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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Und nun folgte die neueste Phase, wo der Unverstand der Kriegspartei
und der alte Dünkel des heiligen römischen Reichs vollends in der Hofburg
triumphirte. Die neutralen Mächte versuchen zu vermitteln, die Konferenz wird
ausgeschrieben, und nachträglich stellt Oestreich Bedingungen, die sie unmöglich
machen; es hatte gehofft, sie von Italien oder Preußen zurückgewiesen zusehen,
in nüchtern verständiger Auffassung übernahmen die Neutralen das Geschäft,
Graf Mcnsdoiff hat Unglück mit seinen Schachzügen. Nun freilich schmäht
man in Wien Frankreichs. Rußlands, Englands Verbiet und zeiht Preußen
geheimen Einverständnisses mit dem Ausland; und doch ließen sich Bände füllen,
wollte man nur aus den letzten Monaten die Aeußerungen zusammenstellen,
worin die wiener Blätter, ofsiciöse wie unabhängige, höhnend auf Preußens
Isolirung hinweisen und sich zuversichtlich der Beihilfe ebendesselben Frankreichs,
Rußlands, Englands rühmen. Dergleichen ist freilich nur in der östreichischen
Publicistik möglich: heut bejubelt man Oestreichs Erklärung am Bunde als einen
"vollständigen Riß" durch den gasteiner Vertrag, und morgen schon erklärt man
es für perfid, daß die preußische Regierung einen Vertragsbruch darin findet.
Oder geschieht es vielleicht deshalb, weil der Bruch nicht vollständig ist? weil
man, trotz des Eintretens für das "bedrohte Bundesrecht", die Position in
Holstein nicht auf-, den Kaufschilling für Lauenburg nicht herausgiebt? Ach,
diese sprichwörtliche Pfiffigkeit der östreichischen Diplomaten ist alt geworden
und wirkungslos: sie begeht einen Vertragsbruch, um Preußen außer Fassung
zu setzen, und Graf Bismarck nimmt ihn gelassen auf und acceptirt ihn als
Rückkehr zum früheren Zustand. Dem Mann ist nicht beizukommen; früher
drohte er. heftig und formlos, jetzt, je erregter man selber wird, je friedfertiger
ist sein Auftreten, je gemessener klingt seine Sprache. Oestreich ist es, das jetzt
den Krieg will, und wenn man Graf Bismarck in noch so ungünstigem Lichte
betrachtet, kann man höchstens sagen: es ist ihm gelungen, Oestreich nicht blos
scheinbar, sondern wirklich ins Unrecht zu bringen.

Das ist der entscheidende Punkt: Ein diplomatisches Spiel ist gespielt
worden, dessen Mittel wir (wohlverstanden die Mittel auf beiden Seiten) ver¬
werflich finden können. Wenn aber Graf Mensdorff von Graf Bismarck über¬
listet wird, was in aller Welt sollen denn wir darüber klagen? was wäre uns
geholfen, wenn Graf Rechberg und Graf Mensdorff schlauer als Graf Bismarck
gewesen wären? Ein moralisches Moment ist nirgend zu finden, das uns auf
diese oder jene Seite zöge. So mag denn einfach auch unser Interesse gelten:
jetzt steht der preußische Staat gegen den östreichischen, Hohenzollern gegen
Habsburg; der liberalen und nationalgesinnten Partei darf die Wahl, wo mit
ihren Wünschen zu weilen, nicht zweifelhaft sein. Vom ersten Rudolf an haben
die Habsburger die todten Formen des Reichs conservirt; mochte der Organismus


Und nun folgte die neueste Phase, wo der Unverstand der Kriegspartei
und der alte Dünkel des heiligen römischen Reichs vollends in der Hofburg
triumphirte. Die neutralen Mächte versuchen zu vermitteln, die Konferenz wird
ausgeschrieben, und nachträglich stellt Oestreich Bedingungen, die sie unmöglich
machen; es hatte gehofft, sie von Italien oder Preußen zurückgewiesen zusehen,
in nüchtern verständiger Auffassung übernahmen die Neutralen das Geschäft,
Graf Mcnsdoiff hat Unglück mit seinen Schachzügen. Nun freilich schmäht
man in Wien Frankreichs. Rußlands, Englands Verbiet und zeiht Preußen
geheimen Einverständnisses mit dem Ausland; und doch ließen sich Bände füllen,
wollte man nur aus den letzten Monaten die Aeußerungen zusammenstellen,
worin die wiener Blätter, ofsiciöse wie unabhängige, höhnend auf Preußens
Isolirung hinweisen und sich zuversichtlich der Beihilfe ebendesselben Frankreichs,
Rußlands, Englands rühmen. Dergleichen ist freilich nur in der östreichischen
Publicistik möglich: heut bejubelt man Oestreichs Erklärung am Bunde als einen
„vollständigen Riß" durch den gasteiner Vertrag, und morgen schon erklärt man
es für perfid, daß die preußische Regierung einen Vertragsbruch darin findet.
Oder geschieht es vielleicht deshalb, weil der Bruch nicht vollständig ist? weil
man, trotz des Eintretens für das „bedrohte Bundesrecht", die Position in
Holstein nicht auf-, den Kaufschilling für Lauenburg nicht herausgiebt? Ach,
diese sprichwörtliche Pfiffigkeit der östreichischen Diplomaten ist alt geworden
und wirkungslos: sie begeht einen Vertragsbruch, um Preußen außer Fassung
zu setzen, und Graf Bismarck nimmt ihn gelassen auf und acceptirt ihn als
Rückkehr zum früheren Zustand. Dem Mann ist nicht beizukommen; früher
drohte er. heftig und formlos, jetzt, je erregter man selber wird, je friedfertiger
ist sein Auftreten, je gemessener klingt seine Sprache. Oestreich ist es, das jetzt
den Krieg will, und wenn man Graf Bismarck in noch so ungünstigem Lichte
betrachtet, kann man höchstens sagen: es ist ihm gelungen, Oestreich nicht blos
scheinbar, sondern wirklich ins Unrecht zu bringen.

Das ist der entscheidende Punkt: Ein diplomatisches Spiel ist gespielt
worden, dessen Mittel wir (wohlverstanden die Mittel auf beiden Seiten) ver¬
werflich finden können. Wenn aber Graf Mensdorff von Graf Bismarck über¬
listet wird, was in aller Welt sollen denn wir darüber klagen? was wäre uns
geholfen, wenn Graf Rechberg und Graf Mensdorff schlauer als Graf Bismarck
gewesen wären? Ein moralisches Moment ist nirgend zu finden, das uns auf
diese oder jene Seite zöge. So mag denn einfach auch unser Interesse gelten:
jetzt steht der preußische Staat gegen den östreichischen, Hohenzollern gegen
Habsburg; der liberalen und nationalgesinnten Partei darf die Wahl, wo mit
ihren Wünschen zu weilen, nicht zweifelhaft sein. Vom ersten Rudolf an haben
die Habsburger die todten Formen des Reichs conservirt; mochte der Organismus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/508>, abgerufen am 06.10.2024.