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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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um einige Grade zurückgesetzt. Die Freimaurerei wurde mit harten Gefäng¬
nißstrafen belegt, -- von den Carbonari war damals in Piemont noch nicht
die Rede -- was irgend verdächtig war von der Universität Turin Vertrieben,
das ganze Unterrichtswesen in die Hände der Jesuiten gelegt.*) Ganz konnte
freilich das System des sechzehnjähriger "Traums" nicht so durchgeführt werden,
wie die Hofleute es theoretisch ausgedacht hatten. Auch sprach man bald von
einer doppelten Strömung in den höchsten Kreisen, einer nationalgesinnten,
reformgeneigten und einer jesuitisch-östreichischen, welche auf die Königin, Erz,
Herzogin Maria Theresa, zurückgeführt wurde. Manche zeitgemäße Aenderung
war wirklich unvermeidlich. Trotz des Widerstands Victor Emanuels mußten
zunächst in den Finanzen, dann im Heerwesen einige Reformen Vorgenommen
werden, und als der gebildete Graf Prospero Balbo Minister wurde, war sogar
Von einer durchgreifenden Reform der Gesetzgebung die Rede, wozu bereits eine
Commission niedergesetzt wurde. Allein es blieb bei dem Project, man kam
nicht über ein schwächliches Schaukelsystem hinaus, die Widerstandsmächte er¬
wiesen sich bei jedem Anlauf als die stärkeren. Im Ganzen trug das Regiment
in Piemont den Charakter eines patriarchalischen Absolutismus mit besonderer
Bevorzugung der Adels- und Priesterkasten. Piemontesen wie Cesare Balbo
und Massimo d'Azeglio sind es selbst geständig, nicht blos daß Victor Emanuel
schlimmer restaurirte als alle anderen mit den Vorurtheilen von Emigranten
zurückgekehrten Fürsten, sondern daß Piemont bis in die vierziger Jahre wesent¬
lich den Charakter einer Feudalmonarchie bewahrte.

Dies also war der Staat, dem die Geschichte die Führung Italiens gegen
die östreichische Fremdherrschaft anvertraut hatte, und der selbst das Bewußtsein
dieses Berufs in sich trug! Er sollte den Italienern als Kern- und Stützpunkt
dienen, und er mußte doch eine Bevölkerung zurückstoßen, die in der franzö¬
sischen Zeit nicht blos ihrer nationalen Zusammengehörigkeit inne wurde, son"
dern auch in Freiheitsidealen zu schwelgen gelernt hatte, ja in welcher die libe¬
ralen Tendenzen zur Zeit unverkennbar noch lebendiger waren als die natio¬
nalen. Dieser Staat, so schien es, machte sich durch seinen Widerstand gegen
die Forderungen der Zeit zum Helfershelfer der östreichischen Interessen, mit
denen er sich doch tödtlich verfeindet wußte, und vergebens hörte er auch in der
Zeit seiner völligen Abhängigkeit von Oestreich nicht auf, an den Ketten zu
rütteln, in die er sich selber geschlagen. Seine auswärtige Diplomatie war das
Widerspiel seiner inneren Politik. Jene groß, hochstrebend, national, der Zu¬
kunft zugewandt, diese kleinlich, kurzsichtig, nach den Zuständen eines ver-
gangenen Zeitalters zurückgreifend; jene zeigte die Ziele des Staats, diese
durchkreuzte sie und brachte sie um ihre Erfolge, warf den Staat in dieselbe



*) Das Nähere s, bei LroKsrio, Storii" 6si ?ismonto, I, S, 14, 28 ff.

um einige Grade zurückgesetzt. Die Freimaurerei wurde mit harten Gefäng¬
nißstrafen belegt, — von den Carbonari war damals in Piemont noch nicht
die Rede — was irgend verdächtig war von der Universität Turin Vertrieben,
das ganze Unterrichtswesen in die Hände der Jesuiten gelegt.*) Ganz konnte
freilich das System des sechzehnjähriger „Traums" nicht so durchgeführt werden,
wie die Hofleute es theoretisch ausgedacht hatten. Auch sprach man bald von
einer doppelten Strömung in den höchsten Kreisen, einer nationalgesinnten,
reformgeneigten und einer jesuitisch-östreichischen, welche auf die Königin, Erz,
Herzogin Maria Theresa, zurückgeführt wurde. Manche zeitgemäße Aenderung
war wirklich unvermeidlich. Trotz des Widerstands Victor Emanuels mußten
zunächst in den Finanzen, dann im Heerwesen einige Reformen Vorgenommen
werden, und als der gebildete Graf Prospero Balbo Minister wurde, war sogar
Von einer durchgreifenden Reform der Gesetzgebung die Rede, wozu bereits eine
Commission niedergesetzt wurde. Allein es blieb bei dem Project, man kam
nicht über ein schwächliches Schaukelsystem hinaus, die Widerstandsmächte er¬
wiesen sich bei jedem Anlauf als die stärkeren. Im Ganzen trug das Regiment
in Piemont den Charakter eines patriarchalischen Absolutismus mit besonderer
Bevorzugung der Adels- und Priesterkasten. Piemontesen wie Cesare Balbo
und Massimo d'Azeglio sind es selbst geständig, nicht blos daß Victor Emanuel
schlimmer restaurirte als alle anderen mit den Vorurtheilen von Emigranten
zurückgekehrten Fürsten, sondern daß Piemont bis in die vierziger Jahre wesent¬
lich den Charakter einer Feudalmonarchie bewahrte.

Dies also war der Staat, dem die Geschichte die Führung Italiens gegen
die östreichische Fremdherrschaft anvertraut hatte, und der selbst das Bewußtsein
dieses Berufs in sich trug! Er sollte den Italienern als Kern- und Stützpunkt
dienen, und er mußte doch eine Bevölkerung zurückstoßen, die in der franzö¬
sischen Zeit nicht blos ihrer nationalen Zusammengehörigkeit inne wurde, son«
dern auch in Freiheitsidealen zu schwelgen gelernt hatte, ja in welcher die libe¬
ralen Tendenzen zur Zeit unverkennbar noch lebendiger waren als die natio¬
nalen. Dieser Staat, so schien es, machte sich durch seinen Widerstand gegen
die Forderungen der Zeit zum Helfershelfer der östreichischen Interessen, mit
denen er sich doch tödtlich verfeindet wußte, und vergebens hörte er auch in der
Zeit seiner völligen Abhängigkeit von Oestreich nicht auf, an den Ketten zu
rütteln, in die er sich selber geschlagen. Seine auswärtige Diplomatie war das
Widerspiel seiner inneren Politik. Jene groß, hochstrebend, national, der Zu¬
kunft zugewandt, diese kleinlich, kurzsichtig, nach den Zuständen eines ver-
gangenen Zeitalters zurückgreifend; jene zeigte die Ziele des Staats, diese
durchkreuzte sie und brachte sie um ihre Erfolge, warf den Staat in dieselbe



*) Das Nähere s, bei LroKsrio, Storii» 6si ?ismonto, I, S, 14, 28 ff.
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[0445] um einige Grade zurückgesetzt. Die Freimaurerei wurde mit harten Gefäng¬ nißstrafen belegt, — von den Carbonari war damals in Piemont noch nicht die Rede — was irgend verdächtig war von der Universität Turin Vertrieben, das ganze Unterrichtswesen in die Hände der Jesuiten gelegt.*) Ganz konnte freilich das System des sechzehnjähriger „Traums" nicht so durchgeführt werden, wie die Hofleute es theoretisch ausgedacht hatten. Auch sprach man bald von einer doppelten Strömung in den höchsten Kreisen, einer nationalgesinnten, reformgeneigten und einer jesuitisch-östreichischen, welche auf die Königin, Erz, Herzogin Maria Theresa, zurückgeführt wurde. Manche zeitgemäße Aenderung war wirklich unvermeidlich. Trotz des Widerstands Victor Emanuels mußten zunächst in den Finanzen, dann im Heerwesen einige Reformen Vorgenommen werden, und als der gebildete Graf Prospero Balbo Minister wurde, war sogar Von einer durchgreifenden Reform der Gesetzgebung die Rede, wozu bereits eine Commission niedergesetzt wurde. Allein es blieb bei dem Project, man kam nicht über ein schwächliches Schaukelsystem hinaus, die Widerstandsmächte er¬ wiesen sich bei jedem Anlauf als die stärkeren. Im Ganzen trug das Regiment in Piemont den Charakter eines patriarchalischen Absolutismus mit besonderer Bevorzugung der Adels- und Priesterkasten. Piemontesen wie Cesare Balbo und Massimo d'Azeglio sind es selbst geständig, nicht blos daß Victor Emanuel schlimmer restaurirte als alle anderen mit den Vorurtheilen von Emigranten zurückgekehrten Fürsten, sondern daß Piemont bis in die vierziger Jahre wesent¬ lich den Charakter einer Feudalmonarchie bewahrte. Dies also war der Staat, dem die Geschichte die Führung Italiens gegen die östreichische Fremdherrschaft anvertraut hatte, und der selbst das Bewußtsein dieses Berufs in sich trug! Er sollte den Italienern als Kern- und Stützpunkt dienen, und er mußte doch eine Bevölkerung zurückstoßen, die in der franzö¬ sischen Zeit nicht blos ihrer nationalen Zusammengehörigkeit inne wurde, son« dern auch in Freiheitsidealen zu schwelgen gelernt hatte, ja in welcher die libe¬ ralen Tendenzen zur Zeit unverkennbar noch lebendiger waren als die natio¬ nalen. Dieser Staat, so schien es, machte sich durch seinen Widerstand gegen die Forderungen der Zeit zum Helfershelfer der östreichischen Interessen, mit denen er sich doch tödtlich verfeindet wußte, und vergebens hörte er auch in der Zeit seiner völligen Abhängigkeit von Oestreich nicht auf, an den Ketten zu rütteln, in die er sich selber geschlagen. Seine auswärtige Diplomatie war das Widerspiel seiner inneren Politik. Jene groß, hochstrebend, national, der Zu¬ kunft zugewandt, diese kleinlich, kurzsichtig, nach den Zuständen eines ver- gangenen Zeitalters zurückgreifend; jene zeigte die Ziele des Staats, diese durchkreuzte sie und brachte sie um ihre Erfolge, warf den Staat in dieselbe *) Das Nähere s, bei LroKsrio, Storii» 6si ?ismonto, I, S, 14, 28 ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/445>, abgerufen am 28.07.2024.