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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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ein wirksames Mittel dagegen reichliche Cigarrenspende ist, welche dem Krieger
unter der Bedingung gewidmet wird, dieselben außerhalb des Quartiers zu
rauchen.

Näher rückt die Entscheidung ob Krieg auch unserem Lande, banger wird die
Erwartung. Die letzte Sitzung des alten Bundes, die letzten Forderungen der
streitenden Regierungen, die letzten Noten, die letzten Proclamationen. Näher
zieht die Wetterwolke, wie ein Blitz und Schlag kommt die Nachricht, daß der
Krieg vor den Thoren sei. Jetzt stürmen über die Sorgen um das eigene Ge¬
deihen auch größere Gefühle durch das Herz. Der Bürger sieht, daß er mitten
im Lande wie auf einer Insel wohnt, abgeschnitten von seinen Geschäftsfreunden
und von Verwandten. Welcher Zustand! Die Zeitungen kommen um mehre
Tage später, die Schienenwege sind aufgerissen, die Telegraphendrähte zerschnitten,
der Culturgewinn, welchen die letzten dreißig Friedensjahre ihm brachten, die
Grundlagen des gesammten Verkehrs mit der Welt sind ihm plötzlich genommen.
Als vor mehr als 60 Jahren zum letzten Mal der Krieg durch die deutschen
Lande zog, war die Verbindung der Stadt mit andern Städten im Vergleich
zur Gegenwart so geringfügig, daß eine Unterbrechung ganz unverhältnismäßig
weniger Erstaunliches hatte. Der Städter las nur eine Zeitung, die in den
meisten Theilen Deutschlands drei bis vier Mal in der Woche erschien, nur
einmal im Tage erhielt er seine Briefe, kaum den zehnten Theil der Korrespon¬
denz, die ihn jetzt beschäftigt. Alle Kunde von der Außenwelt schritt nicht
schneller zu ihm heran, als PostPferde auf schlechten Wegen laufen, oder als ein
Landbote schreitet. Jetzt sind der Draht, der Schienenweg, die Presse aus ganz
Deutschland nicht nur Gewohnheiten seines Lebens geworden, die er nicht zu
entbehren weiß, seine gesammte Thätigkeit, ein wesentlicher Theil der geistlichen
Nahrung, welche er aufnimmt, alle Fäden, welche ihn über Haus und Gemeinde
an die civilisute Welt knüpfen, laufen in diesen neuen Culturersindungen.
Er ist nicht nur durch den stockenden Verkehr und die Verluste einer erwerblosen
Zeit ärmer geworden, er fühlt auch eine ähnliche Unsicherheit, wie der Wan¬
derer, der auf Moorgrund steht, er sieht sich zurückversetzt in Zustände, an die
er kaum noch aus seiner Jugendzeit eine Erinnerung bewahrt, und er frägt
sich zornig: darf, was Bildung und Thätigkeit der Menschen in dreißig Jahren
geschaffen, jetzt im Nu dahinschwinden?

Aber das ist das Aergste noch nicht. Seine Stadt ist plötzlich eine Grenz¬
stadt geworden, von feindlichem Lande umgeben. Die Gebiete benachbarter
Landesherren, welche durch einander fast vor den Thoren liegen, so in einander ge¬
klammert, daß nur die Umwohner die Grenzmarken kennen, sie sind ihm feindliches
Gebiet geworden, und feindlich eines dem andern. Von Fürsten desselben
Blutes und Hauses hält der eine zur rechten, der andere zur linken Partei.
Einwohner derselben Landschaft, Stammgenossen und Verwandte sind plötzlich


ein wirksames Mittel dagegen reichliche Cigarrenspende ist, welche dem Krieger
unter der Bedingung gewidmet wird, dieselben außerhalb des Quartiers zu
rauchen.

Näher rückt die Entscheidung ob Krieg auch unserem Lande, banger wird die
Erwartung. Die letzte Sitzung des alten Bundes, die letzten Forderungen der
streitenden Regierungen, die letzten Noten, die letzten Proclamationen. Näher
zieht die Wetterwolke, wie ein Blitz und Schlag kommt die Nachricht, daß der
Krieg vor den Thoren sei. Jetzt stürmen über die Sorgen um das eigene Ge¬
deihen auch größere Gefühle durch das Herz. Der Bürger sieht, daß er mitten
im Lande wie auf einer Insel wohnt, abgeschnitten von seinen Geschäftsfreunden
und von Verwandten. Welcher Zustand! Die Zeitungen kommen um mehre
Tage später, die Schienenwege sind aufgerissen, die Telegraphendrähte zerschnitten,
der Culturgewinn, welchen die letzten dreißig Friedensjahre ihm brachten, die
Grundlagen des gesammten Verkehrs mit der Welt sind ihm plötzlich genommen.
Als vor mehr als 60 Jahren zum letzten Mal der Krieg durch die deutschen
Lande zog, war die Verbindung der Stadt mit andern Städten im Vergleich
zur Gegenwart so geringfügig, daß eine Unterbrechung ganz unverhältnismäßig
weniger Erstaunliches hatte. Der Städter las nur eine Zeitung, die in den
meisten Theilen Deutschlands drei bis vier Mal in der Woche erschien, nur
einmal im Tage erhielt er seine Briefe, kaum den zehnten Theil der Korrespon¬
denz, die ihn jetzt beschäftigt. Alle Kunde von der Außenwelt schritt nicht
schneller zu ihm heran, als PostPferde auf schlechten Wegen laufen, oder als ein
Landbote schreitet. Jetzt sind der Draht, der Schienenweg, die Presse aus ganz
Deutschland nicht nur Gewohnheiten seines Lebens geworden, die er nicht zu
entbehren weiß, seine gesammte Thätigkeit, ein wesentlicher Theil der geistlichen
Nahrung, welche er aufnimmt, alle Fäden, welche ihn über Haus und Gemeinde
an die civilisute Welt knüpfen, laufen in diesen neuen Culturersindungen.
Er ist nicht nur durch den stockenden Verkehr und die Verluste einer erwerblosen
Zeit ärmer geworden, er fühlt auch eine ähnliche Unsicherheit, wie der Wan¬
derer, der auf Moorgrund steht, er sieht sich zurückversetzt in Zustände, an die
er kaum noch aus seiner Jugendzeit eine Erinnerung bewahrt, und er frägt
sich zornig: darf, was Bildung und Thätigkeit der Menschen in dreißig Jahren
geschaffen, jetzt im Nu dahinschwinden?

Aber das ist das Aergste noch nicht. Seine Stadt ist plötzlich eine Grenz¬
stadt geworden, von feindlichem Lande umgeben. Die Gebiete benachbarter
Landesherren, welche durch einander fast vor den Thoren liegen, so in einander ge¬
klammert, daß nur die Umwohner die Grenzmarken kennen, sie sind ihm feindliches
Gebiet geworden, und feindlich eines dem andern. Von Fürsten desselben
Blutes und Hauses hält der eine zur rechten, der andere zur linken Partei.
Einwohner derselben Landschaft, Stammgenossen und Verwandte sind plötzlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/522>, abgerufen am 28.07.2024.