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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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ziemlich auf der Seite von Frankreich überwiegen und so bleibt unwidersprechlich
wahr, daß Frankreich, ohnerachtet seines großen Verfalls, durch respectable
Armeen und nur ihm allein eigne von der gänzlichen Erschöpfung noch weit
entfernte Kräfte hat, daß seine zum höchsten Grad des Despotismus gestiegene
und eben dadurch an Hilfsmitteln unerschöpflich gewordene Regierung blos durch
die Verlängerung des Krieges schon die Oberhand gewinnen würde, weil Frank¬
reich den Aufwand an den" dazu erforderlichen Menschen und nur in Papier
allein bestehenden Kosten leichter als seine Gegner aufzubringen vermag.

Wahr ist, daß der kaiserliche Hof derjenige ist, welcher bei dem Triumph
der französischen Nation zunächst verlieren würde, weil seine Niederlande zunächst
an dieses Reich grenzen, und weder durch Natur noch durch Kunst zur Ver¬
theidigung geeignet sind. Aber bleibt wohl deswegen, weil der kaiserliche Hof
durch den Sieg der französischen Nation eben da erst ein Stück Land verlieren
würde, welches für seine Größe und Macht nicht entscheidend ist, bleibt des¬
wegen das Interesse der übrigen Höfe, die später, aber weit empfindlicher durch
die Fortschritte der französischen Nation leiden würden, weniger Gefahr aus¬
gesetzt?

Der Feldzug 1792 hat für den kaiserlichen Hof den Verlust der Niederlande
nach sich gezogen. Wie nahe, wie fast unvermeidlich waren dadurch im Anfang
des Jahres 1793 die rechtmäßigen Souveräns der vereinigten Provinzen ihrem
völligen Untergang.

Hätte Dumouriez Holland erobert, hätte Frankreich durch den Besitz der
östreichischen und vereinigten Niederlande sich zur mächtigsten europäischen See¬
macht emporgeschwungen, und durch die zugleich acquirirte Volksmenge, Reich¬
thümer und Ausdehnung bis an den Rhein neue Kräfte gewonnen; um wie
viel näher würde es zur Ausführung seiner jetzt noch schwärmerisch scheinenden
Drohung, alle gesetzmäßigen Regierungen zu zerstören, gerückt sein, und wie
schnell würde das süße Gift seiner unsinnigen Freiheit auf die den eroberten
Grenzen alsdann näher gelegenen Provinzen die gefahrvollsten Wirkungen her¬
vorgebracht haben.

Was damals nicht erfolgt ist, kann noch immer geschehen und würde un¬
vermeidlich sein, wenn Frankreich je die Oberhand gewinnen oder durch die
geringere Mitwirkung einiger Alliirten jene Mächte, welche die meisten Kräfte
aufbieten, für längeren Widerstand zu sehr geschwächt werden sollten, und gewiß
ist für die entferntesten Staaten die Gefahr ebenso dringend, die Pflicht des
Widerstandes ebenso wichtig, als für die nächsten Nachbarn von Frankreich.

Was endlich die Vortheile betrifft, welche die eine oder andere der krieg"
führenden Mächte durch Eroberung zu gewinnen scheint, die auf dem Weg zu
dem allgemeinen Endzweck unumgänglich gemacht werden müssen, so sollte dieser
Gegenstand um so weniger das genaueste EinVerständniß der gemeinsamen


ziemlich auf der Seite von Frankreich überwiegen und so bleibt unwidersprechlich
wahr, daß Frankreich, ohnerachtet seines großen Verfalls, durch respectable
Armeen und nur ihm allein eigne von der gänzlichen Erschöpfung noch weit
entfernte Kräfte hat, daß seine zum höchsten Grad des Despotismus gestiegene
und eben dadurch an Hilfsmitteln unerschöpflich gewordene Regierung blos durch
die Verlängerung des Krieges schon die Oberhand gewinnen würde, weil Frank¬
reich den Aufwand an den« dazu erforderlichen Menschen und nur in Papier
allein bestehenden Kosten leichter als seine Gegner aufzubringen vermag.

Wahr ist, daß der kaiserliche Hof derjenige ist, welcher bei dem Triumph
der französischen Nation zunächst verlieren würde, weil seine Niederlande zunächst
an dieses Reich grenzen, und weder durch Natur noch durch Kunst zur Ver¬
theidigung geeignet sind. Aber bleibt wohl deswegen, weil der kaiserliche Hof
durch den Sieg der französischen Nation eben da erst ein Stück Land verlieren
würde, welches für seine Größe und Macht nicht entscheidend ist, bleibt des¬
wegen das Interesse der übrigen Höfe, die später, aber weit empfindlicher durch
die Fortschritte der französischen Nation leiden würden, weniger Gefahr aus¬
gesetzt?

Der Feldzug 1792 hat für den kaiserlichen Hof den Verlust der Niederlande
nach sich gezogen. Wie nahe, wie fast unvermeidlich waren dadurch im Anfang
des Jahres 1793 die rechtmäßigen Souveräns der vereinigten Provinzen ihrem
völligen Untergang.

Hätte Dumouriez Holland erobert, hätte Frankreich durch den Besitz der
östreichischen und vereinigten Niederlande sich zur mächtigsten europäischen See¬
macht emporgeschwungen, und durch die zugleich acquirirte Volksmenge, Reich¬
thümer und Ausdehnung bis an den Rhein neue Kräfte gewonnen; um wie
viel näher würde es zur Ausführung seiner jetzt noch schwärmerisch scheinenden
Drohung, alle gesetzmäßigen Regierungen zu zerstören, gerückt sein, und wie
schnell würde das süße Gift seiner unsinnigen Freiheit auf die den eroberten
Grenzen alsdann näher gelegenen Provinzen die gefahrvollsten Wirkungen her¬
vorgebracht haben.

Was damals nicht erfolgt ist, kann noch immer geschehen und würde un¬
vermeidlich sein, wenn Frankreich je die Oberhand gewinnen oder durch die
geringere Mitwirkung einiger Alliirten jene Mächte, welche die meisten Kräfte
aufbieten, für längeren Widerstand zu sehr geschwächt werden sollten, und gewiß
ist für die entferntesten Staaten die Gefahr ebenso dringend, die Pflicht des
Widerstandes ebenso wichtig, als für die nächsten Nachbarn von Frankreich.

Was endlich die Vortheile betrifft, welche die eine oder andere der krieg«
führenden Mächte durch Eroberung zu gewinnen scheint, die auf dem Weg zu
dem allgemeinen Endzweck unumgänglich gemacht werden müssen, so sollte dieser
Gegenstand um so weniger das genaueste EinVerständniß der gemeinsamen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/535>, abgerufen am 28.07.2024.