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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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könnte. Wie es auch um den Ursprung dieses französischen Auskunftsmittels
stehe, es ist keine neue Erfindung, aber es enthält trotz naheliegender Bedenken
die einzige Möglichkeit einer friedlichen und versöhnenden Lösung. Und da seit
achtzehn Jahren dies Blatt für dieselbe Lösung der italienischen Frage plaidirt hat,
wird es hier erlaubt sein, darauf einzugehen. Es sind oft die naheliegenden Wahr¬
heiten der Politik, welche bei den Interessenten am schwersten gebührende Be¬
rücksichtigung finden. Das Cabinet von Wien hat sich durch die Empfindung,
daß seine Beamten- und Colonisativnskraft ohnedies nicht ausreiche, den öst¬
lichen Länderbesitz vollständig für die höchsten Staatszwecke zu verwerthen, ab¬
halten lassen, einer Lebensfrage seiner Zukunft dauernde Beachtung zuzuwen¬
den; und doch ist ihm seit der Wiedergeburt Italiens der Gewinn der Süd-
donaulänber eine unabweisbare Nothwendigkeit geworden. Denn es handelt sich
für Oestreich auf die Länge nicht mehr um die Behauptung Benetiens, sondern um
die Sicherung von Triest und Dalmatien. Schon jetzt ist Dalmatien zur Hälfte
italienisch; in wenig Jahrzehnten wird der Kampf, wie jetzt um das Festungs-
viercck und Venedig, so um Jstrien und das Küstenland der griechischen Halb¬
insel entbrennen. Dalmatien, jetzt ein langer schmaler Küstensaum ohne Hin¬
terland ist thatsächlich auf Italien angewiesen, Handel, Städtegeschichte, Cha¬
rakter und Nationalität der gebildeten Classen ziehen dorthin, schon vermag
die italienische Flotte das adriatische Meer zu fegen. Gegen diesen drohenden
Verlust giebt es nur eine Rettung, das Küstenland mit den Interessen einer
ackerbauenden Bevölkerung in fruchtbarem Hinterkante zusammenzubinden. Bos¬
nien und Albanien umfassen ein Ländergebiet, halb so groß als das Königreich
Ungarn mit Siebenbürgen und den slavischen Königreichen, seinem Boden nach
eins der fruchtbarsten Länder Europas, das darum seinen Werth nicht verloren
hat, weil es fast 600 Jahre wie todt dalag. Ein solcher Erwerb wäre für
Oestreich in den ersten Jahren fast so geringer Vortheil, als jetzt der Besitz
Vencticns, viel Last und keine große Ehre. Er wäre aber in Wahrheit werth¬
voller als Bayern oder Schlesien. Denn dieser Besitz würde den Kaiserstaat
zu etwas machen, was ihm jetzt allmälig immer mehr bezweifelt wird, zum
wahren Herrenstaat des südöstlichen Europas und zu einem wohlthätigen und
vielleicht dauerhaften Mitglied in der Staatensamilie unseres Welttheils.

Unterdeß beschäftigen die Vorschläge der preußischen Regierung für Bun-
desreform die Aufmerksamkeit. Sie machen allerdings den Eindruck einer
flüchtig hingeworfenen Skizze, und schwerlich wird die ganze Reformfrage Be¬
deutung gewinnen, so lange das Waffengetöse in Deutschland dauert. Aber
die beiden Grundzüge derselben, Nationalvertretung und dadurch bewirkte Auf¬
hebung der Stimmeneinheit unter den Bundesgliedern, enthalten doch alles,
was wir zunächst brauchen, um zu einer zeitgemäßen Umgestaltung des Bundes


könnte. Wie es auch um den Ursprung dieses französischen Auskunftsmittels
stehe, es ist keine neue Erfindung, aber es enthält trotz naheliegender Bedenken
die einzige Möglichkeit einer friedlichen und versöhnenden Lösung. Und da seit
achtzehn Jahren dies Blatt für dieselbe Lösung der italienischen Frage plaidirt hat,
wird es hier erlaubt sein, darauf einzugehen. Es sind oft die naheliegenden Wahr¬
heiten der Politik, welche bei den Interessenten am schwersten gebührende Be¬
rücksichtigung finden. Das Cabinet von Wien hat sich durch die Empfindung,
daß seine Beamten- und Colonisativnskraft ohnedies nicht ausreiche, den öst¬
lichen Länderbesitz vollständig für die höchsten Staatszwecke zu verwerthen, ab¬
halten lassen, einer Lebensfrage seiner Zukunft dauernde Beachtung zuzuwen¬
den; und doch ist ihm seit der Wiedergeburt Italiens der Gewinn der Süd-
donaulänber eine unabweisbare Nothwendigkeit geworden. Denn es handelt sich
für Oestreich auf die Länge nicht mehr um die Behauptung Benetiens, sondern um
die Sicherung von Triest und Dalmatien. Schon jetzt ist Dalmatien zur Hälfte
italienisch; in wenig Jahrzehnten wird der Kampf, wie jetzt um das Festungs-
viercck und Venedig, so um Jstrien und das Küstenland der griechischen Halb¬
insel entbrennen. Dalmatien, jetzt ein langer schmaler Küstensaum ohne Hin¬
terland ist thatsächlich auf Italien angewiesen, Handel, Städtegeschichte, Cha¬
rakter und Nationalität der gebildeten Classen ziehen dorthin, schon vermag
die italienische Flotte das adriatische Meer zu fegen. Gegen diesen drohenden
Verlust giebt es nur eine Rettung, das Küstenland mit den Interessen einer
ackerbauenden Bevölkerung in fruchtbarem Hinterkante zusammenzubinden. Bos¬
nien und Albanien umfassen ein Ländergebiet, halb so groß als das Königreich
Ungarn mit Siebenbürgen und den slavischen Königreichen, seinem Boden nach
eins der fruchtbarsten Länder Europas, das darum seinen Werth nicht verloren
hat, weil es fast 600 Jahre wie todt dalag. Ein solcher Erwerb wäre für
Oestreich in den ersten Jahren fast so geringer Vortheil, als jetzt der Besitz
Vencticns, viel Last und keine große Ehre. Er wäre aber in Wahrheit werth¬
voller als Bayern oder Schlesien. Denn dieser Besitz würde den Kaiserstaat
zu etwas machen, was ihm jetzt allmälig immer mehr bezweifelt wird, zum
wahren Herrenstaat des südöstlichen Europas und zu einem wohlthätigen und
vielleicht dauerhaften Mitglied in der Staatensamilie unseres Welttheils.

Unterdeß beschäftigen die Vorschläge der preußischen Regierung für Bun-
desreform die Aufmerksamkeit. Sie machen allerdings den Eindruck einer
flüchtig hingeworfenen Skizze, und schwerlich wird die ganze Reformfrage Be¬
deutung gewinnen, so lange das Waffengetöse in Deutschland dauert. Aber
die beiden Grundzüge derselben, Nationalvertretung und dadurch bewirkte Auf¬
hebung der Stimmeneinheit unter den Bundesgliedern, enthalten doch alles,
was wir zunächst brauchen, um zu einer zeitgemäßen Umgestaltung des Bundes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/424>, abgerufen am 28.07.2024.