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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Stadt retten wollte, es bald thun möchte. Eine neue Angst! Um acht Uhr
früh gieng ich mit meinem Bedienten zum schwarzen Thore hinaus. In dem
Ueberzuge von einem Kopfküssen steckte mein ganzer Reichthum. Wir wateten
bei der grausamsten Hitze durch den brennenden Sand bis auf Saarens Wein¬
berg. Das that ich in Gesellschaft der D . . . Familie, welche, wie die Salz-
burger emigrirte. Es schlug zwölf Uhr, und sie hatten noch keine Anstalt ge¬
macht, etwas zu essen; zu trinken war noch weniger da. Ich versicherte die
Gesellschaft, das, mich hungere und dürste, und ich. als ein Abgebrannter, sähe
wohl, daß man nichts von der Welt habe, als was man mit dem Maule hin¬
aus bringe: Ich wünschte mir also zu essen und zu trinken, und weil die löb¬
liche Gewohnheit abgekommen wäre, das Volk in der Wüsten mit Manna zu
speisen, so wollte ich mich der Gesellschaft empfehlen, und sehn wo ich einen
guten Freund fände, der sich nicht blos auf die göttliche Fürsorge verließe. Ich
gieng und kam nach Loschwitz zu einem guten Freunde, bei dem ich willkommen
und ziemlich gut versorgt war. Hier blieb ich bis Mittwoch früh, da ich ein
Pferd bekam und nach H . . . ritt.

Seit dem berühmten Morgen, als der Ritter von der traurigen Gestalt
sei" Schloß verließ, um die göttliche Dulcinea zu suchen, ist kein so abentheuer-
licher Ritt gesehn worden, als der meinige. Stellen Sie sich einen hohen Gaul
vor, dessen eigentlicher Beruf seit funfzehen Jahren gewesen war, im Karren
zu ziehn; auf diesem Gaul den Steucrsecretär Rabener, noch nicht völlig drey
Ellen lang und der schweren Zeiten ungeachtet, anderthalbe Elle im Durch¬
schnitte; diesen Secretär in ein paar zerrissenen Schuhen, schwarz seidenen
Strümpfen, gestrickten Beinkleidern, einem beschmutzten, alten und lebenssattcn
Zeugrocke, einer Haarbeutelpcrucke, welche seit der Belagerung nicht ausgekämmt,
und vielleicht seit der preußischen Invasion nicht gepudert war; hinter ihm ein
Kornsack, in welchen der Nest seines Vermögens geflüchtet war. auf diesem
Kornsacke einen bum'tstreifigtcn Schlafpelz, welcher, im Fall es regnete, zum
Rockelor dienen sollte; zur Rechten ging mein Bedienter, der eine Schachtel mit
Brodt und braunschweiger Wurst trug, zur Linken der Monarch des Gauls, dem er
von Zeit zu Zeit Muth zusprechen, und wenn er stolperte, ihn mitleidig aufrichten
mußte. In diesem Aufzug kam ich endlich zum Amtssteuereinnehmer in H . . .,
wo ich sehr wohl aufgenommen ward. Mein Quartier bekam ich im Städtchen,
wo die Wirthinn eine bejahrte dienstfertige Frau war. voll von dem Ceremonielle,
wie es unter Johann George des Vierten Regierung mochte bräuchlich gewesen
seyn; der Wirth, ein feiner Mann, mein alter Schulkaminerad. und bei ihm
ein frisches, rundes Mädchen, welche gute Hoffnung macht, daß sie ihren künf¬
tige" Eheherrn wird ohne Hosen herumlaufen lassen. Hier wohnte ich. Die
meiste Zeit brachte ich aus dem Schlosse zu, wo ich das Vergnügen hatte, die
Frau Assistcnzräthinn mit ihrer Familie, und ganz unvermuthet Ihre Made-


Stadt retten wollte, es bald thun möchte. Eine neue Angst! Um acht Uhr
früh gieng ich mit meinem Bedienten zum schwarzen Thore hinaus. In dem
Ueberzuge von einem Kopfküssen steckte mein ganzer Reichthum. Wir wateten
bei der grausamsten Hitze durch den brennenden Sand bis auf Saarens Wein¬
berg. Das that ich in Gesellschaft der D . . . Familie, welche, wie die Salz-
burger emigrirte. Es schlug zwölf Uhr, und sie hatten noch keine Anstalt ge¬
macht, etwas zu essen; zu trinken war noch weniger da. Ich versicherte die
Gesellschaft, das, mich hungere und dürste, und ich. als ein Abgebrannter, sähe
wohl, daß man nichts von der Welt habe, als was man mit dem Maule hin¬
aus bringe: Ich wünschte mir also zu essen und zu trinken, und weil die löb¬
liche Gewohnheit abgekommen wäre, das Volk in der Wüsten mit Manna zu
speisen, so wollte ich mich der Gesellschaft empfehlen, und sehn wo ich einen
guten Freund fände, der sich nicht blos auf die göttliche Fürsorge verließe. Ich
gieng und kam nach Loschwitz zu einem guten Freunde, bei dem ich willkommen
und ziemlich gut versorgt war. Hier blieb ich bis Mittwoch früh, da ich ein
Pferd bekam und nach H . . . ritt.

Seit dem berühmten Morgen, als der Ritter von der traurigen Gestalt
sei» Schloß verließ, um die göttliche Dulcinea zu suchen, ist kein so abentheuer-
licher Ritt gesehn worden, als der meinige. Stellen Sie sich einen hohen Gaul
vor, dessen eigentlicher Beruf seit funfzehen Jahren gewesen war, im Karren
zu ziehn; auf diesem Gaul den Steucrsecretär Rabener, noch nicht völlig drey
Ellen lang und der schweren Zeiten ungeachtet, anderthalbe Elle im Durch¬
schnitte; diesen Secretär in ein paar zerrissenen Schuhen, schwarz seidenen
Strümpfen, gestrickten Beinkleidern, einem beschmutzten, alten und lebenssattcn
Zeugrocke, einer Haarbeutelpcrucke, welche seit der Belagerung nicht ausgekämmt,
und vielleicht seit der preußischen Invasion nicht gepudert war; hinter ihm ein
Kornsack, in welchen der Nest seines Vermögens geflüchtet war. auf diesem
Kornsacke einen bum'tstreifigtcn Schlafpelz, welcher, im Fall es regnete, zum
Rockelor dienen sollte; zur Rechten ging mein Bedienter, der eine Schachtel mit
Brodt und braunschweiger Wurst trug, zur Linken der Monarch des Gauls, dem er
von Zeit zu Zeit Muth zusprechen, und wenn er stolperte, ihn mitleidig aufrichten
mußte. In diesem Aufzug kam ich endlich zum Amtssteuereinnehmer in H . . .,
wo ich sehr wohl aufgenommen ward. Mein Quartier bekam ich im Städtchen,
wo die Wirthinn eine bejahrte dienstfertige Frau war. voll von dem Ceremonielle,
wie es unter Johann George des Vierten Regierung mochte bräuchlich gewesen
seyn; der Wirth, ein feiner Mann, mein alter Schulkaminerad. und bei ihm
ein frisches, rundes Mädchen, welche gute Hoffnung macht, daß sie ihren künf¬
tige» Eheherrn wird ohne Hosen herumlaufen lassen. Hier wohnte ich. Die
meiste Zeit brachte ich aus dem Schlosse zu, wo ich das Vergnügen hatte, die
Frau Assistcnzräthinn mit ihrer Familie, und ganz unvermuthet Ihre Made-


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[0414] Stadt retten wollte, es bald thun möchte. Eine neue Angst! Um acht Uhr früh gieng ich mit meinem Bedienten zum schwarzen Thore hinaus. In dem Ueberzuge von einem Kopfküssen steckte mein ganzer Reichthum. Wir wateten bei der grausamsten Hitze durch den brennenden Sand bis auf Saarens Wein¬ berg. Das that ich in Gesellschaft der D . . . Familie, welche, wie die Salz- burger emigrirte. Es schlug zwölf Uhr, und sie hatten noch keine Anstalt ge¬ macht, etwas zu essen; zu trinken war noch weniger da. Ich versicherte die Gesellschaft, das, mich hungere und dürste, und ich. als ein Abgebrannter, sähe wohl, daß man nichts von der Welt habe, als was man mit dem Maule hin¬ aus bringe: Ich wünschte mir also zu essen und zu trinken, und weil die löb¬ liche Gewohnheit abgekommen wäre, das Volk in der Wüsten mit Manna zu speisen, so wollte ich mich der Gesellschaft empfehlen, und sehn wo ich einen guten Freund fände, der sich nicht blos auf die göttliche Fürsorge verließe. Ich gieng und kam nach Loschwitz zu einem guten Freunde, bei dem ich willkommen und ziemlich gut versorgt war. Hier blieb ich bis Mittwoch früh, da ich ein Pferd bekam und nach H . . . ritt. Seit dem berühmten Morgen, als der Ritter von der traurigen Gestalt sei» Schloß verließ, um die göttliche Dulcinea zu suchen, ist kein so abentheuer- licher Ritt gesehn worden, als der meinige. Stellen Sie sich einen hohen Gaul vor, dessen eigentlicher Beruf seit funfzehen Jahren gewesen war, im Karren zu ziehn; auf diesem Gaul den Steucrsecretär Rabener, noch nicht völlig drey Ellen lang und der schweren Zeiten ungeachtet, anderthalbe Elle im Durch¬ schnitte; diesen Secretär in ein paar zerrissenen Schuhen, schwarz seidenen Strümpfen, gestrickten Beinkleidern, einem beschmutzten, alten und lebenssattcn Zeugrocke, einer Haarbeutelpcrucke, welche seit der Belagerung nicht ausgekämmt, und vielleicht seit der preußischen Invasion nicht gepudert war; hinter ihm ein Kornsack, in welchen der Nest seines Vermögens geflüchtet war. auf diesem Kornsacke einen bum'tstreifigtcn Schlafpelz, welcher, im Fall es regnete, zum Rockelor dienen sollte; zur Rechten ging mein Bedienter, der eine Schachtel mit Brodt und braunschweiger Wurst trug, zur Linken der Monarch des Gauls, dem er von Zeit zu Zeit Muth zusprechen, und wenn er stolperte, ihn mitleidig aufrichten mußte. In diesem Aufzug kam ich endlich zum Amtssteuereinnehmer in H . . ., wo ich sehr wohl aufgenommen ward. Mein Quartier bekam ich im Städtchen, wo die Wirthinn eine bejahrte dienstfertige Frau war. voll von dem Ceremonielle, wie es unter Johann George des Vierten Regierung mochte bräuchlich gewesen seyn; der Wirth, ein feiner Mann, mein alter Schulkaminerad. und bei ihm ein frisches, rundes Mädchen, welche gute Hoffnung macht, daß sie ihren künf¬ tige» Eheherrn wird ohne Hosen herumlaufen lassen. Hier wohnte ich. Die meiste Zeit brachte ich aus dem Schlosse zu, wo ich das Vergnügen hatte, die Frau Assistcnzräthinn mit ihrer Familie, und ganz unvermuthet Ihre Made-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/414>, abgerufen am 28.07.2024.