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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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sogleich zu ihrem Arzt, verschiedene Apotheker tragen ihm ihr Geschäft als
Associs an und viele Kranke verlangen alsbald nach ihm. Doch die meisten
Briefe sind eher in der Zeitung abgedruckt, als er sie selbst erhält.

Alle diese Vorgänge tragen nicht dazu bei, ihn mit der zügellosen ameri¬
kanischen Presse auszusöhnen, und es bedarf eines Besuchs in dem Bureau des
Journals, einer langen Besprechung mit den Redacteuren, und der Einsicht in
das Leben und die Aufregung und Verantwortung derselben, um ihn in seinen
Ideen über die nothwendige Bevormundung der öffentlichen Meinung, über den
schädlichen Einfluß bösartiger Schreiber u. s. w. etwas irre zu machen.

Die Capitel über die Presse sind unübertrefflich in Feinheit und Wahrheit.

Dr. Smith findet sich aber durch alle diese Ereignisse in den Vordergrund
geschoben und mit der Partei des "Telegraphen" eng verbunden. Ein neuer
Mayor der Stadt muß gewählt, und mit ihm die ganze Verwaltung geändert
werden. Smith sieht sich mit Wohlgefallen als Candidat für eines der städtischen
Aemter vorgeschlagen.

Doch die nun beginnenden Wahlkämpfe entsetzen ihn. Die gegnerischen
Journale sagen ihm harte Dinge; in einer Wahlversammlung soll er reden und
findet keine Worte, so daß er verloren wäre, wenn ihn sein Sohn Heinrich
nicht rettete. Dieser hat sich mit seinen Schulkameraden gar oft in der freien
Rede geübt, und mit unendlichem Humor spricht der Knabe nun zu der
Versammlung für seinen Vater und erregt allgemeinen Enthusiasmus. Alles
umringt ihn und will ihm die Hand drücken. Smiths Herz schwillt. "Ich
bin sein Vater!" möchte er rufen. Doch die Scheu fesselt ihm auch jetzt
die Zunge, und seufzend sagt er sich leise: "Ach wäre ich doch mein Herr
Sohn!"

Doch man lebt schnell in Amerika. Die Ereignisse folgen sich Schlag auf
Schlag und sie führen Lefebre-Smith in die Kirchen, die Gerichtshöfe, die
Schulen.

Das Interesse wächst mit jedem Capitel und unwillkürlich werden die Ver-
gleichungen schärfer und bitterer; je höher der Gegenstand, desto einschneidender
wird die Satire.

Freiheit und Selbständigkeit zeigt sich auf der einen, Sklaverei und Eng¬
herzigkeit auf der andern Seite.

Zuletzt erhebt sich die ganze Stadt in Begeisterung. Schlimme Nach¬
richten sind vom Kriegsschauplatz eingelaufen; die Stadt wird von den Feinden
bedroht. Alles greift zu den Waffen, jeder Parteihader schweigt, die Freiwilligen¬
bataillone bilden sich und Smith schließt sich als Arzt dem Zuge an. Man
campirt unter freiem Himmel; der Vater schläft neben seinem Sohn und seinem
zukünftigen Tochtermann.


sogleich zu ihrem Arzt, verschiedene Apotheker tragen ihm ihr Geschäft als
Associs an und viele Kranke verlangen alsbald nach ihm. Doch die meisten
Briefe sind eher in der Zeitung abgedruckt, als er sie selbst erhält.

Alle diese Vorgänge tragen nicht dazu bei, ihn mit der zügellosen ameri¬
kanischen Presse auszusöhnen, und es bedarf eines Besuchs in dem Bureau des
Journals, einer langen Besprechung mit den Redacteuren, und der Einsicht in
das Leben und die Aufregung und Verantwortung derselben, um ihn in seinen
Ideen über die nothwendige Bevormundung der öffentlichen Meinung, über den
schädlichen Einfluß bösartiger Schreiber u. s. w. etwas irre zu machen.

Die Capitel über die Presse sind unübertrefflich in Feinheit und Wahrheit.

Dr. Smith findet sich aber durch alle diese Ereignisse in den Vordergrund
geschoben und mit der Partei des „Telegraphen" eng verbunden. Ein neuer
Mayor der Stadt muß gewählt, und mit ihm die ganze Verwaltung geändert
werden. Smith sieht sich mit Wohlgefallen als Candidat für eines der städtischen
Aemter vorgeschlagen.

Doch die nun beginnenden Wahlkämpfe entsetzen ihn. Die gegnerischen
Journale sagen ihm harte Dinge; in einer Wahlversammlung soll er reden und
findet keine Worte, so daß er verloren wäre, wenn ihn sein Sohn Heinrich
nicht rettete. Dieser hat sich mit seinen Schulkameraden gar oft in der freien
Rede geübt, und mit unendlichem Humor spricht der Knabe nun zu der
Versammlung für seinen Vater und erregt allgemeinen Enthusiasmus. Alles
umringt ihn und will ihm die Hand drücken. Smiths Herz schwillt. „Ich
bin sein Vater!" möchte er rufen. Doch die Scheu fesselt ihm auch jetzt
die Zunge, und seufzend sagt er sich leise: „Ach wäre ich doch mein Herr
Sohn!"

Doch man lebt schnell in Amerika. Die Ereignisse folgen sich Schlag auf
Schlag und sie führen Lefebre-Smith in die Kirchen, die Gerichtshöfe, die
Schulen.

Das Interesse wächst mit jedem Capitel und unwillkürlich werden die Ver-
gleichungen schärfer und bitterer; je höher der Gegenstand, desto einschneidender
wird die Satire.

Freiheit und Selbständigkeit zeigt sich auf der einen, Sklaverei und Eng¬
herzigkeit auf der andern Seite.

Zuletzt erhebt sich die ganze Stadt in Begeisterung. Schlimme Nach¬
richten sind vom Kriegsschauplatz eingelaufen; die Stadt wird von den Feinden
bedroht. Alles greift zu den Waffen, jeder Parteihader schweigt, die Freiwilligen¬
bataillone bilden sich und Smith schließt sich als Arzt dem Zuge an. Man
campirt unter freiem Himmel; der Vater schläft neben seinem Sohn und seinem
zukünftigen Tochtermann.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/550>, abgerufen am 01.09.2024.