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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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darum grade schwache Stoßkraft. Bei der Ausstellung an dem Dialog Hamlets
mit der Königin, die Vorwürfe desselben gegen die Mutter bewiesen zu viel,
weil ja ihre Verbindung mit einem solchen Satyr ganz undenkbar werde, ist
etwas Wesentliches übersehen. Der Geist hat. wie auch in der Kritik zugegeben
wird, die allgemeine Berückung der Königin durch Claudius schon erklärt; die
völlige sinnliche Beherrschung derselben durch den König-Mörder, die Hamlet der
Mutter gebührend zu Gemüth führt, ist durch den Umstand der seither er¬
folgten Verwittwung gehörig begründet. Ebenso dürfte es auch, wenn man
einmal, wie es der Verfasser thut, zugiebt, daß Opheliens gesunde Natur durch
fortwährende, schwere Schläge des Schicksals aus dem Gleichgewicht gerückt
werden konnte, dem Dichter zu überlassen sein, wie weit er diese Verrückung.
und wäre es auch bis zum Wahnsinn, gehen lassen konnte. Endlich glauben
wir diesen auch gegen die Einwendungen wider den berühmten Monolog --
Sein oder Nichtsein in Schutz nehmen zu sollen. Einmal ist der episodisch
scheinende, von dem Verfasser zu den Beweisen für die Doppelcomposition im
Hamlet gerechnete Monolog in psychologischer Hinsicht ein organischer Theil
des Ganzen, sobald man an die durch ihre Wucht und ihre Schwierigkeit zur
völligster inneren Zerrissenheit treibende Aufgabe des Helden denkt. Md dann
ist der gerügte Widerspruch zwischen dem sonst kundgegebenen massiven Volks¬
glauben Hamlets über das Jenseitige und zwischen seiner Skepsis im Selbst-
gespräch ein nicht so undenkbares Phänomen im Seelenleben, sobald man ve-
denkt, wie Religionsfragen, welche den leibhaftigen Menschen berühren, wie die
Von der Fortdauer nach dem Tode, ein ganz anderes Gesicht annehmen können,
wenn man aufs Allerpersönlichste bei ihnen interessirt ist. So geht es Hamlet,
Wenn er an die Folgen seines Selbstmordes denkt. So schulgerecht sonst sein
Glaube ist. so kommt er in das Grübeln hinein, wenn er den Weg überdenkt,
den er mit eigener Hand sich anzubahnen im Begriffe steht. Der natürliche
Mensch in ihm mit seinen Bedenken und Zweifeln weiß dann nichts mehr von
der aus der Ewigkeit ihm zu Theil gewordenen handgreiflichen Offenbarung.
Es ist hier ganz der Unterschied zwischen dem theoretischen und subjectiv-prak¬
tischen Verhalten zu den Religionsfragen ausgeprägt, wie er dem frommen
Bewußtsein z. B. auch in seiner Stellung zum Vorsehungsglauben oftmals
mag zu schaffen machen.

Zu den psychologischen Unbegreiflichkeiten, die Herr Rümelin besonders
häufig in dem Benehmen der shakespeareschen Frauen findet, gehört auch in
Richard dem Dritten die Nachgiebigkeit der Anna in der Werbungsscene,
sowie die Zähmbarkeit der "bösartigen" Katharine in der bezähmten Keiferin.
Ais ob die ruhige Abweisung des schlauen Werders, die der Verfasser der
armen Anna mit der ihr angerathenen Antwort: hier sei weder der Ort noch
die Zeit, mit ihr zu sprechen, empfiehlt, irgend in des Weibes Natur läge.


Brenzboten II. 1L66. 7

darum grade schwache Stoßkraft. Bei der Ausstellung an dem Dialog Hamlets
mit der Königin, die Vorwürfe desselben gegen die Mutter bewiesen zu viel,
weil ja ihre Verbindung mit einem solchen Satyr ganz undenkbar werde, ist
etwas Wesentliches übersehen. Der Geist hat. wie auch in der Kritik zugegeben
wird, die allgemeine Berückung der Königin durch Claudius schon erklärt; die
völlige sinnliche Beherrschung derselben durch den König-Mörder, die Hamlet der
Mutter gebührend zu Gemüth führt, ist durch den Umstand der seither er¬
folgten Verwittwung gehörig begründet. Ebenso dürfte es auch, wenn man
einmal, wie es der Verfasser thut, zugiebt, daß Opheliens gesunde Natur durch
fortwährende, schwere Schläge des Schicksals aus dem Gleichgewicht gerückt
werden konnte, dem Dichter zu überlassen sein, wie weit er diese Verrückung.
und wäre es auch bis zum Wahnsinn, gehen lassen konnte. Endlich glauben
wir diesen auch gegen die Einwendungen wider den berühmten Monolog —
Sein oder Nichtsein in Schutz nehmen zu sollen. Einmal ist der episodisch
scheinende, von dem Verfasser zu den Beweisen für die Doppelcomposition im
Hamlet gerechnete Monolog in psychologischer Hinsicht ein organischer Theil
des Ganzen, sobald man an die durch ihre Wucht und ihre Schwierigkeit zur
völligster inneren Zerrissenheit treibende Aufgabe des Helden denkt. Md dann
ist der gerügte Widerspruch zwischen dem sonst kundgegebenen massiven Volks¬
glauben Hamlets über das Jenseitige und zwischen seiner Skepsis im Selbst-
gespräch ein nicht so undenkbares Phänomen im Seelenleben, sobald man ve-
denkt, wie Religionsfragen, welche den leibhaftigen Menschen berühren, wie die
Von der Fortdauer nach dem Tode, ein ganz anderes Gesicht annehmen können,
wenn man aufs Allerpersönlichste bei ihnen interessirt ist. So geht es Hamlet,
Wenn er an die Folgen seines Selbstmordes denkt. So schulgerecht sonst sein
Glaube ist. so kommt er in das Grübeln hinein, wenn er den Weg überdenkt,
den er mit eigener Hand sich anzubahnen im Begriffe steht. Der natürliche
Mensch in ihm mit seinen Bedenken und Zweifeln weiß dann nichts mehr von
der aus der Ewigkeit ihm zu Theil gewordenen handgreiflichen Offenbarung.
Es ist hier ganz der Unterschied zwischen dem theoretischen und subjectiv-prak¬
tischen Verhalten zu den Religionsfragen ausgeprägt, wie er dem frommen
Bewußtsein z. B. auch in seiner Stellung zum Vorsehungsglauben oftmals
mag zu schaffen machen.

Zu den psychologischen Unbegreiflichkeiten, die Herr Rümelin besonders
häufig in dem Benehmen der shakespeareschen Frauen findet, gehört auch in
Richard dem Dritten die Nachgiebigkeit der Anna in der Werbungsscene,
sowie die Zähmbarkeit der „bösartigen" Katharine in der bezähmten Keiferin.
Ais ob die ruhige Abweisung des schlauen Werders, die der Verfasser der
armen Anna mit der ihr angerathenen Antwort: hier sei weder der Ort noch
die Zeit, mit ihr zu sprechen, empfiehlt, irgend in des Weibes Natur läge.


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[0061] darum grade schwache Stoßkraft. Bei der Ausstellung an dem Dialog Hamlets mit der Königin, die Vorwürfe desselben gegen die Mutter bewiesen zu viel, weil ja ihre Verbindung mit einem solchen Satyr ganz undenkbar werde, ist etwas Wesentliches übersehen. Der Geist hat. wie auch in der Kritik zugegeben wird, die allgemeine Berückung der Königin durch Claudius schon erklärt; die völlige sinnliche Beherrschung derselben durch den König-Mörder, die Hamlet der Mutter gebührend zu Gemüth führt, ist durch den Umstand der seither er¬ folgten Verwittwung gehörig begründet. Ebenso dürfte es auch, wenn man einmal, wie es der Verfasser thut, zugiebt, daß Opheliens gesunde Natur durch fortwährende, schwere Schläge des Schicksals aus dem Gleichgewicht gerückt werden konnte, dem Dichter zu überlassen sein, wie weit er diese Verrückung. und wäre es auch bis zum Wahnsinn, gehen lassen konnte. Endlich glauben wir diesen auch gegen die Einwendungen wider den berühmten Monolog — Sein oder Nichtsein in Schutz nehmen zu sollen. Einmal ist der episodisch scheinende, von dem Verfasser zu den Beweisen für die Doppelcomposition im Hamlet gerechnete Monolog in psychologischer Hinsicht ein organischer Theil des Ganzen, sobald man an die durch ihre Wucht und ihre Schwierigkeit zur völligster inneren Zerrissenheit treibende Aufgabe des Helden denkt. Md dann ist der gerügte Widerspruch zwischen dem sonst kundgegebenen massiven Volks¬ glauben Hamlets über das Jenseitige und zwischen seiner Skepsis im Selbst- gespräch ein nicht so undenkbares Phänomen im Seelenleben, sobald man ve- denkt, wie Religionsfragen, welche den leibhaftigen Menschen berühren, wie die Von der Fortdauer nach dem Tode, ein ganz anderes Gesicht annehmen können, wenn man aufs Allerpersönlichste bei ihnen interessirt ist. So geht es Hamlet, Wenn er an die Folgen seines Selbstmordes denkt. So schulgerecht sonst sein Glaube ist. so kommt er in das Grübeln hinein, wenn er den Weg überdenkt, den er mit eigener Hand sich anzubahnen im Begriffe steht. Der natürliche Mensch in ihm mit seinen Bedenken und Zweifeln weiß dann nichts mehr von der aus der Ewigkeit ihm zu Theil gewordenen handgreiflichen Offenbarung. Es ist hier ganz der Unterschied zwischen dem theoretischen und subjectiv-prak¬ tischen Verhalten zu den Religionsfragen ausgeprägt, wie er dem frommen Bewußtsein z. B. auch in seiner Stellung zum Vorsehungsglauben oftmals mag zu schaffen machen. Zu den psychologischen Unbegreiflichkeiten, die Herr Rümelin besonders häufig in dem Benehmen der shakespeareschen Frauen findet, gehört auch in Richard dem Dritten die Nachgiebigkeit der Anna in der Werbungsscene, sowie die Zähmbarkeit der „bösartigen" Katharine in der bezähmten Keiferin. Ais ob die ruhige Abweisung des schlauen Werders, die der Verfasser der armen Anna mit der ihr angerathenen Antwort: hier sei weder der Ort noch die Zeit, mit ihr zu sprechen, empfiehlt, irgend in des Weibes Natur läge. Brenzboten II. 1L66. 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/61>, abgerufen am 28.07.2024.