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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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sein Land treffen könnte, und folgendermaßen schloß: Mylord, das oberste
Interesse meines Landes verlangt gebieterisch einen König, sei er auch aus
östreichischen Blut. Unsere Wünsche werden im Allgemeinen erfüllt sein, wenn
wir nur eine von anderen Staaten unabhängige Existenz und eine Verfassung,
d. h. eine Nationalvertretung erlangen können. Castlereagh ertheilte ihnen
folgende merkwürdige Antwort, welche diesen Staatsmann vollständig charakterisirt
und als ein Denkmal der damaligen britischen Staatsweisheit aufbewahrt zu
werden verdient: Von allen Seiten stehen Verfassungen auf. Spanien, Hol¬
land, Frankreich, Polen, Norwegen und noch andere Länder verlangen freie
Regierungsformen. Wahrhaftig, ich wünschte, sie hätten dies nicht zu bereuen.
Wenn wir Engländer so glücklich waren eine so schwierige Ordnung der Dinge
zu begründen und zu erhalten, so sind nicht alle Völker, nicht alle Jahrhunderte
gemacht, unter demselben Negierungssvstem zu gedeihen. Oestreich hat überdies
eine Regierungsform, gegen welche die Unterthanen am wenigsten das Bedürfniß
eines Schutzes haben. Ich spreche ganz offen zu Ihnen. Wenn es sich darum
handelte, Sie von einem eisernen Joche zu befreien, wie dasjenige Frankreichs
war, so leistete ich Ihnen meinen ganzen Beistand. Aber Sie haben nichts
zu fürchten von der väterlichen Regierung Oestreichs. Ich gestehe, daß ich die
innige Ueberzeugung hege, daß Ihre Interessen hinreichend geschützt sein werden,
ohne auf einer Konstitution zu bestehen, welche, wenn sie unnöthig ist, schädlich
wird. Meiner Nation liegt viel daran, daß Ihr Land glücklich sei, und ich bin
gewiß, daß Oestreich alle Anstrengung machen wird, wirksam Ihr Wohl zu
fördern. Unzweifelhaft hat es liberale Absichten. Von mir können Sie nichts
erwarten, was gegen den Willen Oestreichs wäre, wohl aber bin ich bereit,
Sie mit Oestreich in ein besseres Einvernehmen zu setzen: dies ist der beste
Rath, den ich Ihnen geben kann.

Uebrigens gaben sich die Italiener selbst damals den größten Täuschungen
in Betreff Oestreichs hin. Die Senatoren Guicciardi und Castiglioni, die im
April zu Abgeordneten ernannt worden waren, trugen mit ihrer officiellen In-
struction gleichzeitig ein vertrauliches Schreiben des Herzogs von Lodi an den
Fürsten Metternich bei sich, worin es hieß, daß in erster Linie die Wünsche der
Lombardei ganz zu den Füßen des Kaisers von Oestreich gelegt seien, da die
Rechtlichkeit seines Herzens, sein bewährtes Wohlwollen bekannt sei und man
das beste Vertrauen hege, daß er nicht eine Nation seines Schutzes berauben
werde, welche nie etwas gegen das Haus Oestreich verschuldet habe. Die Regent¬
schaft, welche nach dem Aufstand vom 20. April eingesetzt worden war, gab sich
ganz denselben phantastischen Illusionen hin; sie hatte ihren Abgeordneten gleich,
falls aufgetragen, das größte Augenmerk auf die guten Dienste des Kaisers
Franz zu legen. Aber bekannt ist die ernüchternde Antwort, welche ihnen nach
Anhörung ihrer Wünsche vom Kaiser zu Theil wurde: auch er sei Italiener,


Vrenzboten II. 1866. 57

sein Land treffen könnte, und folgendermaßen schloß: Mylord, das oberste
Interesse meines Landes verlangt gebieterisch einen König, sei er auch aus
östreichischen Blut. Unsere Wünsche werden im Allgemeinen erfüllt sein, wenn
wir nur eine von anderen Staaten unabhängige Existenz und eine Verfassung,
d. h. eine Nationalvertretung erlangen können. Castlereagh ertheilte ihnen
folgende merkwürdige Antwort, welche diesen Staatsmann vollständig charakterisirt
und als ein Denkmal der damaligen britischen Staatsweisheit aufbewahrt zu
werden verdient: Von allen Seiten stehen Verfassungen auf. Spanien, Hol¬
land, Frankreich, Polen, Norwegen und noch andere Länder verlangen freie
Regierungsformen. Wahrhaftig, ich wünschte, sie hätten dies nicht zu bereuen.
Wenn wir Engländer so glücklich waren eine so schwierige Ordnung der Dinge
zu begründen und zu erhalten, so sind nicht alle Völker, nicht alle Jahrhunderte
gemacht, unter demselben Negierungssvstem zu gedeihen. Oestreich hat überdies
eine Regierungsform, gegen welche die Unterthanen am wenigsten das Bedürfniß
eines Schutzes haben. Ich spreche ganz offen zu Ihnen. Wenn es sich darum
handelte, Sie von einem eisernen Joche zu befreien, wie dasjenige Frankreichs
war, so leistete ich Ihnen meinen ganzen Beistand. Aber Sie haben nichts
zu fürchten von der väterlichen Regierung Oestreichs. Ich gestehe, daß ich die
innige Ueberzeugung hege, daß Ihre Interessen hinreichend geschützt sein werden,
ohne auf einer Konstitution zu bestehen, welche, wenn sie unnöthig ist, schädlich
wird. Meiner Nation liegt viel daran, daß Ihr Land glücklich sei, und ich bin
gewiß, daß Oestreich alle Anstrengung machen wird, wirksam Ihr Wohl zu
fördern. Unzweifelhaft hat es liberale Absichten. Von mir können Sie nichts
erwarten, was gegen den Willen Oestreichs wäre, wohl aber bin ich bereit,
Sie mit Oestreich in ein besseres Einvernehmen zu setzen: dies ist der beste
Rath, den ich Ihnen geben kann.

Uebrigens gaben sich die Italiener selbst damals den größten Täuschungen
in Betreff Oestreichs hin. Die Senatoren Guicciardi und Castiglioni, die im
April zu Abgeordneten ernannt worden waren, trugen mit ihrer officiellen In-
struction gleichzeitig ein vertrauliches Schreiben des Herzogs von Lodi an den
Fürsten Metternich bei sich, worin es hieß, daß in erster Linie die Wünsche der
Lombardei ganz zu den Füßen des Kaisers von Oestreich gelegt seien, da die
Rechtlichkeit seines Herzens, sein bewährtes Wohlwollen bekannt sei und man
das beste Vertrauen hege, daß er nicht eine Nation seines Schutzes berauben
werde, welche nie etwas gegen das Haus Oestreich verschuldet habe. Die Regent¬
schaft, welche nach dem Aufstand vom 20. April eingesetzt worden war, gab sich
ganz denselben phantastischen Illusionen hin; sie hatte ihren Abgeordneten gleich,
falls aufgetragen, das größte Augenmerk auf die guten Dienste des Kaisers
Franz zu legen. Aber bekannt ist die ernüchternde Antwort, welche ihnen nach
Anhörung ihrer Wünsche vom Kaiser zu Theil wurde: auch er sei Italiener,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/481>, abgerufen am 28.07.2024.