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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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auf dem Altar des Vaterlandes opfert, wie das 1789 in Frankreich geschah,
und am wenigsten konnte man dies von Halbbardaren, wie den rumänischen
Groß- und Kleinbojarm erwarten.

Die innern Streitigkeiten serner, die sich vom ersten Tage des Eintritts
der pariser Convention ins Leben erhoben, die Anstrengungen, welche persön¬
licher Ehrgeiz schon bei den Wahlen von 1858 machte, die Enttäuschung, welche
die Bewerber um die Fürstniwürde erlebten, als dann aus der Urne der Moldau
ein fast völlig unbekannter Name hervorging und bald nachher derselbe Name
in der Walachei adoptirt wurde, um nicht enden wollenden Ballotements ein
Ziel zu setzen, alles das drohte die künftigen Versammlungen der Landesver-
treter in eine Arena der Leidenschaften und der selbstsüchtigen Tendenzen zu ver¬
wandeln, die unheilvollsten und widerwärtigsten Zank zur Folge haben und
jeden Fortschritt hemmen mußten. Und die nächsten vier Jahre sahen ein
Schauspiel, welches alle diese Befürchtungen rechtfertigte, wo nicht überbot.
Von Anfang an erhob sich gegen die ausübende Gewalt eine Opposition uner¬
träglichster Art, und die weitere Geschichte Rumäniens war fast nichts als eine
Kette von Ministerwechseln, Kammerauslösungen und Neuwahlen, die stets die¬
selben Abgeordneten, nur jedesmal feindlicher und verbissener, ergaben. Fast
alle Deputirten sind in dieser Zeit Minister gewesen, und alle parlamentarischen
Kapacitäten haben sich in dieser Stellung abgenutzt und erschöpft. Vier Jahre
lang kein Budget votirt, die Abgeordneten ihrer eignen Erklärung zufolge nur
darauf bedacht, die Kräfte der Negierung lahm zu legen, die öffentlichen Ar¬
beiten größtentheils verschoben, die Prüfung der Entwürfe zu den nothwen¬
digsten organischen Gesetzen verweigert und vertagt, stete Intriguen, der Staats¬
schatz leer, von Credit nicht die Rede, jedermann leidend, verbittert, verdrossen,
voll Neid und Haß -- das ist das treue Gemälde der Zeit von 1839 bis 1863.

Die Centralcommission, eine Art Senat, Staatsrath und Oberrechnungs¬
hof, war an sich eine gute Schöpfung. Aber wo die geeigneten Männer für
sie finden? Und wenn man sie entdeckte, weshalb erklärte man diese seltenen
und schwer Ersetzbaren nicht für lebenslänglich angestellt und unabsetzbar? Sie
nur für eine Legislaturperiode wählen, hieß die ganze Institution unwirksam
machen.

Nach diesen Betrachtungen glauben wir nicht zu weit zu gehen, wenn wir
behaupten, die Einführung des constitutionellen Systems in den Donaufürsten-
thümern war eine verfrühte Maßregel. Bevor sie stattfinden konnte, war das
Volk erst zu civilistren, waren erst die Sitten zu verbessern, die Käuflichkeit zu
verbannen, die Corruption auszurotten, das Familienleben zu reinigen, Ge¬
richte, Armee, öffentlicher Unterricht, die Geistlichkeit selbst zu reorganisiren, war
erst Achtung vor dem Gesetz zu schaffen und die durch alle Adern der Nation
verbreitete rebellische Gesinnung auszutreiben. Ein ungeheures Stück Arbeit,


auf dem Altar des Vaterlandes opfert, wie das 1789 in Frankreich geschah,
und am wenigsten konnte man dies von Halbbardaren, wie den rumänischen
Groß- und Kleinbojarm erwarten.

Die innern Streitigkeiten serner, die sich vom ersten Tage des Eintritts
der pariser Convention ins Leben erhoben, die Anstrengungen, welche persön¬
licher Ehrgeiz schon bei den Wahlen von 1858 machte, die Enttäuschung, welche
die Bewerber um die Fürstniwürde erlebten, als dann aus der Urne der Moldau
ein fast völlig unbekannter Name hervorging und bald nachher derselbe Name
in der Walachei adoptirt wurde, um nicht enden wollenden Ballotements ein
Ziel zu setzen, alles das drohte die künftigen Versammlungen der Landesver-
treter in eine Arena der Leidenschaften und der selbstsüchtigen Tendenzen zu ver¬
wandeln, die unheilvollsten und widerwärtigsten Zank zur Folge haben und
jeden Fortschritt hemmen mußten. Und die nächsten vier Jahre sahen ein
Schauspiel, welches alle diese Befürchtungen rechtfertigte, wo nicht überbot.
Von Anfang an erhob sich gegen die ausübende Gewalt eine Opposition uner¬
träglichster Art, und die weitere Geschichte Rumäniens war fast nichts als eine
Kette von Ministerwechseln, Kammerauslösungen und Neuwahlen, die stets die¬
selben Abgeordneten, nur jedesmal feindlicher und verbissener, ergaben. Fast
alle Deputirten sind in dieser Zeit Minister gewesen, und alle parlamentarischen
Kapacitäten haben sich in dieser Stellung abgenutzt und erschöpft. Vier Jahre
lang kein Budget votirt, die Abgeordneten ihrer eignen Erklärung zufolge nur
darauf bedacht, die Kräfte der Negierung lahm zu legen, die öffentlichen Ar¬
beiten größtentheils verschoben, die Prüfung der Entwürfe zu den nothwen¬
digsten organischen Gesetzen verweigert und vertagt, stete Intriguen, der Staats¬
schatz leer, von Credit nicht die Rede, jedermann leidend, verbittert, verdrossen,
voll Neid und Haß — das ist das treue Gemälde der Zeit von 1839 bis 1863.

Die Centralcommission, eine Art Senat, Staatsrath und Oberrechnungs¬
hof, war an sich eine gute Schöpfung. Aber wo die geeigneten Männer für
sie finden? Und wenn man sie entdeckte, weshalb erklärte man diese seltenen
und schwer Ersetzbaren nicht für lebenslänglich angestellt und unabsetzbar? Sie
nur für eine Legislaturperiode wählen, hieß die ganze Institution unwirksam
machen.

Nach diesen Betrachtungen glauben wir nicht zu weit zu gehen, wenn wir
behaupten, die Einführung des constitutionellen Systems in den Donaufürsten-
thümern war eine verfrühte Maßregel. Bevor sie stattfinden konnte, war das
Volk erst zu civilistren, waren erst die Sitten zu verbessern, die Käuflichkeit zu
verbannen, die Corruption auszurotten, das Familienleben zu reinigen, Ge¬
richte, Armee, öffentlicher Unterricht, die Geistlichkeit selbst zu reorganisiren, war
erst Achtung vor dem Gesetz zu schaffen und die durch alle Adern der Nation
verbreitete rebellische Gesinnung auszutreiben. Ein ungeheures Stück Arbeit,


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[0492] auf dem Altar des Vaterlandes opfert, wie das 1789 in Frankreich geschah, und am wenigsten konnte man dies von Halbbardaren, wie den rumänischen Groß- und Kleinbojarm erwarten. Die innern Streitigkeiten serner, die sich vom ersten Tage des Eintritts der pariser Convention ins Leben erhoben, die Anstrengungen, welche persön¬ licher Ehrgeiz schon bei den Wahlen von 1858 machte, die Enttäuschung, welche die Bewerber um die Fürstniwürde erlebten, als dann aus der Urne der Moldau ein fast völlig unbekannter Name hervorging und bald nachher derselbe Name in der Walachei adoptirt wurde, um nicht enden wollenden Ballotements ein Ziel zu setzen, alles das drohte die künftigen Versammlungen der Landesver- treter in eine Arena der Leidenschaften und der selbstsüchtigen Tendenzen zu ver¬ wandeln, die unheilvollsten und widerwärtigsten Zank zur Folge haben und jeden Fortschritt hemmen mußten. Und die nächsten vier Jahre sahen ein Schauspiel, welches alle diese Befürchtungen rechtfertigte, wo nicht überbot. Von Anfang an erhob sich gegen die ausübende Gewalt eine Opposition uner¬ träglichster Art, und die weitere Geschichte Rumäniens war fast nichts als eine Kette von Ministerwechseln, Kammerauslösungen und Neuwahlen, die stets die¬ selben Abgeordneten, nur jedesmal feindlicher und verbissener, ergaben. Fast alle Deputirten sind in dieser Zeit Minister gewesen, und alle parlamentarischen Kapacitäten haben sich in dieser Stellung abgenutzt und erschöpft. Vier Jahre lang kein Budget votirt, die Abgeordneten ihrer eignen Erklärung zufolge nur darauf bedacht, die Kräfte der Negierung lahm zu legen, die öffentlichen Ar¬ beiten größtentheils verschoben, die Prüfung der Entwürfe zu den nothwen¬ digsten organischen Gesetzen verweigert und vertagt, stete Intriguen, der Staats¬ schatz leer, von Credit nicht die Rede, jedermann leidend, verbittert, verdrossen, voll Neid und Haß — das ist das treue Gemälde der Zeit von 1839 bis 1863. Die Centralcommission, eine Art Senat, Staatsrath und Oberrechnungs¬ hof, war an sich eine gute Schöpfung. Aber wo die geeigneten Männer für sie finden? Und wenn man sie entdeckte, weshalb erklärte man diese seltenen und schwer Ersetzbaren nicht für lebenslänglich angestellt und unabsetzbar? Sie nur für eine Legislaturperiode wählen, hieß die ganze Institution unwirksam machen. Nach diesen Betrachtungen glauben wir nicht zu weit zu gehen, wenn wir behaupten, die Einführung des constitutionellen Systems in den Donaufürsten- thümern war eine verfrühte Maßregel. Bevor sie stattfinden konnte, war das Volk erst zu civilistren, waren erst die Sitten zu verbessern, die Käuflichkeit zu verbannen, die Corruption auszurotten, das Familienleben zu reinigen, Ge¬ richte, Armee, öffentlicher Unterricht, die Geistlichkeit selbst zu reorganisiren, war erst Achtung vor dem Gesetz zu schaffen und die durch alle Adern der Nation verbreitete rebellische Gesinnung auszutreiben. Ein ungeheures Stück Arbeit,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/492>, abgerufen am 28.07.2024.