, daß in unserer Zeit
schwer wird, einen großen Krieg gegen den Willen des Volkes zu beginnen.
Daß man ihn gegen den Willen des Volkes zuverlässig nicht zu führen vermag,
das freilich ist ein schlechter Trost, denn diese Wahrheit schützt nicht Vor schick¬
G. F. salschweren Schritten.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/79>, abgerufen am 01.09.2024.