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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Bis zu Ende des sechzehnten Jahrhunderts waren sie ein kriegerisches Volk mit
manchen von den männlichen Tugenden ihrer Väter. Im folgenden wurde der
Einfluß der Griechen aus dem Fanar für den Charakter ihres Adels bestimmend.
Während der langen Herrschaft der Hospodare, welche die Pforte dem Lande
aus diesem letzten Winkel des Byzantinerthums gab, einer Herrschaft, die das¬
selbe gründlich aussaugte und sittlich entnervte, wurden die Bojaren, indem sie
sich freiwillig oder gezwungen den fremden Despotenfamilien anschlössen und
sich mit ihnen und ihrem Gefolge von Stambul her verschwägerten, fast voll¬
ständig gräcifirt, und byzantinische Sitte und Denkart bildete fortan einen
Hauptzug in der socialen Physiognomie von Bukarest und Jafsy. Was dabei
noch national^ blieb, wurde durch die russischen Occupationen, die von 1769
bis 1864 fast ohne Unterbrechung aufeinander folgten, verändert und verdorben.
Von 1849 an endlich holten sich zahlreiche Glieder des großen und kleinen
Bojarenthums in Paris ihre Bildung und ihre Manieren, ein Einfluß, der
auch nicht sehr geeignet war, die Race zu veredeln.

Als nach dem orientalischen Kriege eine Zeit der Reformen anbrach, stand
es in Rumänien im Allgemeinen etwa folgendermaßen. Die Zustände ein von
entgegengesetzten Bestrebungen durchwühltes und bewegtes Chaos, unklar, wider¬
spruchsvoll und rathlos. Allerlei große Pläne, vor denen noch größere Hinder¬
nisse. Die Parteien vorwiegend von selbstsüchtigen, zum Theil von phantastischen
Motiven getrieben, und nur wenige ehrlich denkende und ihres Glaubens
gewisse Männer unter ihnen. Allerlei rasche Versuche ohne vorhergegangne
gründliche Prüfung. Die Finanzen in heilloser Verwirrung, Gerechtigkeitspflege,
Verwaltung. Verhältniß der verschiedenen Classen der Gesellschaft, Eigenthum,
alles mehr oder minder in Frage gestellt. Gutgemeinte Maßregeln nicht sobald
verfügt, als sie sich verflüchtigen und ausarten, weil die, welche sie ausführen
sollen, gewöhnt, vom Mißbrauch ihrer Gewalt zu leben, jedem wirklichen Fort¬
schritt feind sind, und weil andrerseits das Volk, dem die Verbesserung zu gute
kommen soll, nicht reif für sie, zu träge oder auch, von den Radicalen auf¬
gereizt, zu ungestüm und begehrlich ist. Nirgends Sicherheit des Armen und
Geringen vor der Willkür des Reichen und Vornehmen, in keiner Beziehung
Gleichheit vor dem Gesetz und dem Richter. Hauptsorge der Beamten von der
untersten bis zur höchsten Staffel, möglichst rasch möglichst viel von ihrer Stel¬
lung zu profitiren. Die Häupter der Adelsfamilien fast im alleinigen Besitz des
fruchtbaren Bodens, kein Mittelstand, das Bürgerthum nur durch Fremde, meist
Deutsche und Juden, vertreten, die unter ihren Consuln einen Staat im Staate
bilden, der Bauer beinahe überall im tiefsten Elende. Die Bojaren und vor¬
nehmen Beamten mit einer Wolke von Domestiken umgeben, die lediglich um
den Lebensunterhalt dient, zu zehnen thut, was einer verrichten könnte, und
Wie eine Sklavenhorde mit der Bastonnade in Zucht erhalten wird. Sittlichkeit,


Bis zu Ende des sechzehnten Jahrhunderts waren sie ein kriegerisches Volk mit
manchen von den männlichen Tugenden ihrer Väter. Im folgenden wurde der
Einfluß der Griechen aus dem Fanar für den Charakter ihres Adels bestimmend.
Während der langen Herrschaft der Hospodare, welche die Pforte dem Lande
aus diesem letzten Winkel des Byzantinerthums gab, einer Herrschaft, die das¬
selbe gründlich aussaugte und sittlich entnervte, wurden die Bojaren, indem sie
sich freiwillig oder gezwungen den fremden Despotenfamilien anschlössen und
sich mit ihnen und ihrem Gefolge von Stambul her verschwägerten, fast voll¬
ständig gräcifirt, und byzantinische Sitte und Denkart bildete fortan einen
Hauptzug in der socialen Physiognomie von Bukarest und Jafsy. Was dabei
noch national^ blieb, wurde durch die russischen Occupationen, die von 1769
bis 1864 fast ohne Unterbrechung aufeinander folgten, verändert und verdorben.
Von 1849 an endlich holten sich zahlreiche Glieder des großen und kleinen
Bojarenthums in Paris ihre Bildung und ihre Manieren, ein Einfluß, der
auch nicht sehr geeignet war, die Race zu veredeln.

Als nach dem orientalischen Kriege eine Zeit der Reformen anbrach, stand
es in Rumänien im Allgemeinen etwa folgendermaßen. Die Zustände ein von
entgegengesetzten Bestrebungen durchwühltes und bewegtes Chaos, unklar, wider¬
spruchsvoll und rathlos. Allerlei große Pläne, vor denen noch größere Hinder¬
nisse. Die Parteien vorwiegend von selbstsüchtigen, zum Theil von phantastischen
Motiven getrieben, und nur wenige ehrlich denkende und ihres Glaubens
gewisse Männer unter ihnen. Allerlei rasche Versuche ohne vorhergegangne
gründliche Prüfung. Die Finanzen in heilloser Verwirrung, Gerechtigkeitspflege,
Verwaltung. Verhältniß der verschiedenen Classen der Gesellschaft, Eigenthum,
alles mehr oder minder in Frage gestellt. Gutgemeinte Maßregeln nicht sobald
verfügt, als sie sich verflüchtigen und ausarten, weil die, welche sie ausführen
sollen, gewöhnt, vom Mißbrauch ihrer Gewalt zu leben, jedem wirklichen Fort¬
schritt feind sind, und weil andrerseits das Volk, dem die Verbesserung zu gute
kommen soll, nicht reif für sie, zu träge oder auch, von den Radicalen auf¬
gereizt, zu ungestüm und begehrlich ist. Nirgends Sicherheit des Armen und
Geringen vor der Willkür des Reichen und Vornehmen, in keiner Beziehung
Gleichheit vor dem Gesetz und dem Richter. Hauptsorge der Beamten von der
untersten bis zur höchsten Staffel, möglichst rasch möglichst viel von ihrer Stel¬
lung zu profitiren. Die Häupter der Adelsfamilien fast im alleinigen Besitz des
fruchtbaren Bodens, kein Mittelstand, das Bürgerthum nur durch Fremde, meist
Deutsche und Juden, vertreten, die unter ihren Consuln einen Staat im Staate
bilden, der Bauer beinahe überall im tiefsten Elende. Die Bojaren und vor¬
nehmen Beamten mit einer Wolke von Domestiken umgeben, die lediglich um
den Lebensunterhalt dient, zu zehnen thut, was einer verrichten könnte, und
Wie eine Sklavenhorde mit der Bastonnade in Zucht erhalten wird. Sittlichkeit,


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[0488] Bis zu Ende des sechzehnten Jahrhunderts waren sie ein kriegerisches Volk mit manchen von den männlichen Tugenden ihrer Väter. Im folgenden wurde der Einfluß der Griechen aus dem Fanar für den Charakter ihres Adels bestimmend. Während der langen Herrschaft der Hospodare, welche die Pforte dem Lande aus diesem letzten Winkel des Byzantinerthums gab, einer Herrschaft, die das¬ selbe gründlich aussaugte und sittlich entnervte, wurden die Bojaren, indem sie sich freiwillig oder gezwungen den fremden Despotenfamilien anschlössen und sich mit ihnen und ihrem Gefolge von Stambul her verschwägerten, fast voll¬ ständig gräcifirt, und byzantinische Sitte und Denkart bildete fortan einen Hauptzug in der socialen Physiognomie von Bukarest und Jafsy. Was dabei noch national^ blieb, wurde durch die russischen Occupationen, die von 1769 bis 1864 fast ohne Unterbrechung aufeinander folgten, verändert und verdorben. Von 1849 an endlich holten sich zahlreiche Glieder des großen und kleinen Bojarenthums in Paris ihre Bildung und ihre Manieren, ein Einfluß, der auch nicht sehr geeignet war, die Race zu veredeln. Als nach dem orientalischen Kriege eine Zeit der Reformen anbrach, stand es in Rumänien im Allgemeinen etwa folgendermaßen. Die Zustände ein von entgegengesetzten Bestrebungen durchwühltes und bewegtes Chaos, unklar, wider¬ spruchsvoll und rathlos. Allerlei große Pläne, vor denen noch größere Hinder¬ nisse. Die Parteien vorwiegend von selbstsüchtigen, zum Theil von phantastischen Motiven getrieben, und nur wenige ehrlich denkende und ihres Glaubens gewisse Männer unter ihnen. Allerlei rasche Versuche ohne vorhergegangne gründliche Prüfung. Die Finanzen in heilloser Verwirrung, Gerechtigkeitspflege, Verwaltung. Verhältniß der verschiedenen Classen der Gesellschaft, Eigenthum, alles mehr oder minder in Frage gestellt. Gutgemeinte Maßregeln nicht sobald verfügt, als sie sich verflüchtigen und ausarten, weil die, welche sie ausführen sollen, gewöhnt, vom Mißbrauch ihrer Gewalt zu leben, jedem wirklichen Fort¬ schritt feind sind, und weil andrerseits das Volk, dem die Verbesserung zu gute kommen soll, nicht reif für sie, zu träge oder auch, von den Radicalen auf¬ gereizt, zu ungestüm und begehrlich ist. Nirgends Sicherheit des Armen und Geringen vor der Willkür des Reichen und Vornehmen, in keiner Beziehung Gleichheit vor dem Gesetz und dem Richter. Hauptsorge der Beamten von der untersten bis zur höchsten Staffel, möglichst rasch möglichst viel von ihrer Stel¬ lung zu profitiren. Die Häupter der Adelsfamilien fast im alleinigen Besitz des fruchtbaren Bodens, kein Mittelstand, das Bürgerthum nur durch Fremde, meist Deutsche und Juden, vertreten, die unter ihren Consuln einen Staat im Staate bilden, der Bauer beinahe überall im tiefsten Elende. Die Bojaren und vor¬ nehmen Beamten mit einer Wolke von Domestiken umgeben, die lediglich um den Lebensunterhalt dient, zu zehnen thut, was einer verrichten könnte, und Wie eine Sklavenhorde mit der Bastonnade in Zucht erhalten wird. Sittlichkeit,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/488>, abgerufen am 28.07.2024.