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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Rothschild in Frankfurt dem Herzog persönlich, und zwar nur unter höchst
onerosen Bedingungen gegebenes Darlehen; die Vorliebe für die von den
Liberalen bedrohte Domanialjagd, die sich über das ganze Land erstreckte; die
Abneigung gegen den Nationalverein; die damals schwebende Zollvereinskrisis,
in welcher die Nassauer Regierung östreichischer war 'als Oestreich, und das
nassauer Land preußischer (d.h. freihändlerischer) als Preußen; die Freude über
den damals hier zu Landt in den Hofkreisen wegen seiner inneren preußischen
Politik vergötterten Grafen Bismcuck, den man jetzt wegen seiner äußeren
und deutschen Politik so sehr haßt und noch mehr fürchtet; die freudige Zu¬
versicht, welche man aus Garibaldis Niederlage und Gefangenschaft, aus dem
furchtbaren Krieg, welcher die amerikanische Union zerfleischte und zu zerstückeln
oder gar zu monarchistren drohte, aus der Aufrichtung eines Habsburgischen
Kaiserthrons in Mexiko, aus der anscheinend klerikalen Richtung der französischen
Politik im Jahre 1863, aus der Hoffnung auf Wiederherstellung der heiligen
Allianz zwischen Rußland, Oestreich und Preußen schöpfte, und endlich den
Rausch, den Taumel, den der östreichisch-deutscheFürstentag und die großdcutsche
Agitation verursachte, -- rechnet man das alles zusammen, so wird man so
ziemlich alle Gründe haben, welche es veranlaßten, daß die Negierung ohne
sonstigen Grund 1863 dem liberalen Lande den Krieg machte, ohne ihn zu¬
vor erklärt zu haben.

Gegenwärtig kann wohl kein Zweifel darüber obwalten, daß sie den Feld-
zug, in welchem auf ihrer Seite Werren das Obercommando hatte und jene
schwere Bescholtenheitsblessur davon trug, gründlich verloren hat. Und niemand
kann sich zu dieser Niederlage mehr gratuliren, als der Herzog. Denn hätte
er gesiegt, so wäre er ein Unterthan des Jesuitcngenerals geworden. Aber
was nun: "Soll man, um daS siegreiche Land zu bewältigen, fremde Truppen
hereinrufen?" Wir fürchten, sind sie einmal da, dann gehen sie nicht wieder
hinaus, sondern sprechen: lasset uns Hütten bauen! "Soll man noch einmal auf¬
lösen, neu wählen lassen, den innern Krieg erneuern?" Was hilft das? Man
würde wieder unterliegen. "Soll man die Landstände schwatzen lassen und sie
ignoriren?" Unmöglich; denn sie haben das Finanz- und Steuerverwilligungs-
recht; und das Land wird keinen Pfennig Steuern bezahlen, welchen die Stände
nicht verwilligt haben.

"Aber was soll man um Gottes willen denn?" Was man soll? Man
soll, wie es nach geführten Krieg Sitte ist, einen ehrenhaften und dauernden
ehrlichen Frieden schließen.

"Aber ist das möglich?" Antwort: Ja!

"Und wie?"

Wir wollen diese Frage nach bestem Wissen und Gewissen beantworten,
müssen jedoch einige Bemerkungen vorausschicken. Der gegenwärtige Zustand ist


Grenzboten II. 1866. 48

Rothschild in Frankfurt dem Herzog persönlich, und zwar nur unter höchst
onerosen Bedingungen gegebenes Darlehen; die Vorliebe für die von den
Liberalen bedrohte Domanialjagd, die sich über das ganze Land erstreckte; die
Abneigung gegen den Nationalverein; die damals schwebende Zollvereinskrisis,
in welcher die Nassauer Regierung östreichischer war 'als Oestreich, und das
nassauer Land preußischer (d.h. freihändlerischer) als Preußen; die Freude über
den damals hier zu Landt in den Hofkreisen wegen seiner inneren preußischen
Politik vergötterten Grafen Bismcuck, den man jetzt wegen seiner äußeren
und deutschen Politik so sehr haßt und noch mehr fürchtet; die freudige Zu¬
versicht, welche man aus Garibaldis Niederlage und Gefangenschaft, aus dem
furchtbaren Krieg, welcher die amerikanische Union zerfleischte und zu zerstückeln
oder gar zu monarchistren drohte, aus der Aufrichtung eines Habsburgischen
Kaiserthrons in Mexiko, aus der anscheinend klerikalen Richtung der französischen
Politik im Jahre 1863, aus der Hoffnung auf Wiederherstellung der heiligen
Allianz zwischen Rußland, Oestreich und Preußen schöpfte, und endlich den
Rausch, den Taumel, den der östreichisch-deutscheFürstentag und die großdcutsche
Agitation verursachte, — rechnet man das alles zusammen, so wird man so
ziemlich alle Gründe haben, welche es veranlaßten, daß die Negierung ohne
sonstigen Grund 1863 dem liberalen Lande den Krieg machte, ohne ihn zu¬
vor erklärt zu haben.

Gegenwärtig kann wohl kein Zweifel darüber obwalten, daß sie den Feld-
zug, in welchem auf ihrer Seite Werren das Obercommando hatte und jene
schwere Bescholtenheitsblessur davon trug, gründlich verloren hat. Und niemand
kann sich zu dieser Niederlage mehr gratuliren, als der Herzog. Denn hätte
er gesiegt, so wäre er ein Unterthan des Jesuitcngenerals geworden. Aber
was nun: „Soll man, um daS siegreiche Land zu bewältigen, fremde Truppen
hereinrufen?" Wir fürchten, sind sie einmal da, dann gehen sie nicht wieder
hinaus, sondern sprechen: lasset uns Hütten bauen! „Soll man noch einmal auf¬
lösen, neu wählen lassen, den innern Krieg erneuern?" Was hilft das? Man
würde wieder unterliegen. „Soll man die Landstände schwatzen lassen und sie
ignoriren?" Unmöglich; denn sie haben das Finanz- und Steuerverwilligungs-
recht; und das Land wird keinen Pfennig Steuern bezahlen, welchen die Stände
nicht verwilligt haben.

„Aber was soll man um Gottes willen denn?" Was man soll? Man
soll, wie es nach geführten Krieg Sitte ist, einen ehrenhaften und dauernden
ehrlichen Frieden schließen.

„Aber ist das möglich?" Antwort: Ja!

„Und wie?"

Wir wollen diese Frage nach bestem Wissen und Gewissen beantworten,
müssen jedoch einige Bemerkungen vorausschicken. Der gegenwärtige Zustand ist


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[0405] Rothschild in Frankfurt dem Herzog persönlich, und zwar nur unter höchst onerosen Bedingungen gegebenes Darlehen; die Vorliebe für die von den Liberalen bedrohte Domanialjagd, die sich über das ganze Land erstreckte; die Abneigung gegen den Nationalverein; die damals schwebende Zollvereinskrisis, in welcher die Nassauer Regierung östreichischer war 'als Oestreich, und das nassauer Land preußischer (d.h. freihändlerischer) als Preußen; die Freude über den damals hier zu Landt in den Hofkreisen wegen seiner inneren preußischen Politik vergötterten Grafen Bismcuck, den man jetzt wegen seiner äußeren und deutschen Politik so sehr haßt und noch mehr fürchtet; die freudige Zu¬ versicht, welche man aus Garibaldis Niederlage und Gefangenschaft, aus dem furchtbaren Krieg, welcher die amerikanische Union zerfleischte und zu zerstückeln oder gar zu monarchistren drohte, aus der Aufrichtung eines Habsburgischen Kaiserthrons in Mexiko, aus der anscheinend klerikalen Richtung der französischen Politik im Jahre 1863, aus der Hoffnung auf Wiederherstellung der heiligen Allianz zwischen Rußland, Oestreich und Preußen schöpfte, und endlich den Rausch, den Taumel, den der östreichisch-deutscheFürstentag und die großdcutsche Agitation verursachte, — rechnet man das alles zusammen, so wird man so ziemlich alle Gründe haben, welche es veranlaßten, daß die Negierung ohne sonstigen Grund 1863 dem liberalen Lande den Krieg machte, ohne ihn zu¬ vor erklärt zu haben. Gegenwärtig kann wohl kein Zweifel darüber obwalten, daß sie den Feld- zug, in welchem auf ihrer Seite Werren das Obercommando hatte und jene schwere Bescholtenheitsblessur davon trug, gründlich verloren hat. Und niemand kann sich zu dieser Niederlage mehr gratuliren, als der Herzog. Denn hätte er gesiegt, so wäre er ein Unterthan des Jesuitcngenerals geworden. Aber was nun: „Soll man, um daS siegreiche Land zu bewältigen, fremde Truppen hereinrufen?" Wir fürchten, sind sie einmal da, dann gehen sie nicht wieder hinaus, sondern sprechen: lasset uns Hütten bauen! „Soll man noch einmal auf¬ lösen, neu wählen lassen, den innern Krieg erneuern?" Was hilft das? Man würde wieder unterliegen. „Soll man die Landstände schwatzen lassen und sie ignoriren?" Unmöglich; denn sie haben das Finanz- und Steuerverwilligungs- recht; und das Land wird keinen Pfennig Steuern bezahlen, welchen die Stände nicht verwilligt haben. „Aber was soll man um Gottes willen denn?" Was man soll? Man soll, wie es nach geführten Krieg Sitte ist, einen ehrenhaften und dauernden ehrlichen Frieden schließen. „Aber ist das möglich?" Antwort: Ja! „Und wie?" Wir wollen diese Frage nach bestem Wissen und Gewissen beantworten, müssen jedoch einige Bemerkungen vorausschicken. Der gegenwärtige Zustand ist Grenzboten II. 1866. 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/405>, abgerufen am 28.07.2024.