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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Gotteswillen seiner als eines armen Professoren, auch seiner kleinen und uner¬
zognen Kinder, die dadurch nach des Vaters Tode an den Bettelstab gerathen
müßten, zu verschonen und einen gelinderen Weg zu gehen. Nun, das Wort
ist gehöret und zugleich erhöret worden. Sind ihrer mehr in der Verdammniß,
sie haben es zu genießen/'

Infolge dieses kläglichen Verhältnisses der Professoren zu den Studenten
bildete sich an manchen Universitäten neben den Adeligen, die allerlei Vorzug,
in Jngolsiadt z. B. das alleinige Recht, Federn auf den Hüten zu tragen, bean¬
spruchten, noch eine andere Aristokratie aus, die der Professorenburschen, denen
die Senate sehr auffällige Vorrechte vor den Bürgerburschen einräumten; der
armen "Kalmäuser", die sich ihren Unterhalt durch Famuliren erwarben, und
der Convictoristen. Stiftler und Communitäter gar nicht zu gedenken.

Meiners berichtet über diese Rangordnung auf der Helmstädter Universität
Folgendes: Der Professorenbursch hatte ein förmliches Recht auf den vor¬
nehmsten Platz in der Kirche, und wagte ein andrer Student sich auf einen
solchen zu setzen, so untersagte die akademische Obrigkeit solch Unterfangen bei
Strafe der Relegation. Die Professorenburschen standen ferner bei akademischen
Feierlichkeiten zunächst am Katheder, sie saßen in den Auditorien an Tischen,
während andre mit bloßen Bänken zufrieden sein mußten, sie hatten auf dem
Universitätskeller ihren besondern Tisch, ihre Disputationen wurden in Folio,
die der Uebrigen in Quart gedruckt, nur ihnen durfte der Fechtmeister Lectionen
ertheilen, bei Hochzeiten hatten sie Anspruch auf den Vortanz. Dazu maßten
sie sich andere Vorzüge an: nur ein Professorenbursch wurde als Secundant zu¬
gelassen, der Professorenbursch verlangte, daß der Convictorist vor ihm den Hut
abziehe und dankte darauf mit bloßem Nicken, er ging niemandem aus dem
Wege und machte bei keinem Studenten die Thür zu; von den Betteljungen
ließ er sich "Euer Gnaden" tituliren, wogegen der Bürgerbursch sich mit "hoch¬
geehrter" oder "wohlgeborner Herr" begnügen mußte. Der Profefsorenbursch
ließ sich von seinem Hunde in die Kirche und ins Colleg begleiten, und damit
dieselben nicht verjagt würden, gaben sie ihnen Halsbänder mit den Buchstaben
?. II. (Professoren-Purschen-Hund), welche das Thier tabu machten. Selbst
Bedienten. Waschweiber, Handwerker, die für Professorenburschen thätig waren,
hielten sich für etwas Vornehmeres als Leute gleicher Art, welche diese Ehre
nicht hatten, ja diese Abgeschmacktheit, der beiläufig das Jahr 1661 ein Ziel
setzte, ging bis zu den käuflichen Dirnen herab.

Wie die Begriffe von Pflicht, Würde und Ehre, so lagen in dieser Periode
der Ermattung und Erniedrigung des deutschen Lebens auch das Streben nach
Wissen und die Werthschätzung desselben an andern bei nicht wenigen Universitäts¬
lehrern tief im Argen. Selbst die Besten waren großentheils Pedanten der
traurigsten Art, und vielfach zog der verbannte Schlendrian des Mittelalters


Gotteswillen seiner als eines armen Professoren, auch seiner kleinen und uner¬
zognen Kinder, die dadurch nach des Vaters Tode an den Bettelstab gerathen
müßten, zu verschonen und einen gelinderen Weg zu gehen. Nun, das Wort
ist gehöret und zugleich erhöret worden. Sind ihrer mehr in der Verdammniß,
sie haben es zu genießen/'

Infolge dieses kläglichen Verhältnisses der Professoren zu den Studenten
bildete sich an manchen Universitäten neben den Adeligen, die allerlei Vorzug,
in Jngolsiadt z. B. das alleinige Recht, Federn auf den Hüten zu tragen, bean¬
spruchten, noch eine andere Aristokratie aus, die der Professorenburschen, denen
die Senate sehr auffällige Vorrechte vor den Bürgerburschen einräumten; der
armen „Kalmäuser", die sich ihren Unterhalt durch Famuliren erwarben, und
der Convictoristen. Stiftler und Communitäter gar nicht zu gedenken.

Meiners berichtet über diese Rangordnung auf der Helmstädter Universität
Folgendes: Der Professorenbursch hatte ein förmliches Recht auf den vor¬
nehmsten Platz in der Kirche, und wagte ein andrer Student sich auf einen
solchen zu setzen, so untersagte die akademische Obrigkeit solch Unterfangen bei
Strafe der Relegation. Die Professorenburschen standen ferner bei akademischen
Feierlichkeiten zunächst am Katheder, sie saßen in den Auditorien an Tischen,
während andre mit bloßen Bänken zufrieden sein mußten, sie hatten auf dem
Universitätskeller ihren besondern Tisch, ihre Disputationen wurden in Folio,
die der Uebrigen in Quart gedruckt, nur ihnen durfte der Fechtmeister Lectionen
ertheilen, bei Hochzeiten hatten sie Anspruch auf den Vortanz. Dazu maßten
sie sich andere Vorzüge an: nur ein Professorenbursch wurde als Secundant zu¬
gelassen, der Professorenbursch verlangte, daß der Convictorist vor ihm den Hut
abziehe und dankte darauf mit bloßem Nicken, er ging niemandem aus dem
Wege und machte bei keinem Studenten die Thür zu; von den Betteljungen
ließ er sich „Euer Gnaden" tituliren, wogegen der Bürgerbursch sich mit „hoch¬
geehrter" oder „wohlgeborner Herr" begnügen mußte. Der Profefsorenbursch
ließ sich von seinem Hunde in die Kirche und ins Colleg begleiten, und damit
dieselben nicht verjagt würden, gaben sie ihnen Halsbänder mit den Buchstaben
?. II. (Professoren-Purschen-Hund), welche das Thier tabu machten. Selbst
Bedienten. Waschweiber, Handwerker, die für Professorenburschen thätig waren,
hielten sich für etwas Vornehmeres als Leute gleicher Art, welche diese Ehre
nicht hatten, ja diese Abgeschmacktheit, der beiläufig das Jahr 1661 ein Ziel
setzte, ging bis zu den käuflichen Dirnen herab.

Wie die Begriffe von Pflicht, Würde und Ehre, so lagen in dieser Periode
der Ermattung und Erniedrigung des deutschen Lebens auch das Streben nach
Wissen und die Werthschätzung desselben an andern bei nicht wenigen Universitäts¬
lehrern tief im Argen. Selbst die Besten waren großentheils Pedanten der
traurigsten Art, und vielfach zog der verbannte Schlendrian des Mittelalters


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[0466] Gotteswillen seiner als eines armen Professoren, auch seiner kleinen und uner¬ zognen Kinder, die dadurch nach des Vaters Tode an den Bettelstab gerathen müßten, zu verschonen und einen gelinderen Weg zu gehen. Nun, das Wort ist gehöret und zugleich erhöret worden. Sind ihrer mehr in der Verdammniß, sie haben es zu genießen/' Infolge dieses kläglichen Verhältnisses der Professoren zu den Studenten bildete sich an manchen Universitäten neben den Adeligen, die allerlei Vorzug, in Jngolsiadt z. B. das alleinige Recht, Federn auf den Hüten zu tragen, bean¬ spruchten, noch eine andere Aristokratie aus, die der Professorenburschen, denen die Senate sehr auffällige Vorrechte vor den Bürgerburschen einräumten; der armen „Kalmäuser", die sich ihren Unterhalt durch Famuliren erwarben, und der Convictoristen. Stiftler und Communitäter gar nicht zu gedenken. Meiners berichtet über diese Rangordnung auf der Helmstädter Universität Folgendes: Der Professorenbursch hatte ein förmliches Recht auf den vor¬ nehmsten Platz in der Kirche, und wagte ein andrer Student sich auf einen solchen zu setzen, so untersagte die akademische Obrigkeit solch Unterfangen bei Strafe der Relegation. Die Professorenburschen standen ferner bei akademischen Feierlichkeiten zunächst am Katheder, sie saßen in den Auditorien an Tischen, während andre mit bloßen Bänken zufrieden sein mußten, sie hatten auf dem Universitätskeller ihren besondern Tisch, ihre Disputationen wurden in Folio, die der Uebrigen in Quart gedruckt, nur ihnen durfte der Fechtmeister Lectionen ertheilen, bei Hochzeiten hatten sie Anspruch auf den Vortanz. Dazu maßten sie sich andere Vorzüge an: nur ein Professorenbursch wurde als Secundant zu¬ gelassen, der Professorenbursch verlangte, daß der Convictorist vor ihm den Hut abziehe und dankte darauf mit bloßem Nicken, er ging niemandem aus dem Wege und machte bei keinem Studenten die Thür zu; von den Betteljungen ließ er sich „Euer Gnaden" tituliren, wogegen der Bürgerbursch sich mit „hoch¬ geehrter" oder „wohlgeborner Herr" begnügen mußte. Der Profefsorenbursch ließ sich von seinem Hunde in die Kirche und ins Colleg begleiten, und damit dieselben nicht verjagt würden, gaben sie ihnen Halsbänder mit den Buchstaben ?. II. (Professoren-Purschen-Hund), welche das Thier tabu machten. Selbst Bedienten. Waschweiber, Handwerker, die für Professorenburschen thätig waren, hielten sich für etwas Vornehmeres als Leute gleicher Art, welche diese Ehre nicht hatten, ja diese Abgeschmacktheit, der beiläufig das Jahr 1661 ein Ziel setzte, ging bis zu den käuflichen Dirnen herab. Wie die Begriffe von Pflicht, Würde und Ehre, so lagen in dieser Periode der Ermattung und Erniedrigung des deutschen Lebens auch das Streben nach Wissen und die Werthschätzung desselben an andern bei nicht wenigen Universitäts¬ lehrern tief im Argen. Selbst die Besten waren großentheils Pedanten der traurigsten Art, und vielfach zog der verbannte Schlendrian des Mittelalters

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/466>, abgerufen am 28.07.2024.