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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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eine Schrift über das literarische Eigenthum in England und Frankreich zeigten
ihn als gründlichen Kenner der Verhältnisse und gefielen vor allem durch die
Klarheit der Darlegungen und die Reinheit des Stils. Seit 1849 ist ihm der
Lehrstuhl der Rechtsgeschichte am College de France anvertraut, und seine Vor¬
träge über die französische Verfassung unter den Bourbonen erfreuen sich der
größten Theilnahme, nicht allein der Studenten, sondern aller Gebildeten.

Am meisten Aufsehen hat aber unstreitig seine Schrift "Paris in Amerika"
gemacht, welche 1862 erschienen ist und jetzt in der fünfzehnten Auflage vor
uns liegt. Wir erinnern uns nicht, über diese launige Arbeit etwas in deutschen
Zeitungen gelesen zu haben, obwohl sie auch deutschen Lesern empfohlen werden
kann. Denn ein feiner Geist geht durch das Werk; neben warmem Gefühl und
poetischen Anschauungen gute Ironie. Dabei ist die Sprache sorgfältig und
anmuthig.

In leichte Nomanform eingekleidet, giebt "Paris in Amerika" das Bild
einer amerikanischen Stadt mit ihren Einrichtungen und ihrem Leben. Der Ver¬
fasser will aber keinen transatlantischen "Anacharsis". kein Geographie- und
Literaturbuch über Amerika geben; er benutzt die Zustände jenes'Landes nur,
um in ihnen das Gegenbild der französischen Verhältnisse deutlich zu machen.
Somit ist das Buch im Grunde eine publicistische Streitschrift, und dies erklärt
zum Theil seinen ungemeinen Erfolg. Hätte Laboulaye nur über Amerika die
Wahrheit sagen wollen, so hätte er gar manche Schattenseite hervorheben
müssen, die er jetzt nur leise andeutet. Aber Frankreich ist sein wahres
Ziel, und so gut hat er in das Schwarze geschossen, daß sein Buch trotz
der bittern Worte, die es enthält, dennoch den Franzosen sehr behaglich ge¬
worden ist.

Der Verfasser, welcher sich auf dem Titel Doctor Ren6 Lefebre nennt, ist
Arzt in Paris, und läßt sich von der Neugier hinreißen, einen Geisterbeschwö¬
rer und Geistcrklopfer zu besuchen, der in Paris sein Wesen treibt. Aufgefor¬
dert, die Geister zu nennen, mit welchen er reden möchte, erbittet sich der bos¬
hafte Doctor Aeußerungen von Don Quixote, Tom Jones und Werther, was
das Auditorium zu schallendem Gelächter bringt, den Geisterbeschwörer aber
veranlaßt, die soir6e zu beendigen. Während aber das Publikum sich entfernt,
hält Mr. Jonathan Dream, der Geisterfreund, unsern Spötter zurück und be¬
ginnt mit ihm eine Privatunterhaltung.

"Also Sie glauben, daß, Don Quixote und -- sein Knappe Sancho Pansa,
Werther und Lotte, Tom Jones und Sophie niemals gelebt haben?--
Wie. der Mensch ist unfähig, auch nur ein Atom Materie zu schaffen, und Sie
wähnen, er könnte vollständige Seelen bilden, die unsterblich sind? Glauben
Sie nicht mehr an Don Quixote als an alle Artaxerxes? Ist Tom Jones für
Sie nicht lebensvoller, als Drake und Magellan? .... Erkennen Sie doch


eine Schrift über das literarische Eigenthum in England und Frankreich zeigten
ihn als gründlichen Kenner der Verhältnisse und gefielen vor allem durch die
Klarheit der Darlegungen und die Reinheit des Stils. Seit 1849 ist ihm der
Lehrstuhl der Rechtsgeschichte am College de France anvertraut, und seine Vor¬
träge über die französische Verfassung unter den Bourbonen erfreuen sich der
größten Theilnahme, nicht allein der Studenten, sondern aller Gebildeten.

Am meisten Aufsehen hat aber unstreitig seine Schrift „Paris in Amerika"
gemacht, welche 1862 erschienen ist und jetzt in der fünfzehnten Auflage vor
uns liegt. Wir erinnern uns nicht, über diese launige Arbeit etwas in deutschen
Zeitungen gelesen zu haben, obwohl sie auch deutschen Lesern empfohlen werden
kann. Denn ein feiner Geist geht durch das Werk; neben warmem Gefühl und
poetischen Anschauungen gute Ironie. Dabei ist die Sprache sorgfältig und
anmuthig.

In leichte Nomanform eingekleidet, giebt „Paris in Amerika" das Bild
einer amerikanischen Stadt mit ihren Einrichtungen und ihrem Leben. Der Ver¬
fasser will aber keinen transatlantischen „Anacharsis". kein Geographie- und
Literaturbuch über Amerika geben; er benutzt die Zustände jenes'Landes nur,
um in ihnen das Gegenbild der französischen Verhältnisse deutlich zu machen.
Somit ist das Buch im Grunde eine publicistische Streitschrift, und dies erklärt
zum Theil seinen ungemeinen Erfolg. Hätte Laboulaye nur über Amerika die
Wahrheit sagen wollen, so hätte er gar manche Schattenseite hervorheben
müssen, die er jetzt nur leise andeutet. Aber Frankreich ist sein wahres
Ziel, und so gut hat er in das Schwarze geschossen, daß sein Buch trotz
der bittern Worte, die es enthält, dennoch den Franzosen sehr behaglich ge¬
worden ist.

Der Verfasser, welcher sich auf dem Titel Doctor Ren6 Lefebre nennt, ist
Arzt in Paris, und läßt sich von der Neugier hinreißen, einen Geisterbeschwö¬
rer und Geistcrklopfer zu besuchen, der in Paris sein Wesen treibt. Aufgefor¬
dert, die Geister zu nennen, mit welchen er reden möchte, erbittet sich der bos¬
hafte Doctor Aeußerungen von Don Quixote, Tom Jones und Werther, was
das Auditorium zu schallendem Gelächter bringt, den Geisterbeschwörer aber
veranlaßt, die soir6e zu beendigen. Während aber das Publikum sich entfernt,
hält Mr. Jonathan Dream, der Geisterfreund, unsern Spötter zurück und be¬
ginnt mit ihm eine Privatunterhaltung.

„Also Sie glauben, daß, Don Quixote und — sein Knappe Sancho Pansa,
Werther und Lotte, Tom Jones und Sophie niemals gelebt haben?--
Wie. der Mensch ist unfähig, auch nur ein Atom Materie zu schaffen, und Sie
wähnen, er könnte vollständige Seelen bilden, die unsterblich sind? Glauben
Sie nicht mehr an Don Quixote als an alle Artaxerxes? Ist Tom Jones für
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/545>, abgerufen am 01.09.2024.