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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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schlauer gewesen waren als ihre preußischen College", hatten diese darum die
Verpflichtung übernommen, nie von ihren Meistern zu lernen? Woher der Lärm
heut in Wien? Interessen stehen gegen Interessen, von der Nation war bis aus
den preußischen Neformplan weder dort noch hier die Rede.

Wenden wir uns zum neueren Stadium der Frage. Das Palliativmittel
Gastein hatte, wie vorauszusehen, nichts gefördert. Bismarck trieb zur Entschei¬
dung: Oestreich sollte Preußens naturgemäßen Forderungen entweder gutwillig
oder gezwungen nachgeben; das erstere war ihm unzweifelhaft lieber, aber er
war auch auf das letztere gefaßt. Vielleicht hätte man sich doch noch in Wien
zum ersteren entschlossen, um die für die gesammtöstreichischen Verhältnisse doch
sehr vortheilhafte Allianz trotz allem zu conserviren; aber von Kiel aus wurde
unablässig geschult, die gegenseitige Erbitterung stieg; im Februar d. I. schien
man an der Grenze freundlichen Einvernehmens angelangt. In Berlin wurde
ein geheimnißvolles Conseil abgehalten, danach folgten in den officiösen Blättern
unbestimmte Drohungen. Das ist Diplomatenart: Graf Bismarck arbeitet mit
demselben Handwerkszeug, womit die Grafen Rechberg und Mensdorff arbeiten.
Oestreich ging in die Falle. Statt um Aufklärung zu bitten und dann zu
hören, was jetzt bekannt ist, daß nämlich das Conseil friedfertig geschlossen,
schickte eS einige Truppenzüge an die Nordgrenze und erhub gleichzeitig in der
officiösen Presse ein gewaltiges Kriegsgeschrei. Nur wenige Tage, denn das
Manöver mißglückte: man hatte blos imponiren wollen und erkannte nun,
daß man Bismarck wahrscheinlich nichts Erwünschteres hätte anthun können.
Ein verfehlter Schachzug; die Parole in Wien wurde geändert. Aber schon
war es zu spät: in Berlin schienen Gegenrüstungen nothwendig, Bismarck sah
sich nach Bundesgenossen um, -- so ähnlich wenigstens verlautete aus den
Blättern. Nun rüstete Oestreich stärker, die Andern folgten; man betrat die ab¬
schüssige Bahn, auf der kein Haltens ist. Aber wie oft der Argwohn die Dinge
erst schafft, die er bekämpft, so auch hier: wir sind überzeugt, daß die eigent¬
lichen Rüstungen Preußens erst begannen, daß später der Allianzvertrag mit
Italien erst unterzeichnet wurde, als man in Oestreich jene längst vor.'eschrittcn,
diesen längst abgeschlossen glaubte. Denn Graf Bismarck ist nicht der König
und ist nicht das Land. Des Königs Ehrlichkeit gestattet nicht die Annahme
eines von ihm getriebenen diplomatischen Spiels; und ist nicht das Land selbst
durch die maßlos verkehrte Haltung, die man in Wien seitdem eingenommen,
auch auf den Punkt gelangt, den Krieg für kaum noch mit Ehren vermeid¬
bar anzusehen? Man glaube doch nicht, daß ein einzelner Minister, sei er mock
so mächtig, Menschen und Dinge am Draht zu lenken vermag; mag Graf
Bismarck den Krieg gewünscht haben oder nicht, den Krieg ermöglichen konnte
ihm nur Oestreich.


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schlauer gewesen waren als ihre preußischen College», hatten diese darum die
Verpflichtung übernommen, nie von ihren Meistern zu lernen? Woher der Lärm
heut in Wien? Interessen stehen gegen Interessen, von der Nation war bis aus
den preußischen Neformplan weder dort noch hier die Rede.

Wenden wir uns zum neueren Stadium der Frage. Das Palliativmittel
Gastein hatte, wie vorauszusehen, nichts gefördert. Bismarck trieb zur Entschei¬
dung: Oestreich sollte Preußens naturgemäßen Forderungen entweder gutwillig
oder gezwungen nachgeben; das erstere war ihm unzweifelhaft lieber, aber er
war auch auf das letztere gefaßt. Vielleicht hätte man sich doch noch in Wien
zum ersteren entschlossen, um die für die gesammtöstreichischen Verhältnisse doch
sehr vortheilhafte Allianz trotz allem zu conserviren; aber von Kiel aus wurde
unablässig geschult, die gegenseitige Erbitterung stieg; im Februar d. I. schien
man an der Grenze freundlichen Einvernehmens angelangt. In Berlin wurde
ein geheimnißvolles Conseil abgehalten, danach folgten in den officiösen Blättern
unbestimmte Drohungen. Das ist Diplomatenart: Graf Bismarck arbeitet mit
demselben Handwerkszeug, womit die Grafen Rechberg und Mensdorff arbeiten.
Oestreich ging in die Falle. Statt um Aufklärung zu bitten und dann zu
hören, was jetzt bekannt ist, daß nämlich das Conseil friedfertig geschlossen,
schickte eS einige Truppenzüge an die Nordgrenze und erhub gleichzeitig in der
officiösen Presse ein gewaltiges Kriegsgeschrei. Nur wenige Tage, denn das
Manöver mißglückte: man hatte blos imponiren wollen und erkannte nun,
daß man Bismarck wahrscheinlich nichts Erwünschteres hätte anthun können.
Ein verfehlter Schachzug; die Parole in Wien wurde geändert. Aber schon
war es zu spät: in Berlin schienen Gegenrüstungen nothwendig, Bismarck sah
sich nach Bundesgenossen um, — so ähnlich wenigstens verlautete aus den
Blättern. Nun rüstete Oestreich stärker, die Andern folgten; man betrat die ab¬
schüssige Bahn, auf der kein Haltens ist. Aber wie oft der Argwohn die Dinge
erst schafft, die er bekämpft, so auch hier: wir sind überzeugt, daß die eigent¬
lichen Rüstungen Preußens erst begannen, daß später der Allianzvertrag mit
Italien erst unterzeichnet wurde, als man in Oestreich jene längst vor.'eschrittcn,
diesen längst abgeschlossen glaubte. Denn Graf Bismarck ist nicht der König
und ist nicht das Land. Des Königs Ehrlichkeit gestattet nicht die Annahme
eines von ihm getriebenen diplomatischen Spiels; und ist nicht das Land selbst
durch die maßlos verkehrte Haltung, die man in Wien seitdem eingenommen,
auch auf den Punkt gelangt, den Krieg für kaum noch mit Ehren vermeid¬
bar anzusehen? Man glaube doch nicht, daß ein einzelner Minister, sei er mock
so mächtig, Menschen und Dinge am Draht zu lenken vermag; mag Graf
Bismarck den Krieg gewünscht haben oder nicht, den Krieg ermöglichen konnte
ihm nur Oestreich.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/507>, abgerufen am 28.07.2024.