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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Im gleichen Sinne, wie d'Aglio in London, ivar der Graf Joseph de
Maistre in Se. Petersburg thätig. Seit dem Jahr 1803 hatte er diesen Posten
inne, als der treueste Wächter für die Savoyische Dynastie, als der unversöhn¬
lichste Gegner Oestreichs. Wie schon seine Depeschen aus den Jahren 1803
und 1804 zeigen, war es sein Dogma, auf das er immer wieder zurückkam, daß
Oestreich der Todfeind Italiens und speciell Piemonts sei, und wie er mit Arg¬
wohn jeden Schritt Oestreichs in der Halbinsel begleitet, so gilt ihm die Tendenz
des Hauses Savoyen, sich auszudehnen und zu einem größeren italienischen Besitz
zu gelangen, als eine Sache des gesunden Menschenverstands, als ein Gebot
der Sicherheit der Halbinsel und ganz Europas. Im December 1812 schrieb
er nach Turin: Die Periode der letzten Umwälzungen hat klar bewiesen, daß
wir uns von Oestreich stets des Schlimmsten zu versehen haben. Offen und
unverändert hielt es an der Absicht fest uns zu erobern, auch geraume Zeit
nach jenen Tagen, da größere Unglücksfälle weisere Rathschläge hätten an die
Hand geben solle". Durch die Natur der Dinge wird Oestreich, so lange unsre
Stärke und Stellung in Italien nicht geändert wird, unwiderstehlich zu der
Tendenz getrieben werden, sich in die Besitzungen des Hauses Savoyen vorzu¬
schieben. Folglich ist es das einleuchtendste Interesse dieses Hauses, ein Inter¬
esse, welches es mit ganz Italien theilt, daß Oestreich in der Halbinsel nicht
eine Hand breit Boden besitze. Das Königreich Sardinien in ein großes
mächtiges italienisches Reich zu verwandeln, die östreichische Herrschaft für immer
vom italienischen Boden zu vertreiben, dem turiner Hos die Ueberzeugung bei¬
zubringen, daß für die Häuser Savoyen und Oestreich kein friedliches Neben¬
einanderbestehen in Italien möglich sei, dies waren im Jahr 1814 die Angel¬
punkte, auf welche Graf de Maistre die Politik seiner Regierung basirt wünschte.

Unter den. Rathschlägen, welche de Maistre nach Turin sandte, derselbe de
Maistre, den man so lange nur als eines der fanatischsten Häupter der katho¬
lischen Restauration kannte, ist es von Interesse, folgende in einer geheimen
Depesche vom 18. Juli 1814 ausgesprochenen Sätze zu vernehmen: Unser zag¬
haftes, neutrales, unentschiedenes, schwankendes Vorgehen ist tödtlich. Der
König mache sich zum Haupt der Italiener, er berufe in alle Civil- und Militär¬
ämter seines Hoff ohne Unterschied selbst Revolutionäre, auch wider unser
Interesse. Das ist wesentlich, das die Haupt- und Lebensfrage. Bleiben wir
unthätig und werden nur ein Hinderniß. -- dann recMvm astsrnam. Und
wenige Tage darauf schrieb er: in der Diplomatie habe ich Vorwürfe gegen
Se. Majestät aussprechen hören, weil sie die Gelegenheit zu handeln vorbeilasse.
Es thut Noth die Augen offen zu halten und auf der Wacht gegen den Feind
zu stehen. Dieser Feind heißt Bruder Vedremo. Man suche den italienischen
Nationalgeist zu gewinnen. Der östreichische Geist ist ein Ungeheuer, wir haben
ihn kennen gelernt, leider nur zu spät.


Im gleichen Sinne, wie d'Aglio in London, ivar der Graf Joseph de
Maistre in Se. Petersburg thätig. Seit dem Jahr 1803 hatte er diesen Posten
inne, als der treueste Wächter für die Savoyische Dynastie, als der unversöhn¬
lichste Gegner Oestreichs. Wie schon seine Depeschen aus den Jahren 1803
und 1804 zeigen, war es sein Dogma, auf das er immer wieder zurückkam, daß
Oestreich der Todfeind Italiens und speciell Piemonts sei, und wie er mit Arg¬
wohn jeden Schritt Oestreichs in der Halbinsel begleitet, so gilt ihm die Tendenz
des Hauses Savoyen, sich auszudehnen und zu einem größeren italienischen Besitz
zu gelangen, als eine Sache des gesunden Menschenverstands, als ein Gebot
der Sicherheit der Halbinsel und ganz Europas. Im December 1812 schrieb
er nach Turin: Die Periode der letzten Umwälzungen hat klar bewiesen, daß
wir uns von Oestreich stets des Schlimmsten zu versehen haben. Offen und
unverändert hielt es an der Absicht fest uns zu erobern, auch geraume Zeit
nach jenen Tagen, da größere Unglücksfälle weisere Rathschläge hätten an die
Hand geben solle». Durch die Natur der Dinge wird Oestreich, so lange unsre
Stärke und Stellung in Italien nicht geändert wird, unwiderstehlich zu der
Tendenz getrieben werden, sich in die Besitzungen des Hauses Savoyen vorzu¬
schieben. Folglich ist es das einleuchtendste Interesse dieses Hauses, ein Inter¬
esse, welches es mit ganz Italien theilt, daß Oestreich in der Halbinsel nicht
eine Hand breit Boden besitze. Das Königreich Sardinien in ein großes
mächtiges italienisches Reich zu verwandeln, die östreichische Herrschaft für immer
vom italienischen Boden zu vertreiben, dem turiner Hos die Ueberzeugung bei¬
zubringen, daß für die Häuser Savoyen und Oestreich kein friedliches Neben¬
einanderbestehen in Italien möglich sei, dies waren im Jahr 1814 die Angel¬
punkte, auf welche Graf de Maistre die Politik seiner Regierung basirt wünschte.

Unter den. Rathschlägen, welche de Maistre nach Turin sandte, derselbe de
Maistre, den man so lange nur als eines der fanatischsten Häupter der katho¬
lischen Restauration kannte, ist es von Interesse, folgende in einer geheimen
Depesche vom 18. Juli 1814 ausgesprochenen Sätze zu vernehmen: Unser zag¬
haftes, neutrales, unentschiedenes, schwankendes Vorgehen ist tödtlich. Der
König mache sich zum Haupt der Italiener, er berufe in alle Civil- und Militär¬
ämter seines Hoff ohne Unterschied selbst Revolutionäre, auch wider unser
Interesse. Das ist wesentlich, das die Haupt- und Lebensfrage. Bleiben wir
unthätig und werden nur ein Hinderniß. — dann recMvm astsrnam. Und
wenige Tage darauf schrieb er: in der Diplomatie habe ich Vorwürfe gegen
Se. Majestät aussprechen hören, weil sie die Gelegenheit zu handeln vorbeilasse.
Es thut Noth die Augen offen zu halten und auf der Wacht gegen den Feind
zu stehen. Dieser Feind heißt Bruder Vedremo. Man suche den italienischen
Nationalgeist zu gewinnen. Der östreichische Geist ist ein Ungeheuer, wir haben
ihn kennen gelernt, leider nur zu spät.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/479>, abgerufen am 28.07.2024.