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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Ferner schreibt Moscherosch: "Als ich auf ihre Einladung näher hinzutrat,
sah ich, es saßen die Vornehmsten an einer Tafel und soffen einander zu. daß
sie die Augen verkehrten wie gestochene Kälber und geschächtete Geißen. Einer
brachte dem andern eins zu, aus einer Schüssel, aus einem Schuh." Andere
tranken in der vom vorhergehenden Capitel bereits geschilderten Weise mit ein¬
ander Brüderschaft. "So einer nicht Bescheid thun wollte, stellte sich der andre
wie ein Unsinniger oder wie ein Teufel, sprang vor Zorn in die Höhe und
raufte vor Begier, solchen Schimpf zu rächen, sich selbst die Haare aus; sie
stießen einander die Gläser ins Gesicht, mit den Degen heraus und auf die
Haut, bis hier und da einer niederfiel und liegen blieb, und diesen Streit sahe
ich auch unter den besten Freunden und selbst Blutsverwandten mit teufelischen
Wüthen und Toben geschehen."

Zu alledem kam in dieser Zeit noch ein unmäßiges Tabakrauchen, oder
wie man damals sich ausdrückte, Tabakstrinken. Meyfart erwähnt desselben
noch nicht, obwohl es unter Soldaten schon in dem zweiten Viertel des Jahr¬
hunderts stark verbreitet war, wie es denn zu den Liebhabereien des Fried-
länders gehörte.*) Später war die brennende Thonpfeife ein wesentlicher Theil
des Costüms des studentischen Renommisten, man sang in Altdorf gegen das
Ende dieses Säculums:

und früher schon "hielt man es," wie Dolch nach Happel berichtet, "auf den
Studentengelagen also, daß derjenige, welcher in einem Gelage SO Pfeifen aus¬
rauchen konnte, Magister, der 80, ein Licentiat, und welcher 100 ausdampfen
konnte, ein Doctor, aber alles von der Tobackswissenschaft zu verstehen, ge¬
nennet ward."

Wie die Studenten im Raufen und Zechen den wilden Kriegsvölkern
glichen, die damals das Land durchzogen, wie sie sich in die Tracht von Sol¬
daten kleideten, so scheinen sie an manchen Universitäten auch die Grundsätze
angenommen zu haben, welche die Kaiserlichen und die Schweden fremdem
Eigenthum gegenüber beobachteten. Namentlich hatten die Bauern von ihren
Besuchen zu leiden. Auf öffentlichem Markte sielen sie dieselben an, "promo-
virten" ihnen Obst und sonstige Waare entweder gewaltsam oder heimlich und
tractirten die, welche sich widersetzten, aufs ärgste. So nach einer jenenser Ver¬
ordnung dieser Periode die Musensöhne Saalathens. Und in einem aus Süd¬
deutschland stammenden Volksliede des siebzehnten Jahrhunderts in des "Knaben



") Vulpius Kuriositäten, V. Bd. S. 428, citirt bei Keil, Deutsche Studcntenlieoer, S. 64.

Ferner schreibt Moscherosch: „Als ich auf ihre Einladung näher hinzutrat,
sah ich, es saßen die Vornehmsten an einer Tafel und soffen einander zu. daß
sie die Augen verkehrten wie gestochene Kälber und geschächtete Geißen. Einer
brachte dem andern eins zu, aus einer Schüssel, aus einem Schuh." Andere
tranken in der vom vorhergehenden Capitel bereits geschilderten Weise mit ein¬
ander Brüderschaft. „So einer nicht Bescheid thun wollte, stellte sich der andre
wie ein Unsinniger oder wie ein Teufel, sprang vor Zorn in die Höhe und
raufte vor Begier, solchen Schimpf zu rächen, sich selbst die Haare aus; sie
stießen einander die Gläser ins Gesicht, mit den Degen heraus und auf die
Haut, bis hier und da einer niederfiel und liegen blieb, und diesen Streit sahe
ich auch unter den besten Freunden und selbst Blutsverwandten mit teufelischen
Wüthen und Toben geschehen."

Zu alledem kam in dieser Zeit noch ein unmäßiges Tabakrauchen, oder
wie man damals sich ausdrückte, Tabakstrinken. Meyfart erwähnt desselben
noch nicht, obwohl es unter Soldaten schon in dem zweiten Viertel des Jahr¬
hunderts stark verbreitet war, wie es denn zu den Liebhabereien des Fried-
länders gehörte.*) Später war die brennende Thonpfeife ein wesentlicher Theil
des Costüms des studentischen Renommisten, man sang in Altdorf gegen das
Ende dieses Säculums:

und früher schon „hielt man es," wie Dolch nach Happel berichtet, „auf den
Studentengelagen also, daß derjenige, welcher in einem Gelage SO Pfeifen aus¬
rauchen konnte, Magister, der 80, ein Licentiat, und welcher 100 ausdampfen
konnte, ein Doctor, aber alles von der Tobackswissenschaft zu verstehen, ge¬
nennet ward."

Wie die Studenten im Raufen und Zechen den wilden Kriegsvölkern
glichen, die damals das Land durchzogen, wie sie sich in die Tracht von Sol¬
daten kleideten, so scheinen sie an manchen Universitäten auch die Grundsätze
angenommen zu haben, welche die Kaiserlichen und die Schweden fremdem
Eigenthum gegenüber beobachteten. Namentlich hatten die Bauern von ihren
Besuchen zu leiden. Auf öffentlichem Markte sielen sie dieselben an, „promo-
virten" ihnen Obst und sonstige Waare entweder gewaltsam oder heimlich und
tractirten die, welche sich widersetzten, aufs ärgste. So nach einer jenenser Ver¬
ordnung dieser Periode die Musensöhne Saalathens. Und in einem aus Süd¬
deutschland stammenden Volksliede des siebzehnten Jahrhunderts in des „Knaben



") Vulpius Kuriositäten, V. Bd. S. 428, citirt bei Keil, Deutsche Studcntenlieoer, S. 64.
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[0460] Ferner schreibt Moscherosch: „Als ich auf ihre Einladung näher hinzutrat, sah ich, es saßen die Vornehmsten an einer Tafel und soffen einander zu. daß sie die Augen verkehrten wie gestochene Kälber und geschächtete Geißen. Einer brachte dem andern eins zu, aus einer Schüssel, aus einem Schuh." Andere tranken in der vom vorhergehenden Capitel bereits geschilderten Weise mit ein¬ ander Brüderschaft. „So einer nicht Bescheid thun wollte, stellte sich der andre wie ein Unsinniger oder wie ein Teufel, sprang vor Zorn in die Höhe und raufte vor Begier, solchen Schimpf zu rächen, sich selbst die Haare aus; sie stießen einander die Gläser ins Gesicht, mit den Degen heraus und auf die Haut, bis hier und da einer niederfiel und liegen blieb, und diesen Streit sahe ich auch unter den besten Freunden und selbst Blutsverwandten mit teufelischen Wüthen und Toben geschehen." Zu alledem kam in dieser Zeit noch ein unmäßiges Tabakrauchen, oder wie man damals sich ausdrückte, Tabakstrinken. Meyfart erwähnt desselben noch nicht, obwohl es unter Soldaten schon in dem zweiten Viertel des Jahr¬ hunderts stark verbreitet war, wie es denn zu den Liebhabereien des Fried- länders gehörte.*) Später war die brennende Thonpfeife ein wesentlicher Theil des Costüms des studentischen Renommisten, man sang in Altdorf gegen das Ende dieses Säculums: und früher schon „hielt man es," wie Dolch nach Happel berichtet, „auf den Studentengelagen also, daß derjenige, welcher in einem Gelage SO Pfeifen aus¬ rauchen konnte, Magister, der 80, ein Licentiat, und welcher 100 ausdampfen konnte, ein Doctor, aber alles von der Tobackswissenschaft zu verstehen, ge¬ nennet ward." Wie die Studenten im Raufen und Zechen den wilden Kriegsvölkern glichen, die damals das Land durchzogen, wie sie sich in die Tracht von Sol¬ daten kleideten, so scheinen sie an manchen Universitäten auch die Grundsätze angenommen zu haben, welche die Kaiserlichen und die Schweden fremdem Eigenthum gegenüber beobachteten. Namentlich hatten die Bauern von ihren Besuchen zu leiden. Auf öffentlichem Markte sielen sie dieselben an, „promo- virten" ihnen Obst und sonstige Waare entweder gewaltsam oder heimlich und tractirten die, welche sich widersetzten, aufs ärgste. So nach einer jenenser Ver¬ ordnung dieser Periode die Musensöhne Saalathens. Und in einem aus Süd¬ deutschland stammenden Volksliede des siebzehnten Jahrhunderts in des „Knaben ") Vulpius Kuriositäten, V. Bd. S. 428, citirt bei Keil, Deutsche Studcntenlieoer, S. 64.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/460>, abgerufen am 28.07.2024.