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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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einen großen Staatsmann gehaltene Auditeur Werren seinem Fürsten in den
von ihm, dem General Holbach und Werren gehaltenen Conferenzen heimlich
anpries, gelang es. sagen wir, so oder so. u,rw et Nares, durch Auflösungen
und Neuwahlen, die liberale in eine conservative Landtagsmajorität zu ver¬
wandeln, dann war mau des unbequemen Mahners und mit ihm der einge¬
gangenen Verpflichtung entledigt. Man wußte wohl, daß das Land liberal
dachte und fühlte. Aber mit Werren und dessen System hoffte man trotz-
dem das entgegengesetzte Resultat zu erzielen. Die Klerikalen, die Schutz¬
zöllner und das niedere geldbedürftige Beamtenproletariat boten geräuschvoll
und lakaienhaft ihre Dienste an. Sie mögen wohl wirklich geglaubt haben, bei
wiederholten Wahlen endlich zu siegen. Denn Einer täuschte den Andern. Na¬
mentlich die Berichte der geheimen Polizeiagenten, genannt "Werrens Spitzerl",
mit welchen man das ganze Land überzogen halte, lauteten gar zu rosig. Die
Mainzer klerikalen Blättchen, die von Werren inspirirte "Neue Wiesbadener
Zeitung", und die frankfurter Postzeitung -- andere Zeitungen liest der Hof
nicht -- gaben die köstlichsten Versicherungen. Was dem Herzog an Werren
am meksten gefiel, war dessen "Energie", -- eine Eigenschaft Werrens, die von
Anderen mit einem andern Worte bezeichnet zu werden pflegte. Werrens Vor¬
gänger hatte nämlich nichts der Art. Es war der Regierungspräsident Freiherr
von Wintzingcrvde, ein wohlmeinender aber gemüthsschwachec Mann, dessen
Geisteskraft schon zu der Zeit, als er an die Spitze der Geschäfte trat, durch
eine Gehirnkrankheit, an der er 1863 starb, schwer gelitten hatte. Unter ihm
ging alles aus Rand und Band. Er versprach dem Herzog alles, namentlich
das Land und den Landtag "conservativ zu machen". Es gelang ihm nichts.
Jedes Mißlingen schob er aus die "böse Presse" und die "bösen Advocaten",
womit er namentlich die Landtagsabgeordneten Braun und Lang meinte. Diese
Uebel also sollten durch den "energischen" Werren. die von ihm empfohlenen
und infolge dessen beförderten, ebenfalls "energischen" Unterbeamten und einige
noch "energischere" literarische Bravos, die Werren gedungen hatte, vertilgt
werden. Werren hatte sich bewährt, zuletzt als Auditeur. noch mehr aber zuvor
als Chef der geheimen Polizei in der Zeit von 1852 bis 1834. wo das Land,
damals arm und erschlafft, sich ihm willenlos beugte. Freilich hatte man außer
Rechnung gelassen, daß das Land 18L4 nicht mehr arm und schlaff, sondern
wohlhabend und rührig und gerüstet war zu dem Kampfe, den es so glorreich
bestanden. Noch heute steht das Land nicht nur hinter seinen Abgeordneten,
sondern es übertrifft sogar viele derselben an politischer Willenskraft und Ent¬
schlossenheit.

Rechnet man zu den oben hervorgehobenen Motiven für die Neigung des
Hofes, die Mißstimmung, die entstanden war durch die Landtagsverhandlungen
über das Schatullcnbcficit, das man decken mußte durch ein von dem Haus


einen großen Staatsmann gehaltene Auditeur Werren seinem Fürsten in den
von ihm, dem General Holbach und Werren gehaltenen Conferenzen heimlich
anpries, gelang es. sagen wir, so oder so. u,rw et Nares, durch Auflösungen
und Neuwahlen, die liberale in eine conservative Landtagsmajorität zu ver¬
wandeln, dann war mau des unbequemen Mahners und mit ihm der einge¬
gangenen Verpflichtung entledigt. Man wußte wohl, daß das Land liberal
dachte und fühlte. Aber mit Werren und dessen System hoffte man trotz-
dem das entgegengesetzte Resultat zu erzielen. Die Klerikalen, die Schutz¬
zöllner und das niedere geldbedürftige Beamtenproletariat boten geräuschvoll
und lakaienhaft ihre Dienste an. Sie mögen wohl wirklich geglaubt haben, bei
wiederholten Wahlen endlich zu siegen. Denn Einer täuschte den Andern. Na¬
mentlich die Berichte der geheimen Polizeiagenten, genannt „Werrens Spitzerl",
mit welchen man das ganze Land überzogen halte, lauteten gar zu rosig. Die
Mainzer klerikalen Blättchen, die von Werren inspirirte „Neue Wiesbadener
Zeitung", und die frankfurter Postzeitung — andere Zeitungen liest der Hof
nicht — gaben die köstlichsten Versicherungen. Was dem Herzog an Werren
am meksten gefiel, war dessen „Energie", — eine Eigenschaft Werrens, die von
Anderen mit einem andern Worte bezeichnet zu werden pflegte. Werrens Vor¬
gänger hatte nämlich nichts der Art. Es war der Regierungspräsident Freiherr
von Wintzingcrvde, ein wohlmeinender aber gemüthsschwachec Mann, dessen
Geisteskraft schon zu der Zeit, als er an die Spitze der Geschäfte trat, durch
eine Gehirnkrankheit, an der er 1863 starb, schwer gelitten hatte. Unter ihm
ging alles aus Rand und Band. Er versprach dem Herzog alles, namentlich
das Land und den Landtag „conservativ zu machen". Es gelang ihm nichts.
Jedes Mißlingen schob er aus die „böse Presse" und die „bösen Advocaten",
womit er namentlich die Landtagsabgeordneten Braun und Lang meinte. Diese
Uebel also sollten durch den „energischen" Werren. die von ihm empfohlenen
und infolge dessen beförderten, ebenfalls „energischen" Unterbeamten und einige
noch „energischere" literarische Bravos, die Werren gedungen hatte, vertilgt
werden. Werren hatte sich bewährt, zuletzt als Auditeur. noch mehr aber zuvor
als Chef der geheimen Polizei in der Zeit von 1852 bis 1834. wo das Land,
damals arm und erschlafft, sich ihm willenlos beugte. Freilich hatte man außer
Rechnung gelassen, daß das Land 18L4 nicht mehr arm und schlaff, sondern
wohlhabend und rührig und gerüstet war zu dem Kampfe, den es so glorreich
bestanden. Noch heute steht das Land nicht nur hinter seinen Abgeordneten,
sondern es übertrifft sogar viele derselben an politischer Willenskraft und Ent¬
schlossenheit.

Rechnet man zu den oben hervorgehobenen Motiven für die Neigung des
Hofes, die Mißstimmung, die entstanden war durch die Landtagsverhandlungen
über das Schatullcnbcficit, das man decken mußte durch ein von dem Haus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/404>, abgerufen am 28.07.2024.