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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Civilisation, welche nicht auf dem Municipium. sondern auf der Nation beruhen.
Es handelte sich nicht um Gleichheit, sondern um Privilegien, um Schutz, nicht
um Freiheit. Die Fürsten waren mehr oder weniger gute Vormünder, die
Völker mehr oder weniger gelehrige Mündel. Der Staat war ein Municipium,
es existirte keine Nation, es gab keine Bürger. Ueberall herrschte die Censur,
alles stand im Belieben der Fürsten. Auch die kirchliche Aufklärung geschah
im Sinn der Allmacht des Staats, nicht in dem der Freiheit. Allerorten
herrschte kleiner Haß, kleiner Neid, kleine Eisersucht zwischen Staaten, Städten,
Höfen -- alles kleinlich."

Ganz anders die Wirkungen der napoleonischen Zeit. Nicht blos war das
gerichtliche Verfahren und die Verwaltung gebessert, die letzten Reste des
Feudalwesens beseitigt, die Privilegien von Adel und Geistlichkeit abgeschafft,
der Unterricht gehoben, das Wissen verbreitet, Straßen gebaut, der öffentliche
Reichthum durch die erstehende Industrie vermehrt, die Thätigkeit auf allen
Gebieten geweckt, sondern es war durch die Kriege wesentlich auch die militärische
Tüchtigkeit gehoben, unter dem Gesichtspunkt der Unabhängigkeit die Hauptsache.
Das Blut, das so reichlich vergossen worden, schwächte Italien nicht, sondern
kräftigte es, weil es die Italiener aus ihrer schlaffen Weichlichkeit herausriß und
in ihnen die Begierde erweckte, ihr Blut für das Gut der eigenen Freiheit zu ver¬
spritzen. Dazu hatte das Königreich Italien, obwohl nur einen Theil der Halb¬
insel umfassend, doch eine für die Einheit vorbereitende Bedeutung. Es umfaßte
doch verschiedene Provinzen, die bisher als eigene Staaten gegen einander ab¬
gesperrt waren, und die Gleichheit der Gesetze und Einrichtungen, die sich aus
alle italienischen Staaten erstreckte, erzog sie zu einem gemeinsamen nationalen
Leben. Auch war bei dem Falle Napoleons nicht alles verloren. Es blieb in
den Resten der italienischen Heere die Erinnerung an ehrenvolle Thaten, der
Ehrgeiz nach neuem Ruhm, die Unerträglichkeit eines verhaßten Friedens. Es
blieb in den Völkern der Sporn der Thätigkeit, die Lust nach dem Neuen; es
begann Italien den Schmerz der Sklaverei zu fühlen, das Bedürfniß der Einigung,
die Sehnsucht nach Unabhängigkeit.

Welche Bedeutung insbesondere das "Königreich Italien" für die italienische
Nationalität hatte', ist vortrefflich ausgeführt in einer Denkschrift, welche der
sardinische Gesandte zu Se. Petersburg, Gras Coeli-Brusasco im März 1817
dem russischen Hof übergab. Während in den mit Frankreich vereinigten Theilen
Italiens die heimische Sprache verpönt war, französische Beamte das Land
überschwemmten, die Rekruten die Cadres der französischen Regimenter füllen
mußten, gestand Napoleon gleichzeitig im Königreich Italien ein ganz anderes
Regime zu. Die Sprache wurde erhalten, durch eine nationale Armee mili¬
tärischer Geist geschaffen, alle Stellen bis auf den Vicekönig Einheimischen ge¬
geben. Ausgezeichnete Männer standen an der Spitze der Verwaltung, leiteten


Civilisation, welche nicht auf dem Municipium. sondern auf der Nation beruhen.
Es handelte sich nicht um Gleichheit, sondern um Privilegien, um Schutz, nicht
um Freiheit. Die Fürsten waren mehr oder weniger gute Vormünder, die
Völker mehr oder weniger gelehrige Mündel. Der Staat war ein Municipium,
es existirte keine Nation, es gab keine Bürger. Ueberall herrschte die Censur,
alles stand im Belieben der Fürsten. Auch die kirchliche Aufklärung geschah
im Sinn der Allmacht des Staats, nicht in dem der Freiheit. Allerorten
herrschte kleiner Haß, kleiner Neid, kleine Eisersucht zwischen Staaten, Städten,
Höfen — alles kleinlich."

Ganz anders die Wirkungen der napoleonischen Zeit. Nicht blos war das
gerichtliche Verfahren und die Verwaltung gebessert, die letzten Reste des
Feudalwesens beseitigt, die Privilegien von Adel und Geistlichkeit abgeschafft,
der Unterricht gehoben, das Wissen verbreitet, Straßen gebaut, der öffentliche
Reichthum durch die erstehende Industrie vermehrt, die Thätigkeit auf allen
Gebieten geweckt, sondern es war durch die Kriege wesentlich auch die militärische
Tüchtigkeit gehoben, unter dem Gesichtspunkt der Unabhängigkeit die Hauptsache.
Das Blut, das so reichlich vergossen worden, schwächte Italien nicht, sondern
kräftigte es, weil es die Italiener aus ihrer schlaffen Weichlichkeit herausriß und
in ihnen die Begierde erweckte, ihr Blut für das Gut der eigenen Freiheit zu ver¬
spritzen. Dazu hatte das Königreich Italien, obwohl nur einen Theil der Halb¬
insel umfassend, doch eine für die Einheit vorbereitende Bedeutung. Es umfaßte
doch verschiedene Provinzen, die bisher als eigene Staaten gegen einander ab¬
gesperrt waren, und die Gleichheit der Gesetze und Einrichtungen, die sich aus
alle italienischen Staaten erstreckte, erzog sie zu einem gemeinsamen nationalen
Leben. Auch war bei dem Falle Napoleons nicht alles verloren. Es blieb in
den Resten der italienischen Heere die Erinnerung an ehrenvolle Thaten, der
Ehrgeiz nach neuem Ruhm, die Unerträglichkeit eines verhaßten Friedens. Es
blieb in den Völkern der Sporn der Thätigkeit, die Lust nach dem Neuen; es
begann Italien den Schmerz der Sklaverei zu fühlen, das Bedürfniß der Einigung,
die Sehnsucht nach Unabhängigkeit.

Welche Bedeutung insbesondere das „Königreich Italien" für die italienische
Nationalität hatte', ist vortrefflich ausgeführt in einer Denkschrift, welche der
sardinische Gesandte zu Se. Petersburg, Gras Coeli-Brusasco im März 1817
dem russischen Hof übergab. Während in den mit Frankreich vereinigten Theilen
Italiens die heimische Sprache verpönt war, französische Beamte das Land
überschwemmten, die Rekruten die Cadres der französischen Regimenter füllen
mußten, gestand Napoleon gleichzeitig im Königreich Italien ein ganz anderes
Regime zu. Die Sprache wurde erhalten, durch eine nationale Armee mili¬
tärischer Geist geschaffen, alle Stellen bis auf den Vicekönig Einheimischen ge¬
geben. Ausgezeichnete Männer standen an der Spitze der Verwaltung, leiteten


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[0440] Civilisation, welche nicht auf dem Municipium. sondern auf der Nation beruhen. Es handelte sich nicht um Gleichheit, sondern um Privilegien, um Schutz, nicht um Freiheit. Die Fürsten waren mehr oder weniger gute Vormünder, die Völker mehr oder weniger gelehrige Mündel. Der Staat war ein Municipium, es existirte keine Nation, es gab keine Bürger. Ueberall herrschte die Censur, alles stand im Belieben der Fürsten. Auch die kirchliche Aufklärung geschah im Sinn der Allmacht des Staats, nicht in dem der Freiheit. Allerorten herrschte kleiner Haß, kleiner Neid, kleine Eisersucht zwischen Staaten, Städten, Höfen — alles kleinlich." Ganz anders die Wirkungen der napoleonischen Zeit. Nicht blos war das gerichtliche Verfahren und die Verwaltung gebessert, die letzten Reste des Feudalwesens beseitigt, die Privilegien von Adel und Geistlichkeit abgeschafft, der Unterricht gehoben, das Wissen verbreitet, Straßen gebaut, der öffentliche Reichthum durch die erstehende Industrie vermehrt, die Thätigkeit auf allen Gebieten geweckt, sondern es war durch die Kriege wesentlich auch die militärische Tüchtigkeit gehoben, unter dem Gesichtspunkt der Unabhängigkeit die Hauptsache. Das Blut, das so reichlich vergossen worden, schwächte Italien nicht, sondern kräftigte es, weil es die Italiener aus ihrer schlaffen Weichlichkeit herausriß und in ihnen die Begierde erweckte, ihr Blut für das Gut der eigenen Freiheit zu ver¬ spritzen. Dazu hatte das Königreich Italien, obwohl nur einen Theil der Halb¬ insel umfassend, doch eine für die Einheit vorbereitende Bedeutung. Es umfaßte doch verschiedene Provinzen, die bisher als eigene Staaten gegen einander ab¬ gesperrt waren, und die Gleichheit der Gesetze und Einrichtungen, die sich aus alle italienischen Staaten erstreckte, erzog sie zu einem gemeinsamen nationalen Leben. Auch war bei dem Falle Napoleons nicht alles verloren. Es blieb in den Resten der italienischen Heere die Erinnerung an ehrenvolle Thaten, der Ehrgeiz nach neuem Ruhm, die Unerträglichkeit eines verhaßten Friedens. Es blieb in den Völkern der Sporn der Thätigkeit, die Lust nach dem Neuen; es begann Italien den Schmerz der Sklaverei zu fühlen, das Bedürfniß der Einigung, die Sehnsucht nach Unabhängigkeit. Welche Bedeutung insbesondere das „Königreich Italien" für die italienische Nationalität hatte', ist vortrefflich ausgeführt in einer Denkschrift, welche der sardinische Gesandte zu Se. Petersburg, Gras Coeli-Brusasco im März 1817 dem russischen Hof übergab. Während in den mit Frankreich vereinigten Theilen Italiens die heimische Sprache verpönt war, französische Beamte das Land überschwemmten, die Rekruten die Cadres der französischen Regimenter füllen mußten, gestand Napoleon gleichzeitig im Königreich Italien ein ganz anderes Regime zu. Die Sprache wurde erhalten, durch eine nationale Armee mili¬ tärischer Geist geschaffen, alle Stellen bis auf den Vicekönig Einheimischen ge¬ geben. Ausgezeichnete Männer standen an der Spitze der Verwaltung, leiteten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/440>, abgerufen am 28.07.2024.