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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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die Bundesversammlung, der hinfort das Parlament zur Seite gegeben wird,
bestehen. Da jenen Volkswünschen jedoch an erster Stelle der Wunsch nach
strafferer Concentration der Nationalkraft zu Grunde liegt und preußische wie
deutsche Interessen dieselben gebieterisch verlangen, so ward der Nachdruck auf
eine neue Organisation der deutschen Heeresverfassung gelegt. Hier war von
Seiten der mittleren und kleinen Kriegsherren der empfindlichste Widerstand zu
erwarten; Graf Bismarck glaubte ihn brechen zu können, indem er das Inter¬
esse des nächstgrößten Staates zu engagiren versuchte; so wurde der Oberbefehl
über Nord- und SüdarMee getheilt, wogegen Preußen sich das alleinige Flöt-
tencommando vorbehielt. Vielleicht gelang es nun, so mochte die Auffassung
sein, durch Bayerns Zustimmung den Einspruch Hannovers, Würtembergs.
Sachsens zu neutralisiren. Was endlich das Parlament anlangt, so mußte
ebenso mit den conservativen Neigungen des preußischen Herrschers, wie mit
denen der anderen Fürsten pactirt werden; die Befugnisse der Nationalvertreter
konnten daher nicht anders als ziemlich engbegrenzt ausfallen. Sollte dagegen
irgendetwas beim Volke gewonnen werden und es nicht in dem Gebotenen
schließlich nur das Zerrbild seines Lieblingswunsches erblicken, so war eine
feste Garantie unerläßlich nöthig, und Graf Bismarck fand sie, indem' er sei¬
nen königlichen Herrn bewog, für den Reformentwurf das'Reichswahlgesetz von
1849 zu adoptiren. Auf diese Weise, unter Rücksichten nach rechts und links,
setzte sich das Werk vermuthlich zusammen.

Im Ganzen können wir sagen, daß es das moderirte Unionsprogramm
ist, für welches Gras Bismarck eintritt; ein wesentlich neues Moment ist nur
die Theilung des militärischen Oberbefehls mit Bayern. Und wir finden in
dieser Rücksichtnahme auf Süddeutschland nichts, was die fernere Entwicklung
schädigen könnte. Zwei Kriegsherren sind nicht so gut wie einer, aber sie sind
besser als dreißig; sie hindern in Zukunft nicht mehr ein gedeihliches Zusammen¬
wirken, und so wird die Kraft der Nation wesentlich erhöht sein. Und dazu
sind alle übrigen Interessen des Gesammtvaterlandes straffer zusammengefaßt,
so daß die militärische Scheidung keine politische nach sich ziehen kann. Im
Ganzen führt der Entwurf uns doch eine ansehnliche Strecke weiter auf dem
Wege zum einheitlichen Bundesstaat, und es wäre selbst zu ertragen, müßte
auf der dann erreichten Station eine Weile innegehalten werden.

Aus Süddeutschland freilich werden entrüstete Stimmen laut über den arm¬
seligen Umfang der Parlamentsbefugnisse. Es ist wahr, sie sind im Allge¬
meinen auf die gemeinsamen materiellen Interessen beschränkt. Das ist der
Reichsverfassung gegenüber wenig, im Vergleich zum jetzigen Zustand viel. Ist
der Zollverein keine Wohlthat, und hat man nicht oft sogar nach einem bloßen
Zollparlament Sehnsucht geäußert? Es klang so stolz, was alles ins Bereich
des Delegirtenvarlaments vom frankfurter Fürstencongreß fallen sollte; und


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die Bundesversammlung, der hinfort das Parlament zur Seite gegeben wird,
bestehen. Da jenen Volkswünschen jedoch an erster Stelle der Wunsch nach
strafferer Concentration der Nationalkraft zu Grunde liegt und preußische wie
deutsche Interessen dieselben gebieterisch verlangen, so ward der Nachdruck auf
eine neue Organisation der deutschen Heeresverfassung gelegt. Hier war von
Seiten der mittleren und kleinen Kriegsherren der empfindlichste Widerstand zu
erwarten; Graf Bismarck glaubte ihn brechen zu können, indem er das Inter¬
esse des nächstgrößten Staates zu engagiren versuchte; so wurde der Oberbefehl
über Nord- und SüdarMee getheilt, wogegen Preußen sich das alleinige Flöt-
tencommando vorbehielt. Vielleicht gelang es nun, so mochte die Auffassung
sein, durch Bayerns Zustimmung den Einspruch Hannovers, Würtembergs.
Sachsens zu neutralisiren. Was endlich das Parlament anlangt, so mußte
ebenso mit den conservativen Neigungen des preußischen Herrschers, wie mit
denen der anderen Fürsten pactirt werden; die Befugnisse der Nationalvertreter
konnten daher nicht anders als ziemlich engbegrenzt ausfallen. Sollte dagegen
irgendetwas beim Volke gewonnen werden und es nicht in dem Gebotenen
schließlich nur das Zerrbild seines Lieblingswunsches erblicken, so war eine
feste Garantie unerläßlich nöthig, und Graf Bismarck fand sie, indem' er sei¬
nen königlichen Herrn bewog, für den Reformentwurf das'Reichswahlgesetz von
1849 zu adoptiren. Auf diese Weise, unter Rücksichten nach rechts und links,
setzte sich das Werk vermuthlich zusammen.

Im Ganzen können wir sagen, daß es das moderirte Unionsprogramm
ist, für welches Gras Bismarck eintritt; ein wesentlich neues Moment ist nur
die Theilung des militärischen Oberbefehls mit Bayern. Und wir finden in
dieser Rücksichtnahme auf Süddeutschland nichts, was die fernere Entwicklung
schädigen könnte. Zwei Kriegsherren sind nicht so gut wie einer, aber sie sind
besser als dreißig; sie hindern in Zukunft nicht mehr ein gedeihliches Zusammen¬
wirken, und so wird die Kraft der Nation wesentlich erhöht sein. Und dazu
sind alle übrigen Interessen des Gesammtvaterlandes straffer zusammengefaßt,
so daß die militärische Scheidung keine politische nach sich ziehen kann. Im
Ganzen führt der Entwurf uns doch eine ansehnliche Strecke weiter auf dem
Wege zum einheitlichen Bundesstaat, und es wäre selbst zu ertragen, müßte
auf der dann erreichten Station eine Weile innegehalten werden.

Aus Süddeutschland freilich werden entrüstete Stimmen laut über den arm¬
seligen Umfang der Parlamentsbefugnisse. Es ist wahr, sie sind im Allge¬
meinen auf die gemeinsamen materiellen Interessen beschränkt. Das ist der
Reichsverfassung gegenüber wenig, im Vergleich zum jetzigen Zustand viel. Ist
der Zollverein keine Wohlthat, und hat man nicht oft sogar nach einem bloßen
Zollparlament Sehnsucht geäußert? Es klang so stolz, was alles ins Bereich
des Delegirtenvarlaments vom frankfurter Fürstencongreß fallen sollte; und


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[0517] die Bundesversammlung, der hinfort das Parlament zur Seite gegeben wird, bestehen. Da jenen Volkswünschen jedoch an erster Stelle der Wunsch nach strafferer Concentration der Nationalkraft zu Grunde liegt und preußische wie deutsche Interessen dieselben gebieterisch verlangen, so ward der Nachdruck auf eine neue Organisation der deutschen Heeresverfassung gelegt. Hier war von Seiten der mittleren und kleinen Kriegsherren der empfindlichste Widerstand zu erwarten; Graf Bismarck glaubte ihn brechen zu können, indem er das Inter¬ esse des nächstgrößten Staates zu engagiren versuchte; so wurde der Oberbefehl über Nord- und SüdarMee getheilt, wogegen Preußen sich das alleinige Flöt- tencommando vorbehielt. Vielleicht gelang es nun, so mochte die Auffassung sein, durch Bayerns Zustimmung den Einspruch Hannovers, Würtembergs. Sachsens zu neutralisiren. Was endlich das Parlament anlangt, so mußte ebenso mit den conservativen Neigungen des preußischen Herrschers, wie mit denen der anderen Fürsten pactirt werden; die Befugnisse der Nationalvertreter konnten daher nicht anders als ziemlich engbegrenzt ausfallen. Sollte dagegen irgendetwas beim Volke gewonnen werden und es nicht in dem Gebotenen schließlich nur das Zerrbild seines Lieblingswunsches erblicken, so war eine feste Garantie unerläßlich nöthig, und Graf Bismarck fand sie, indem' er sei¬ nen königlichen Herrn bewog, für den Reformentwurf das'Reichswahlgesetz von 1849 zu adoptiren. Auf diese Weise, unter Rücksichten nach rechts und links, setzte sich das Werk vermuthlich zusammen. Im Ganzen können wir sagen, daß es das moderirte Unionsprogramm ist, für welches Gras Bismarck eintritt; ein wesentlich neues Moment ist nur die Theilung des militärischen Oberbefehls mit Bayern. Und wir finden in dieser Rücksichtnahme auf Süddeutschland nichts, was die fernere Entwicklung schädigen könnte. Zwei Kriegsherren sind nicht so gut wie einer, aber sie sind besser als dreißig; sie hindern in Zukunft nicht mehr ein gedeihliches Zusammen¬ wirken, und so wird die Kraft der Nation wesentlich erhöht sein. Und dazu sind alle übrigen Interessen des Gesammtvaterlandes straffer zusammengefaßt, so daß die militärische Scheidung keine politische nach sich ziehen kann. Im Ganzen führt der Entwurf uns doch eine ansehnliche Strecke weiter auf dem Wege zum einheitlichen Bundesstaat, und es wäre selbst zu ertragen, müßte auf der dann erreichten Station eine Weile innegehalten werden. Aus Süddeutschland freilich werden entrüstete Stimmen laut über den arm¬ seligen Umfang der Parlamentsbefugnisse. Es ist wahr, sie sind im Allge¬ meinen auf die gemeinsamen materiellen Interessen beschränkt. Das ist der Reichsverfassung gegenüber wenig, im Vergleich zum jetzigen Zustand viel. Ist der Zollverein keine Wohlthat, und hat man nicht oft sogar nach einem bloßen Zollparlament Sehnsucht geäußert? Es klang so stolz, was alles ins Bereich des Delegirtenvarlaments vom frankfurter Fürstencongreß fallen sollte; und 61*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/517>, abgerufen am 28.07.2024.