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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Das ist bitter und sehr verständlich.

Dock der Erfahrungen sind noch viele für öefebre - Smith zu machen.
Er steigt in die Küche hinab und findet da seine Frau Jenny, wie sie ihm sei-
nen Lieblingspudding bereitet und eine Reihe sonstiger Anordnungen trifft, die
sich alle auf sein Wohlbefinden beziehen. Unter den Bestellungen vergißt die
brave Frau die letzte Predigt des Pfarrers Bellows nicht, "über die Lage der
Nation", die sie den Abend von ihrem Mann sich vorlesen lassen möchte.

Smith wird eS warm ums Herz. In Frankreich hörte er ganz andere
Musik. Da mußte man der Mode folgen, in einem vornehmen Stadttheil,
freilich i", siebenten Stock, wohnen, das Geld für Garderoben und Toiletten
zum Fenster hinauswerfen, Leuten freundlich sein, die man im Herzensgrunde
verachtete, keine Abendgesellschaft versäumen und jeden Morgen wenigstens
zwanzig Besuche machen. Es war ein sehr bewegtes und beschäftigtes Leben,
aber dem thörichten Smith kommt auf einmal eine Idee, als ob die amerika¬
nische Art, in der Familie zu leben, auch ihren Reiz habe. Er steigt mit
Jenny zum Frühstück hinauf, und fühlt sich so verjüngt,' daß es ihn treibt,
seine Frau herzhaft zu küssen, während ihn diese mit einem rosigen lor "dame,
Klr. Santi leise zurückstößt.

Doch eine neue Enttäuschung erwartet ihn bei seinen Kindern.

Als sorgsamer Vater hatte er früh für seines Sohnes Heinrich Fortkom¬
men Sorge getragen. Zu seiner Taufe hatte er den Bureauchef im Finanz¬
ministerium. Seciion der Zölle, als Pathen gebeten. Jetzt zählt der Sohn
sechszehn Jahre-, in zwei Jahren wird er sein Maturitätsexamen machen, und
wenn er dann binnen einigen Jahren noch drei oder vier Prüfungen glücklich
besteht und genugsam Protcgirt wird, kann er in den ersehnten Hafen einlau¬
fen. Mit fünfunddreißig Jahren kann er Abtheilungsvorstand sein, 2400 Fran¬
ken Besoldung und einen Orden haben, wie sein Pathe. Der glückliche Vater
sieht seinen Sohn in seinen Träumen als Musterbeamten, d. h. sanft, demü-
thig, höflich und gefällig gegen seine Oberen, streng, kurz angebunden und
würdevoll gegen seine Untergebenen.

Aber Heinrich denkt anders. Der Pater lernt bald, daß amerikanisches
Blut in den Adern seiner Kinder rollt. Der Junge will fort, nach Indien,
dort die Geschäfte seines Nachbars, des reichen Green. zu besorgen. Smith
hat sich noch nicht von seinem Schrecken darüber erholt, als er von seiner Toch¬
ter Susanne noch Schrecklicheres hören muß.

Su ist in eine anatomische Vorlesung gegangen. "Hast du nicht hundert¬
mal gesagt." fragt die erstaunte Frau ihren Gatten, "daß die Kenntniß des
menschlichen Körpers nothwendig zu einer guten Erziehung gehört?" Eine Frau
giebt diesen Unterricht, so wie man auch in einer besonderen Anstalt junge


Das ist bitter und sehr verständlich.

Dock der Erfahrungen sind noch viele für öefebre - Smith zu machen.
Er steigt in die Küche hinab und findet da seine Frau Jenny, wie sie ihm sei-
nen Lieblingspudding bereitet und eine Reihe sonstiger Anordnungen trifft, die
sich alle auf sein Wohlbefinden beziehen. Unter den Bestellungen vergißt die
brave Frau die letzte Predigt des Pfarrers Bellows nicht, „über die Lage der
Nation", die sie den Abend von ihrem Mann sich vorlesen lassen möchte.

Smith wird eS warm ums Herz. In Frankreich hörte er ganz andere
Musik. Da mußte man der Mode folgen, in einem vornehmen Stadttheil,
freilich i», siebenten Stock, wohnen, das Geld für Garderoben und Toiletten
zum Fenster hinauswerfen, Leuten freundlich sein, die man im Herzensgrunde
verachtete, keine Abendgesellschaft versäumen und jeden Morgen wenigstens
zwanzig Besuche machen. Es war ein sehr bewegtes und beschäftigtes Leben,
aber dem thörichten Smith kommt auf einmal eine Idee, als ob die amerika¬
nische Art, in der Familie zu leben, auch ihren Reiz habe. Er steigt mit
Jenny zum Frühstück hinauf, und fühlt sich so verjüngt,' daß es ihn treibt,
seine Frau herzhaft zu küssen, während ihn diese mit einem rosigen lor »dame,
Klr. Santi leise zurückstößt.

Doch eine neue Enttäuschung erwartet ihn bei seinen Kindern.

Als sorgsamer Vater hatte er früh für seines Sohnes Heinrich Fortkom¬
men Sorge getragen. Zu seiner Taufe hatte er den Bureauchef im Finanz¬
ministerium. Seciion der Zölle, als Pathen gebeten. Jetzt zählt der Sohn
sechszehn Jahre-, in zwei Jahren wird er sein Maturitätsexamen machen, und
wenn er dann binnen einigen Jahren noch drei oder vier Prüfungen glücklich
besteht und genugsam Protcgirt wird, kann er in den ersehnten Hafen einlau¬
fen. Mit fünfunddreißig Jahren kann er Abtheilungsvorstand sein, 2400 Fran¬
ken Besoldung und einen Orden haben, wie sein Pathe. Der glückliche Vater
sieht seinen Sohn in seinen Träumen als Musterbeamten, d. h. sanft, demü-
thig, höflich und gefällig gegen seine Oberen, streng, kurz angebunden und
würdevoll gegen seine Untergebenen.

Aber Heinrich denkt anders. Der Pater lernt bald, daß amerikanisches
Blut in den Adern seiner Kinder rollt. Der Junge will fort, nach Indien,
dort die Geschäfte seines Nachbars, des reichen Green. zu besorgen. Smith
hat sich noch nicht von seinem Schrecken darüber erholt, als er von seiner Toch¬
ter Susanne noch Schrecklicheres hören muß.

Su ist in eine anatomische Vorlesung gegangen. „Hast du nicht hundert¬
mal gesagt." fragt die erstaunte Frau ihren Gatten, „daß die Kenntniß des
menschlichen Körpers nothwendig zu einer guten Erziehung gehört?" Eine Frau
giebt diesen Unterricht, so wie man auch in einer besonderen Anstalt junge


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/548>, abgerufen am 28.07.2024.