Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

an der Weinschenke vorbeikommen, wo er zecht, den Trompetern, ein Feldstück
zu blasen, und beträgt sich bei Hochzeiten und Gastmählern in Gegenwart von
Professoren und andern vornehmen Leuten mit wüstem Trinken und Gebrüll
von Zvtenliedern so unanständig wie möglich. "Bei ihren Hauswirthen und
Tischgebern binden sie mächtige Bären an und können solche nimmermehr lösen."
Müssen sie über ihre Ausgaben den Eltern oder Gönnern Rechnung ablegen,
so schreiben sie lügenhafte Briefe. Zuerst verzeichnen sie dann das Tischgeld,
aber mit starken Zusätzen. Dann folgt, jedoch nur zum kleinsten Theil, was
sie daneben verpraßt haben. Dahinter "stellen sie die verlogensten Sachen. Am
neuen Jahr hat unseres Tischwirths Eheweib, welche über alle Maßen gutthätig,
zum Gratulationsgeschenke ein ungarischer Dukaten, jedem Kinde, derer fünf
sind, sieben Groschen, auch der Magd ein Ortsthaler verehrt werden müssen.
Ebenso viel hat an jedem Jahrmarkte, derer allhier zwei sind, spendiret werden
müssen. Bei dem steten Nachtsitzen habe ich mir ein Fieber an den Hals studiret
und durch ganze sechs Wochen zu Bett gelegen. Acht Thaler sind deswegen
dem Apotheker, vier dem Doctor, drei dem Barbierer und ein Sechstheil von
dem Thaler dem Jungen zu zahlen, der die Arznei gebracht und angewendet.
Absonderliche Lectionen habe ich etliche Mal mit großem Nutzen gehöret und
darum demjenigen, welcher solche gelesen und seine Kunst theuer geschätzet, sechs
Gulden geboten, die er Anfangs zu nehmen sich geweigert und ein Mehres ge¬
fordert. Ich habe die schönsten und besten Bücher gekaufet, ohne welche ich
ebenso wenig fortkommen kann als ohne Federn fliegen. Dem Buchhändler bin
ich schuldig zwölf Dukaten und müssen solche nächstens bezahlt werden. Ich
hatte zwar Kleider so hin, aber neulich ist mir der Junge entlaufen, der hat
mir beides, den Mantel gestohlen, den Hut genommen, auch den Beutel mit
dem Gelde, so noch übrig war, davon getragen" u. d. in.

Wo der flotte Bursch unsres Redners in Familien kommt, tritt er als
junger Herr auf, "der Lust habe, sich zu beweiben. Er nennet sich den einzigen
Sohn, habe sehr reiche Eltern, aus welchen er Unschlitt kochen könne. Wofern
ihm die Werbung gelinge, wolle er die Braut schnurstracks auf die glückseligsten
Inseln führen. Von den Bekannten entlehnet er Geld, von den Krämern
Waare, mit solchen verlocket und verleckert er die armen Mägdlein, welche, was
sie wollen, am liebsten glauben und bisweilen mehr denn sichs gebühret, sich
willfährig erzeigen. Bald darauf, wenn er von der Lust satt worden, erdichtet
er Ursach zu zürnen und verwendet seine Liebe zu Andern."

Die im vorigen Abschnitt geschilderte Sitte des Brüderschafttrinken ist unter
den Studenten Magister Heyders sehr beliebt. Es wird dabei "aus vierschrö¬
tiger Geschirren geschöpfet und der hochheilige Bund so festgelöthet, daß man
meinen sollte, er könne nimmermehr zertrennt werden. Es ist aber oft kaum
ein halbes Stündlein verflossen, siehe, wo sich die geringste Gelegenheit zum


an der Weinschenke vorbeikommen, wo er zecht, den Trompetern, ein Feldstück
zu blasen, und beträgt sich bei Hochzeiten und Gastmählern in Gegenwart von
Professoren und andern vornehmen Leuten mit wüstem Trinken und Gebrüll
von Zvtenliedern so unanständig wie möglich. „Bei ihren Hauswirthen und
Tischgebern binden sie mächtige Bären an und können solche nimmermehr lösen."
Müssen sie über ihre Ausgaben den Eltern oder Gönnern Rechnung ablegen,
so schreiben sie lügenhafte Briefe. Zuerst verzeichnen sie dann das Tischgeld,
aber mit starken Zusätzen. Dann folgt, jedoch nur zum kleinsten Theil, was
sie daneben verpraßt haben. Dahinter „stellen sie die verlogensten Sachen. Am
neuen Jahr hat unseres Tischwirths Eheweib, welche über alle Maßen gutthätig,
zum Gratulationsgeschenke ein ungarischer Dukaten, jedem Kinde, derer fünf
sind, sieben Groschen, auch der Magd ein Ortsthaler verehrt werden müssen.
Ebenso viel hat an jedem Jahrmarkte, derer allhier zwei sind, spendiret werden
müssen. Bei dem steten Nachtsitzen habe ich mir ein Fieber an den Hals studiret
und durch ganze sechs Wochen zu Bett gelegen. Acht Thaler sind deswegen
dem Apotheker, vier dem Doctor, drei dem Barbierer und ein Sechstheil von
dem Thaler dem Jungen zu zahlen, der die Arznei gebracht und angewendet.
Absonderliche Lectionen habe ich etliche Mal mit großem Nutzen gehöret und
darum demjenigen, welcher solche gelesen und seine Kunst theuer geschätzet, sechs
Gulden geboten, die er Anfangs zu nehmen sich geweigert und ein Mehres ge¬
fordert. Ich habe die schönsten und besten Bücher gekaufet, ohne welche ich
ebenso wenig fortkommen kann als ohne Federn fliegen. Dem Buchhändler bin
ich schuldig zwölf Dukaten und müssen solche nächstens bezahlt werden. Ich
hatte zwar Kleider so hin, aber neulich ist mir der Junge entlaufen, der hat
mir beides, den Mantel gestohlen, den Hut genommen, auch den Beutel mit
dem Gelde, so noch übrig war, davon getragen" u. d. in.

Wo der flotte Bursch unsres Redners in Familien kommt, tritt er als
junger Herr auf, „der Lust habe, sich zu beweiben. Er nennet sich den einzigen
Sohn, habe sehr reiche Eltern, aus welchen er Unschlitt kochen könne. Wofern
ihm die Werbung gelinge, wolle er die Braut schnurstracks auf die glückseligsten
Inseln führen. Von den Bekannten entlehnet er Geld, von den Krämern
Waare, mit solchen verlocket und verleckert er die armen Mägdlein, welche, was
sie wollen, am liebsten glauben und bisweilen mehr denn sichs gebühret, sich
willfährig erzeigen. Bald darauf, wenn er von der Lust satt worden, erdichtet
er Ursach zu zürnen und verwendet seine Liebe zu Andern."

Die im vorigen Abschnitt geschilderte Sitte des Brüderschafttrinken ist unter
den Studenten Magister Heyders sehr beliebt. Es wird dabei „aus vierschrö¬
tiger Geschirren geschöpfet und der hochheilige Bund so festgelöthet, daß man
meinen sollte, er könne nimmermehr zertrennt werden. Es ist aber oft kaum
ein halbes Stündlein verflossen, siehe, wo sich die geringste Gelegenheit zum


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0452" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285480"/>
          <p xml:id="ID_1362" prev="#ID_1361"> an der Weinschenke vorbeikommen, wo er zecht, den Trompetern, ein Feldstück<lb/>
zu blasen, und beträgt sich bei Hochzeiten und Gastmählern in Gegenwart von<lb/>
Professoren und andern vornehmen Leuten mit wüstem Trinken und Gebrüll<lb/>
von Zvtenliedern so unanständig wie möglich. &#x201E;Bei ihren Hauswirthen und<lb/>
Tischgebern binden sie mächtige Bären an und können solche nimmermehr lösen."<lb/>
Müssen sie über ihre Ausgaben den Eltern oder Gönnern Rechnung ablegen,<lb/>
so schreiben sie lügenhafte Briefe. Zuerst verzeichnen sie dann das Tischgeld,<lb/>
aber mit starken Zusätzen. Dann folgt, jedoch nur zum kleinsten Theil, was<lb/>
sie daneben verpraßt haben. Dahinter &#x201E;stellen sie die verlogensten Sachen. Am<lb/>
neuen Jahr hat unseres Tischwirths Eheweib, welche über alle Maßen gutthätig,<lb/>
zum Gratulationsgeschenke ein ungarischer Dukaten, jedem Kinde, derer fünf<lb/>
sind, sieben Groschen, auch der Magd ein Ortsthaler verehrt werden müssen.<lb/>
Ebenso viel hat an jedem Jahrmarkte, derer allhier zwei sind, spendiret werden<lb/>
müssen. Bei dem steten Nachtsitzen habe ich mir ein Fieber an den Hals studiret<lb/>
und durch ganze sechs Wochen zu Bett gelegen. Acht Thaler sind deswegen<lb/>
dem Apotheker, vier dem Doctor, drei dem Barbierer und ein Sechstheil von<lb/>
dem Thaler dem Jungen zu zahlen, der die Arznei gebracht und angewendet.<lb/>
Absonderliche Lectionen habe ich etliche Mal mit großem Nutzen gehöret und<lb/>
darum demjenigen, welcher solche gelesen und seine Kunst theuer geschätzet, sechs<lb/>
Gulden geboten, die er Anfangs zu nehmen sich geweigert und ein Mehres ge¬<lb/>
fordert. Ich habe die schönsten und besten Bücher gekaufet, ohne welche ich<lb/>
ebenso wenig fortkommen kann als ohne Federn fliegen. Dem Buchhändler bin<lb/>
ich schuldig zwölf Dukaten und müssen solche nächstens bezahlt werden. Ich<lb/>
hatte zwar Kleider so hin, aber neulich ist mir der Junge entlaufen, der hat<lb/>
mir beides, den Mantel gestohlen, den Hut genommen, auch den Beutel mit<lb/>
dem Gelde, so noch übrig war, davon getragen" u. d. in.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1363"> Wo der flotte Bursch unsres Redners in Familien kommt, tritt er als<lb/>
junger Herr auf, &#x201E;der Lust habe, sich zu beweiben. Er nennet sich den einzigen<lb/>
Sohn, habe sehr reiche Eltern, aus welchen er Unschlitt kochen könne. Wofern<lb/>
ihm die Werbung gelinge, wolle er die Braut schnurstracks auf die glückseligsten<lb/>
Inseln führen. Von den Bekannten entlehnet er Geld, von den Krämern<lb/>
Waare, mit solchen verlocket und verleckert er die armen Mägdlein, welche, was<lb/>
sie wollen, am liebsten glauben und bisweilen mehr denn sichs gebühret, sich<lb/>
willfährig erzeigen. Bald darauf, wenn er von der Lust satt worden, erdichtet<lb/>
er Ursach zu zürnen und verwendet seine Liebe zu Andern."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1364" next="#ID_1365"> Die im vorigen Abschnitt geschilderte Sitte des Brüderschafttrinken ist unter<lb/>
den Studenten Magister Heyders sehr beliebt. Es wird dabei &#x201E;aus vierschrö¬<lb/>
tiger Geschirren geschöpfet und der hochheilige Bund so festgelöthet, daß man<lb/>
meinen sollte, er könne nimmermehr zertrennt werden. Es ist aber oft kaum<lb/>
ein halbes Stündlein verflossen, siehe, wo sich die geringste Gelegenheit zum</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0452] an der Weinschenke vorbeikommen, wo er zecht, den Trompetern, ein Feldstück zu blasen, und beträgt sich bei Hochzeiten und Gastmählern in Gegenwart von Professoren und andern vornehmen Leuten mit wüstem Trinken und Gebrüll von Zvtenliedern so unanständig wie möglich. „Bei ihren Hauswirthen und Tischgebern binden sie mächtige Bären an und können solche nimmermehr lösen." Müssen sie über ihre Ausgaben den Eltern oder Gönnern Rechnung ablegen, so schreiben sie lügenhafte Briefe. Zuerst verzeichnen sie dann das Tischgeld, aber mit starken Zusätzen. Dann folgt, jedoch nur zum kleinsten Theil, was sie daneben verpraßt haben. Dahinter „stellen sie die verlogensten Sachen. Am neuen Jahr hat unseres Tischwirths Eheweib, welche über alle Maßen gutthätig, zum Gratulationsgeschenke ein ungarischer Dukaten, jedem Kinde, derer fünf sind, sieben Groschen, auch der Magd ein Ortsthaler verehrt werden müssen. Ebenso viel hat an jedem Jahrmarkte, derer allhier zwei sind, spendiret werden müssen. Bei dem steten Nachtsitzen habe ich mir ein Fieber an den Hals studiret und durch ganze sechs Wochen zu Bett gelegen. Acht Thaler sind deswegen dem Apotheker, vier dem Doctor, drei dem Barbierer und ein Sechstheil von dem Thaler dem Jungen zu zahlen, der die Arznei gebracht und angewendet. Absonderliche Lectionen habe ich etliche Mal mit großem Nutzen gehöret und darum demjenigen, welcher solche gelesen und seine Kunst theuer geschätzet, sechs Gulden geboten, die er Anfangs zu nehmen sich geweigert und ein Mehres ge¬ fordert. Ich habe die schönsten und besten Bücher gekaufet, ohne welche ich ebenso wenig fortkommen kann als ohne Federn fliegen. Dem Buchhändler bin ich schuldig zwölf Dukaten und müssen solche nächstens bezahlt werden. Ich hatte zwar Kleider so hin, aber neulich ist mir der Junge entlaufen, der hat mir beides, den Mantel gestohlen, den Hut genommen, auch den Beutel mit dem Gelde, so noch übrig war, davon getragen" u. d. in. Wo der flotte Bursch unsres Redners in Familien kommt, tritt er als junger Herr auf, „der Lust habe, sich zu beweiben. Er nennet sich den einzigen Sohn, habe sehr reiche Eltern, aus welchen er Unschlitt kochen könne. Wofern ihm die Werbung gelinge, wolle er die Braut schnurstracks auf die glückseligsten Inseln führen. Von den Bekannten entlehnet er Geld, von den Krämern Waare, mit solchen verlocket und verleckert er die armen Mägdlein, welche, was sie wollen, am liebsten glauben und bisweilen mehr denn sichs gebühret, sich willfährig erzeigen. Bald darauf, wenn er von der Lust satt worden, erdichtet er Ursach zu zürnen und verwendet seine Liebe zu Andern." Die im vorigen Abschnitt geschilderte Sitte des Brüderschafttrinken ist unter den Studenten Magister Heyders sehr beliebt. Es wird dabei „aus vierschrö¬ tiger Geschirren geschöpfet und der hochheilige Bund so festgelöthet, daß man meinen sollte, er könne nimmermehr zertrennt werden. Es ist aber oft kaum ein halbes Stündlein verflossen, siehe, wo sich die geringste Gelegenheit zum

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/452
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/452>, abgerufen am 28.07.2024.